Ski alpin der Männer:Übermütig auf Abwegen

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Stefan Luitz gilt seit Jahren als Geheimtipp. In diesem Winter will der Hochbegabte zu mehr Konstanz finden - sein Malheur in Beaver Creek zeigt, dass noch viel Arbeit vor ihm liegt.

Von Johannes Knuth, Beaver Creek/München

Der Zielraum eines Skirennens ist ein faszinierender Ort. Das Zielstadion nimmt die Fahrer nach ihrem Ritt durch den einsamen, kühlen Winter in Empfang, es ist das warme Zuhause, in dem die Athleten Emotionen und Geschichten mit dem Publikum teilen. Manchmal ist dieses Zuhause aber auch ein furchtbarer Ort. Zum Beispiel, wenn man sich nach einem missglückten Ausflug am liebsten verstecken würde. Wie der Skirennfahrer Stefan Luitz aus Bolsterang, der am Sonntag in den Schnee von Beaver Creek/USA sank und begriff, welche Chance ihm gerade entglitten war.

Luitz hatte famos in diesen Riesen- slalom hineingefunden. Er war im ersten Lauf spät gestartet, die Piste war zerfurcht, aber Luitz schreckte das nicht. Er drängelte sich auf den zweiten Platz vor, 15 Hundertstelsekunden hinter dem Österreicher Marcel Hirscher. Auch im zweiten Lauf dehnte er seinen Vorsprung an jedem Tor ein wenig aus, 0,38 Sekunden, 0,54, eine Sekunde, das musste die Führung sein, und oben stand ja nur noch Hirscher. Luitz konnte die Zuschauer im Stadion bereits sehen, als er kurz vor dem Zielhang in Rück- lage geriet. Er verpasste den Moment, den nächsten Schwung pünktlich einzuleiten, und als er seinen Fehler bemerkte, hatte es ihn längst in den Tiefschnee abgetrieben. Der 23-Jährige schob sich noch mal auf den Kurs, die mögliche Podiumsplatzierung hatte er aber vergeben - vielleicht sogar den Sieg, seinen ersten im Weltcup (der dann doch in Hirschers Besitz wanderte).

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(Foto: Doug Pensinger/AFP)

Kurz vor der Ziellinie vergab Stefan Luitz in Beaver Creek auf ebenso spektakuläre wie nachlässige Art, als er kurz mal bergauf musste,...

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(Foto: Antonio Bat/dpa)

...die Chance zu einer Top-Platzierung - wie beim olympischen Riesenslalom 2014 in Sotschi, als er mit zweitbester Zeit am letzten Tor einfädelte.

In Sotschi war Luitz der einzige, der Ted Ligety folgen konnte - dann fädelte er am letzten Tor ein

Als Wolfgang Maier, Alpindirektor im Deutschen Skiverband, nach dem Rennen seine Gefühle in Worte kleiden sollte, entgegnete er der Agentur sid: "Auf Bayrisch gesagt: Das geht mir auf den . . ." Es folgte ein bedingt zitierfähiger Fluch. Die Eindrücke der just beendeten Amerikatournee waren da offenbar noch nicht erkaltet. Die ambitionierten deutschen Abfahrer konnten am Wochenende ja lediglich einen 23. Platz von Andreas Sander vorzeigen. Viktoria Rebensburg hatte zwei durchwachsene Wochen am Sonntag mit Platz sechs im Super-G beendet, sie deutete das als Indiz, dass die Form langsam ins Positive klettert. Ähnliches galt für Felix Neureuther, der im Riesenslalom guter Fünfter wurde, und Fritz Dopfer (17.), wobei Dopfer nur zarte Symptome der Besserung zeigte. Luitz hätte das leicht bittere Wochenende also versüßen können, "ein Podestplatz hätte uns allen gut getan", befand Maier. Nun stand Luitz mit seiner Irrfahrt, die er auf Platz 22 beendete, auch für den Saisonstart des DSV: gute Ansätze, in spielentscheidenden Momenten fehlerbehaftet. Wobei Luitz' Geschichte eine spezielle war.

Frust und Euphorie sind im Skirennsport enge Verwandte, aber bei Luitz liegen die verschiedenen Gefühlspole besonders eng zusammen.

Luitz hatte sich im Dezember 2012 bei der Weltcup-Elite vorgestellt, als Zweiter im Riesenslalom von Val d'Isère. Er galt jetzt als Geheimtipp, eine Rolle, die er wohl länger bekleidete, als ihm lieb war. Im WM-Riesenslalom 2013 fuhr er durchs letzte Tor und wurde disqualifiziert. Kurz darauf riss ihm beim Training das Kreuzband. Im folgenden Winter drängte er wieder in die Elite, früher als erwartet, das weckte Erwartungen für Olympia 2014. Luitz führte in Sotschi auch eine famose Fahrt vor, er stieß im ersten Lauf in den Raum vor zwischen dem überragenden Amerikaner Ted Ligety und dem Rest. Dann fädelte er am letzten Tor ein. Vor einem Jahr stürzte Luitz im Training, er fiel auf die messerscharfe Kante seines Skis, die ihm den Oberschenkelmuskel durchtrennte. Er wurde noch fit für die WM in Vail, dort war er aber noch zu geschwächt, als dass er sein Können zur Schau hätte stellen konnte.

Stefan Luitz. (Foto: imago)

Luitz ist jemand, der nie zaudert, sondern sich furchtlos in einen Kurs wirft. Es ist eine Eigenschaft, die ihn stark gemacht hat, es ist auch eine Eigenschaft, die sie im DSV bei manchen Fahrern früher vermisst haben. Aber während Skifahrer wie Dopfer sich langsam an ihr Limit tasten mussten, steht Luitz vor der Herausforderung, sich dem Optimum von der anderen Seite zu nähern, den Übermut zu dimmen. Er müsse eine "gewisse Konstanz" in seine Rennen bringen, hatte er sich vor der Saison vorgenommen: "Das macht die Weltspitze aus, dass die auf den Punkt da sind." Maier empfahl Luitz am Sonntag nun, beim Mentaltrainer vorstellig zu werden, "damit er lernt, sich bis zum Schluss zu konzentrieren". Luitz wiederum gab sich einsichtig: "Das war wieder so ein Leichtsinnsfehler von mir." Er schaut sich ab und zu seinen Lauf aus Sotschi an, nur bis zum letzten Tor, um die positiven Bilder auf der mentalen Festplatte zu speichern. Er lernt im Training von den Weltbesten, von Neureuther und Dopfer; vielleicht, hat Luitz zuletzt gesagt, müsse er doch ein wenig mehr Dopfer wagen, denn: "Der Fritz fährt extrem konstant." Am Sonntag befand Luitz in Beaver Creek: "Ich nehme mit, dass ich schnell Ski fahren kann, deshalb werde ich auch im nächsten Rennen Vollgas geben." Ob das eine gute oder schlechte Nachricht ist, wissen sie im DSV wohl noch nicht so recht. Andererseits: Am Samstag fahren sie in Val d'Isère den nächsten Riesenslalom. Zwei Mal traf Luitz dort im Ziel ein, zwei Mal stand er auf dem Podest.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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