Silber bei der Beachvolleyball-WM:Mit dem Fahrrad zur Medaille

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(Foto: Christian Charisius/dpa)

Unbekümmert, variantenreich und "sehr weit für ihr Alter": Das Duo Julius Thole und Clemens Wickler steigert sich bei der WM in einen Rausch. Erst im Finale gegen Russlands Spitzen-Duo erreicht es seine Grenzen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Am Ende gab es nur Silber, aber auch darüber waren Julius Thole und Clemens Wickler glücklich. Die neuen Beachvolleyball-Weltmeister sind zwar nach verdientem 19:21, 21:17, 15:11-Sieg Wjatscheslaw Krasilnikow und Oleg Stojanowski aus Russland, aber die WM im Tennisstadion am Hamburger Rothenbaum blieben doch Thole-Wickler-Festspiele. Das Duo hat die Experten so begeistert, dass sie (nicht nur) für den neuen Sportdirektor Beach beim Deutschen Volleyball-Verband, Niclas Hildebrand, das neue "Aushängeschild" der Sportart ist. Julius Brink, Olympiasieger von 2016 (mit Jonas Reckermann) und Mentor der beiden, traut ihnen nun einen Erfolg bei Olympia 2020 in Tokio zu - obwohl man beim DVV eigentlich erst für 2024 mit dem 22 und 24 Jahre alten Duo gerechnet hatte, wie Hildebrand verriet. Das Team, das letztlich im Finale an den Aufschlagmaschinen Krasilnikow und Stojanowski (Thole: "Die Aufschläge waren Hämmer") scheiterte, hat die WM-Bilanz des Deutschen Volleyball-Verbandes aufgehübscht. Denn die Beach-Sparte befindet sich in einer teils hausgemachten Krise, weil man jahrelang ein besseres Fördersystem verpasste. Das wurde bei den Frauen deutlich, deren Teams früh ausschieden inklusive der Werbefigur Laura Ludwig mit ihrer neuen Partnerin Margareta Kozuch. Selbst Hildebrand hatte Thole und Wickler schon am Freitag "Weltklasse" bescheinigt, nach dem Sieg über Brasiliens Olympiasieger von 2016, Alison Cerutti, und seinen neuen Partner Alvaro Filho. Aber das war nur eines von fünf fantastischen Spielen in vier Tagen gegen hochdekorierte Gegner. Nur der letzte war zu stark, weil Blocker Julius Thole fast überhaupt nicht am Netz agieren konnte gegen die bisherige Nummer drei der Welt.

Schon am Donnerstag hatten die Deutschen höchste Qualität gezeigt gegen die niederländischen Weltmeister von 2013, Alexander Brouwer und Robert Meeuwsen. Am Samstag dann waren die amerikanischen Altmeister Phil Dalhausser und Nick Lucena (USA) im Viertelfinale nicht stark genug, sie geizten später nicht mit Komplimenten. "Sie sind sehr weit für ihr Alter", sagte Dalhausser. Als er selber 22 Jahre alt war, habe er "nur draufgehauen". Aber dieses deutsche Duo habe bei jedem Problem eine Antwort gehabt.

Das Duell entsprach einer Wachablösung. Die inzwischen 39-jährigen Amerikaner waren in der Jugend einmal die Helden der Deutschen gewesen. Jetzt hat vor allem Thole mit wiederum acht Blocks sein Vorbild Dalhausser (nur drei) beherrscht. Und dann kam das Halbfinale am Samstagabend gegen die norwegischen Weltranglisten-Ersten Anders Mol und Christian Sörum, die zuletzt acht Turniere hintereinander gewonnen hatten. In diesem hochklassigen Netz-Fight zeigte sich wieder die Variabilität der Deutschen.

In der entscheidenden Phase im Tiebreak wechselte Wickler die Aufschlagtechnik und brachte die Norweger beim Stand von 11:11 derart durcheinander, dass sie ihre coole Taktik nicht mehr durchziehen konnten. "Normalerweise trifft Clemens seine Sprungaufschläge nie. Und dann haut er die im WM-Halbfinale einfach mal raus", juxte Thole. Wickler wiederum erinnerte sich an seinen Mentor Markus Dieckmann. Der sage ihm manchmal, "dass man in solchen Situationen auch mal etwas riskieren muss". Auch gegen die Russen sicherte er den knappen Satzgewinn mit einem Sprungaufschlag.

Die professionellen Anheizer rund ums Sandfeld waren bei den Auftritten von Thole/Wickler überflüssig. 12 000 Fans sangen immer wieder ihre Namen. "Wir haben das alles aufgesogen", sagte Thole, der fortwährend grinste. Am Wochenende bildeten sich lange Schlangen vor den Toren der Arena. In zehn Tagen wurden mehr als 140 000 Beachvolleyball-Freunde gezählt, was besonders mit den Studenten Thole (Jura) und Wickler (BWL) zu tun hatte. Die sind am Rothenbaum nun in eine Kategorie mit Fanliebling Boris Becker aufgestiegen - nur dass beim Tennis ("Quiet please") weniger Lärm gemacht wird.

Wie populär die für den Eimsbütteler TV startenden Beachvolleyballer in Hamburg schon sind, zeigte eine Radio-Umfrage des NDR. Eine Anhängerin meinte, sie könnte "die beiden Knuddeln", weil sie so bodenständig, fair und eloquent seien. Thole, der von seiner WG in Wandsbek aus zum Rothenbaum radelte, und Wickler sind selbst überrascht über ihre rapide Entwicklung. Erst seit Herbst 2017 sind sie vom DVV zwangsvereinigt worden. Der Aufstieg in die Weltspitze begann im August 2018. Da überraschten sie mit Rang vier im Welttour-Finale, ebenfalls in Hamburg. Der Start war nur möglich mit einer Wildcard. Seitdem ist das passiert, was Wickler nun als "Märchen" beschrieb. Neben Trainer Martin Olejnak, der sie stets perfekt eingestellt habe, wie beide betonten, ist nun auch noch der Olympiasieger-Macher Jürgen Wagner (Brink/Reckermann, Ludwig/Walkenhorst) als Athletik-Experte dazu gekommen. Und die Psychologin Anett Szigeti hat ebenfalls einen besonderen Platz. Auch ihr ist es zu verdanken, dass der Abwehrspieler Wickler und der clevere Blocker Thole selbst dann meist optimistisch bleiben, wenn es mal nicht so gut läuft. Gegen die Russen nützte das aber nichts. Vor allem Julius Thole kam offenbar an seine Grenzen. Er musste im Tiebreak eine medizinische Auszeit nehmen - Kreislaufprobleme.

© SZ vom 08.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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