Serie: Der Glanz von einst (5):Für die Chronik

Lesezeit: 4 min

Der zweimalige deutsche Eishockey-Meister Landshut ist nur knapp einer Insolvenz entgangen. Der EVL ist nicht der einzige bayerische Klub, der einer unsicheren Zukunft entgegentaumelt.

Von Johannes Schnitzler

Die Wochen vor Weihnachten waren alles andere als besinnlich oder still in Landshut. Und schon gar nicht klangen die Glocken süßer denn je, sondern schrill im Alarmton. Anfang November machte das Fachblatt Eishockey News öffentlich, dass dem EV Landshut respektive der für seine Oberliga-Mannschaft zuständigen Landshuter Eishockey-Spielbetriebsgesellschaft (LES) "offenbar kurzfristig an die 150 000 Euro" fehlten, um den Spielbetrieb fortzusetzen. Das böse Wort Insolvenz schwebte als Drohung über dem deutschen Meister der Jahre 1970 und 1983, so tief, dass in Landshut vorsichtshalber alle die Köpfe einzogen. Und das gerade einmal 15 Monate, nachdem dem EVL schon die Lizenz für die zweite Liga verweigert und er zum Abstieg in die dritte Liga verdonnert worden war. Die Gerüchte, dass Landshut trotz einer Finanzspritze und des Verzichts des bisherigen Alleingesellschafters Rainer Beck auf die Rückzahlung von Darlehen weiter unter einem Defizit in sechsstelliger Höhe ächze, kursierten seitdem unablässig. Der einzige, der den Kopf reckte, war Geschäftsführer Stefan Endraß, 34, Diplom-Kaufmann und ehemaliger Eishockeyprofi.

Der gebürtige Allgäuer verließ seinen Posten als Marketing-Direktor beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB) und versuchte sich in Landshut als Feuerwehrmann. Endraß trat so viele Brände aus, wie man das mit Schuhgröße 44 kann. Auf die erwähnte Pressemeldung reagierte er noch am selben Tag mit einer Stellungnahme: "Es ist richtig, dass wir derzeit einen Liquiditätsengpass zu überbrücken haben. Der genannte Betrag entspricht allerdings nicht den Tatsachen." Die Situation sei schwierig, "jedoch nicht aussichtslos".

Endraß schloss mit einem Appell: "Lasst uns weiterhin alles geben und positiv bleiben!" In der Vergangenheit sei "beileibe nicht alles gut" gewesen - die Vergangenheit, das war vor allem Endraß' Amtsvorvorgänger Christian Donbeck. Ihm stehe es aber auch nicht zu, darüber zu urteilen. "Aktuell zählt nur die Gegenwart." Wie zur Bekräftigung schickte die LES zwei Tage später die Nachricht von der Verpflichtung eines neuen Kontingentstürmers hinterher: Seht, wir sind handlungsfähig!

1 / 1
(Foto: imago)

Die prägenden Spieler ihrer Zeit: Erich Kühnhackl (Mitte) gewann 1970 mit dem EV Landshut eine seiner insgesamt vier deutschen Meisterschaften.

1978 feierte der inzwischen verstorbene Kapitän Berthold "Buale" Hartelt (rechts) mit dem SC Riessersee den Titel.

Zwei Wochen später kollektives Aufatmen bei dem Klub, der Vereinsheilige wie Erich und Tom Kühnhackl, Alois Schloder und Bundestrainer Marco Sturm hervorgebracht hat: Die Stadt Landshut gewährte dem Klub einen weiteren Zahlungsaufschub. Schulden in Höhe von rund 90 000 Euro unter anderem für die Stadionpacht darf die LES nun bis 2019 in Raten abstottern. Andernfalls hätte die Stadt die Spieleinnahmen pfänden lassen können, was wohl gleichbedeutend mit dem Aus für das Landshuter Profi-Eishockey gewesen wäre. "Ich finde die Entscheidung richtig", sagte OB Hans Rampf der Landshuter Zeitung. "Wir können die LES wegen dieser Altlasten doch nicht hopsgehen lassen."

Der EHC Klostersee hat Ende vergangener Saison keine Lizenz mehr beantragt

Landshut ist beileibe nicht der einzige Klub mit Vergangenheit, der in der Gegenwart einer unsicheren Zukunft entgegen taumelt. Die ehemaligen deutschen Meister Riessersee (zehn Titel) und Rosenheim (drei) haben sich in der DEL2 eingerichtet, wobei es der einstigen Skandalnudel SC Riessersee nach turbulenten Jahren vergleichsweise gut geht. Das Team von Klubikone Tim Regan, der nach etlichen Trainerwechseln seine zweite Saison als Verantwortlicher an der Bande bestreitet, liegt auf Playoff-Kurs und kann dank der Kooperation mit em deutschen Meister EHC Red Bull München auf hochkarätige Talente zugreifen. Rosenheim hat sich 15 Jahre nach dem Rückzug aus der DEL und dem Neuanfang in der Bezirksliga ebenfalls etabliert. Zuletzt musste der 16-malige deutsche Meister EV Füssen ganz unten neu beginnen. Derzeit streifen die "Leoparden" durch die Landesliga.

In der Oberliga sind unter anderem die Tölzer Löwen, zweimal deutscher Meister, schon froh, dass ihnen Landshut als namhafter Gegner erhalten geblieben ist. "Es gibt diese Woche auch positive Nachrichten aus der Oberliga", schrieben die Verantwortlichen auf der Tölzer Facebook-Seite, als Mitte Dezember die Insolvenz der LES abgewendet war. Jedes Heimspiel weniger bringt die Klubs an der Schnittstelle zwischen Amateur- und Profisport nicht unbedingt in Existenz-, aber in Erklärungsnot. Ohne Fernsehgeld muss jeder Sponsoren-Euro doppelt hart erarbeitet werden.

Sein Sanierungskonzept und die beharrliche Dialogarbeit von Endraß, der mit allen Gläubigern Gespräche geführt hatte, retteten dem EVL zumindest diese Saison. Endraß hatte mit der richtigen Dosis Dramatik einen Schuldenschnitt als "letzte Chance für Landshut" bezeichnet. In der Tat verzichten die Gläubiger auf 80 Prozent ihrer Forderungen, insgesamt rund 480 000 Euro. Nun könne eine "nachhaltige Sanierung" gelingen, hieß es in der Mitteilung des EVL. 480 000 Euro sind mehr, als die meisten Oberligisten an Etat für eine komplette Saison zur Verfügung haben. Während die einen Endraß zu seinem diplomatischen Geschick gratulierten, kritisierten andere die "Lex Landshut". Denn auch die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, die etwa die Bezahlung langzeitverletzter Spieler übernimmt, hatte auf Forderungen verzichtet. Der EHC Klostersee hat zum Ende der vergangenen Saison die Konsequenzen gezogen und keine neue Lizenz beantragt. Die Liga konnte nur stabilisiert werden, indem drei Bayernligisten mithilfe finanzieller Entgegenkommen zum Aufstieg überredet wurden. Mitte Dezember meldete der EHV Schönheide Insolvenz an.

Drei Tage vor Weihnachten dann die nächste Überraschung: Andres als angekündigt stellte der EHV den Spielbetrieb nicht ein, sondern will bis zum Saisonende weitermachen - obwohl sich bereits einige Spieler anderen Vereinen angeschlossen haben. DEB-Vizepräsident Marc Hindelang sagte: "Die Prüfung der Durchführungsbestimmungen durch die Rechtsabteilung des DEB hat ergeben, dass es keine andere Entscheidung geben darf. Ein Insolvenzantrag allein ist kein Ausschlussgrund." Dass Schönheide die sofortige Einstellung des Spielbetriebs mitgeteilt habe, "hat aber natürlich für Unruhe gesorgt und war im Rückblick sehr unglücklich und offenbar auch verfrüht." Das abgesagte Spiel des EHV bei den Tölzer Löwen wird am 10. Januar nachgeholt.

In Bad Tölz wollen sie nach zwei eigenen Insolvenzen in den Nullerjahren in die zweite Liga zurück. Spätestens 2018 soll es soweit sein. Momentan liegen die Löwen in der Spitzengruppe. Wie es in Landshut weitergeht, will man beim EVL erst zu Beginn des neuen Jahres diskutieren. So lange wird auch Alois Schloder warten müssen. Der Alt-Internationale arbeitet seit Jahren an einer Chronik über seinen EVL, 2017 wird Schloder 70. Was ihm bislang fehlte, ist ein würdiges letztes Kapitel.

© SZ vom 03.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: