Sixpack:Protest aus Russland

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Nicola McDermott. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Das Tagebuch einer Hochspringerin, ein strickender Wasserspringer und eine erstaunliche Familie aus Norwegen: Gesichter und Geschichten vom olympischen Finale.

Höchstnote

Hochsprung ist ein Ausdauersport. Gehüpft wird kurz, gewartet ewig, muss schließlich jeder an die Reihe kommen. Langeweile plagt Nicola McDermott, 23, trotzdem nicht, die Australierin vertreibt sich die Zeit mit Schreiben, nach jedem Versuch. In Tokio wurde ihr Notizbuch fast berühmter als die Silbergewinnerin selbst. "Ich bewerte meine Sprünge mit Noten von eins bis zehn", sagte sie, jeden Versuch zerlegt sie in seine Komponenten: Anlauf, Absprung, Flug. "Ich trainiere mich damit selber", so McDermott. Was nach Selbstkasteiung klingt, soll sie vor allem davor bewahren, mit den Gedanken beim Warten zu sehr abzuschweifen. 2,02 Meter waren eine neue Bestleistung, getoppt nur von Siegerin Maria Lasitskene (2,04). McDermotts Note? "10 von 10." Saskia Aleythe

Verrückte Kordas

Nelly Korda. (Foto: Kazuhiro Nogi/AFP)

"Keeping up with the Kardashians" hieß eine der erfolgreichsten Reality-Shows in den USA, sie wurde nun eingestellt. Aus der Welt des Sports böte sich eine Ableger-Serie an: "Keeping up with the Kordas!" Vater Petr war Tennisprofi und gewann 1998 die Australian Open. Mutter Regina spielte 1988, auch im Tennis, in Seoul um Medaillen. Sohn Sebastian, 21, schwingt ebenfalls den Schläger. Die Töchter glänzen im Golf. Jessica, 28, wurde in Tokio 15. und fiel Nelly Korda, 23, um den Hals - an dem später die Goldmedaille hing. Die Amerikanerin, Nummer eins der Golfwelt, siegte vor Mone Inami (Japan) und Lydia Ko (Neuseeland) und sagte: "Es ist ehrlich gesagt verrückt." Durchaus. Aber eben auch real - und die Geschichte dieser Familie geht sicher weiter. Gerald Kleffmann

Meisterstück

Jakob Ingebrigtsen. (Foto: Charlie Riedel/AP)

Wenn man Gjert-Arne Ingebrigtsen, den Vater und Trainer des neuen Olympiasiegers Jakob Ingebrigtsen, richtig versteht, war der Erfolg des Filius nur zwangsläufig. Bei Jakobs älteren Brüdern Henrik und Filip hatte der Vater "noch keine Ahnung". Jakob dagegen, der Jüngste der erstaunlichen Lauf-Familie, sei ein Produkt von "angehäuftem Wissen", das Ingebrigtsen senior als Autodidakt über die Jahre erwarb und den Söhnen mit kühler Strenge einflößte. In Tokio erschuf der 20-Jährige dann sein Meisterstück: Über 1500 Meter düpierte er die starken Afrikaner, in 3:28,32 Minuten, Europarekord. Dabei könne der Sohn noch an der Schnelligkeit feilen, fand der Vater. In Tokio reichte es aber auch so zum Sieg: im Schongang auf den letzten Metern. Johannes Knuth

Bestrickend

Tom Daley. (Foto: dpa)

Wasserspringer haben seit jeher mit Klischees zu leben. Hartgesottenen Vertretern der Gattung "Männer gehen nicht zum Kunstspringen" gelten sie als unmännlich, daran kann selbst Action-Macho Jason Statham, ein ehemaliger Wasserspringer, nichts ändern. Und was macht Tom Daley aus Plymouth? Setzt sich in Tokio auf die Tribüne - und strickt seelenruhig einen Pulli. So what? Es ist 2021. Der 27-Jährige, 2009 mit 15 jüngster Weltmeister der Geschichte, ist mit dem Filmemacher und Aktivisten Dustin Lance Black verheiratet. Geoutet hat er sich mit 19, obwohl alle ihm davon abrieten (Was wird die Öffentlichkeit sagen, die Sponsoren?!). In Tokio gewann Daley mit Sprung-Partner Matty Lee Gold vom Turm. Und der Cardigan (s.o.) ist auch fertig. Cool, Mann. Johannes Schnitzler

Historischer Sprint

Allyson Felix. (Foto: Aleksandra Szmigiel/Reuters)

Bei ihrem wohl letzten Besuch auf einem Olympia-Podium sah man Allyson Felix noch mal so, wie man sie seit dem Beginn ihrer Karriere kannte: das US-Sternenbanner über den schlanken Schultern, strahlend, mit einer Medaille um den Hals. Gold mit der 4x400-Meter-Staffel war Felix' elfte Olympiaplakette, sie ist damit die erfolgreichste Leichtathletin der Olympia-Geschichte, besser als der große Carl Lewis. Selbstverständlich war das alles nicht, nach einer Not-Operation während ihrer Schwangerschaft vor zwei Jahren, bangen Momenten, ob Felix es schaffen würde, der Trennung von Ausrüster Nike, der ihr wegen der Auszeit die Bezüge eindampfen wollte. Das Allergrößte, betonte die 35-Jährige in Tokio, sei der Umstand, "dass ich überhaupt zurückgekommen bin". Johannes Knuth

Graziös

Linoy Ashram. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Mit Grazie zu verlieren, erfordert ein gewisses Training, auch in der graziösen Rhythmischen Sportgymnastik. Und womöglich fehlte es dem Russischen Olympischen Komitee nur an Übung im Umgang mit Niederlagen nach 21 Jahren Dauersiegen mit Reifen, Ball, Keulen und Band. Dem Gold von Linoy Ashram, 22, aus Israel folgte jedenfalls geharnischter russischer Protest. Das NOK, sogar ein Sprecher des Außenministeriums äußerten Kritik. Verbandschefin Irina Winer empörte sich über angebliche Ungerechtigkeit und warf den Juroren "eklatante Fehler" vor. Ashram fiel kurz das Band aus der Hand, aber ihr Vorsprung im Vierkampf war groß genug, um Russlands Dina Awerina abzufangen. Israel, im Siegen ungeübt, hat nun seine erste Olympiasiegerin. Barbara Klimke

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