Männer-Slalom:Das schickste Hemd im Schrank

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Der Österreicher Christian Schwaiger, der neue Cheftrainer der deutschen Alpin-Männer, übernimmt eine Sparte im Umbruch, die ohne Ruheständler Felix Neureuther auskommen muss.

Von Johannes Knuth

Cheftrainer? "Den Wahnsinn", hatte sich Christian Schwaiger einst geschworen, "tue ich mir nicht mehr an". Er hatte den Posten bis vor 13 Jahren mal im britischen Skiverband inne, aber die Briten waren im Alpinsport lange, was Athleten und Personal anging, eher so präsent wie Nordmazedonien im UN-Sicherheitsrat. Und selbst damals, erinnerte sich Schwaiger zuletzt, "war mein Familienleben erledigt".

Schwaiger hat nun nicht gleich den UN-Sicherheitsrat angerufen, als ihn der Deutsche Skiverband (DSV) im vergangenen Frühjahr fragte, ob er sich den Wahnsinn als Cheftrainer für dessen Alpin-Männer doch noch mal antun möchte. Aber skeptisch war er schon. Der DSV ist nicht der österreichische Verband, in dem viele mitreden und allmächtige Präsidenten ausbleibende Siege gerne als Majestätsbeleidigung auffassen, aber er ist auch nicht der britische. Und als Cheftrainer würde Schwaiger nicht mehr nur eine Abteilung verantworten, wie zuletzt die der DSV-Abfahrer - er würde für ein ganzes Nationalteam Strategien entwerfen, das Gesicht des Erfolgs (und Misserfolgs) sein, Hausbesuche vom Weltcup bis in den Nachwuchs vornehmen. "Wenn ich mir den Rennkalender anschaue, sieht mich meine Frau genau fünf Tage", wusste Schwaiger. Sollte er sich diesen Job wirklich antun, müsste er das Arbeitsklima schon nach seinem Gusto gestalten dürfen, forderte er: "Damit der Schwaiger funktioniert".

An diesem Wochenende bestreiten die Alpinen den zweiten Weltcup ihres blutjungen Winters, in Levi stehen je ein Slalom der Frauen und Männer im Programm. Im DSV ziehen sie erstmals ohne Neu-Ruheständler Felix Neureuther in die Saison, ihren mit Abstand besten Slalomfahrer der vergangenen Dekade, dafür ist Christian Schwaiger erstmals als Cheftrainer im Verband angestellt: Der 51-Jährige hatte seine Beförderung nach längerer Bedenkzeit dann doch angenommen. Es ist also eine Saison des Umbruchs für die DSV-Männer, an der sich wohl noch die eine oder andere Saison des Umbruchs anschließt; und es ist auch eine Saison, in der es noch etwas mehr als sonst darauf ankommt, wie ihr neuer Ressortleiter funktioniert.

Auf der Suche nach der Ideallinie: Linus Straßer, 27, fiel in den vergangenen Wintern weniger durch freche Slalom-Läufe, als vergebene Chancen und Ausfälle auf. (Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Schwaiger stammt aus Hinterreit in Österreich, er war mal Skiprofi in Amerika und Japan, zum Aufhören zwang ihn aber kein Skiunfall, sondern ein Malheur beim Dachdecken. Von 1998 bis 2006 trainierte er die Briten, seit 2006 ist er im DSV, bis zuletzt als Techniktrainer. Der steht meist an der Piste, wertet die Videobilder am Abend mit den Athleten aus, macht jeden Fahrer ein bisschen besser, Tag für Tag. Was das angehe, "halte ich ihn für einen der besten Trainer der Welt", hatte Mathias Berthold zuletzt gesagt, Schwaigers Vorgänger, der sich als Mentalcoach selbstständig gemacht hat. Schwaiger selbst macht darüber ungern großes Aufhebens - aber der Erfolg sprach ja stets für ihn: Kathrin Hölzl, Maria Höfl-Riesch, Viktoria Rebensburg, sogar die Briten gewannen mit ihm WM- und Olympiamedaillen (der Schotte Alain Baxter verlor seine von 2002 allerdings wieder nach einem Positivtest). Und die Abfahrer, die sie im DSV vor fünf Jahren fast abgewickelt hätten, rückten in den vergangenen fünf Jahren in die Weltspitze und auf diverse Sieger-Podien vor. Schwaiger war im DSV stets wie das schicke Hemd im Schrank, es passte so ziemlich zu allem. Und nun?

Christian Schwaiger. (Foto: Günter Hofer/Imago)

Nun ist die Frage, ob Schwaiger, der jahrelang so seriös die erste Trainer-Geige gespielt hat, auch ein sich im Umbruch befindendes Ensemble als Chefdirigent leiten kann. Das, was er am liebsten mag, den täglichen Unterricht mit den Athleten, verantworten jetzt ja andere: Bernd Brunner im Slalom und Riesenslalom, Andreas Evers als Speed-Coach. Aber ganz auf die Basisarbeit will der neue Chef nicht verzichten. "Das war auch immer meine Stärke, dass ich immer extrem eng mit den Athleten war", sagt Schwaiger - mit einer auch mal scheppernden, aber stets fairen Ansprache. Der Bedarf ist jedenfalls vorhanden, vor allem im Slalom: Dominik Stehle war der einzige, der im vergangenen Winter hinter Neureuther ab und zu in die erweiterte Elite vorstieß, Fritz Dopfer, der WM-Zweite von 2015, kämpft nach seinem Schien- und Wadenbeinbruch noch immer um den Anschluss im Weltcup. Und Linus Straßer, 27, der vor vier Jahren schon frech in die Slalom-Elite geprescht war, machte zwar immer wieder durch formidable Trainingsläufe von sich reden, im Wettkampf hatte es zuletzt aber oft den Anschein, als würde ihn die Wucht der Erwartungen erschlagen, vor allem die der eigenen. Es bringe jedenfalls "gar nichts", sagt Schwaiger im gewohnt klaren Ton, "wenn er im ganzen Winter zweimal ins Ziel kommt".

Das ist vermutlich ein Grund (neben der Zustimmung der Familie), weshalb er sich doch noch einmal einen Chefposten angetan hat: dass er im DSV stets das Arbeitsumfeld vorfand, in dem er seine Lehre vermitteln konnte ("Ich gehe meinen Weg, da gibt es wenig Toleranz") und dies auch jetzt wieder kann. Für die ambitionierten Abfahrer, die übernächste Woche in Lake Louise ihre Saison eröffnen, haben sie im Frühjahr Andreas Evers als Schwaigers Nachfolger verpflichtet; das war eine zentrale Bedingung des neuen Chefs gewesen, ehe der seinen neuen Job annahm. Evers, ebenfalls Österreicher, hatte einst Hermann Maier und zuletzt die Schweizer Abfahrer betreut, er ist einer der erfolgreichsten Speed-Trainer, ein Experte zudem für Gleitkurven und aggressive Schneeverhältnisse - da sei er selbst zuletzt nicht so recht vorangekommen, sagt Schwaiger.

Eines, sagt der Österreicher, werde sich unter ihm aber auch in seiner neuen Rolle nicht ändern: Wenn er Zeit bekomme, zwei, drei Jahre mindestens, "dann bin ich der Überzeugung, dass vieles möglich ist", vom Slalom bis zur Abfahrt. Auch wenn sie ihn zuhause dann noch weniger als sonst zu sehen bekommen.

© SZ vom 24.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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