Seleção:Das Versprechen des alten Wolfs

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Brasiliens Nationaltrainer Parreira kündigt an, den Titel zu holen - doch Ronaldinho macht das nicht nervös.

Javier Cáceres

Den Flieger nach Europa bestieg Mario Zagallo, Technischer Koordinator der brasilianischen Nationalmannschaft, mit einer Miniatur des Heiligen Antonius in der Hand; der frühere Fußballweltmeister, den sie auch O Lobo nennen ("alter Wolf"), hält große Stücke auf den Patron der Reisenden.

So weit ersichtlich, leistete São Antonio beste Dienste; wie die Nachrichtenagenturen rapportierten, landete die in Rio de Janeiro gestartete Maschine gestern Mittag unbeschadet in Zürich. Von dort ging nach siebenstündigem Flug die Reise weiter bis nach Weggis bei Luzern, wo zu Ufern des Vierwaldstätter Sees der offizielle Teil der Mission Titelverteidigung beginnen soll.

Neben Zagallo befanden sich Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira sowie sein technischer Staff an Bord, ebenso ein Dutzend Hochbegabter vom Schlage eines Ronaldinho (FC Barcelona) und Adriano (Inter Mailand), Juan (Bayer04 Leverkusen), Gilberto (Hertha BSC Berlin), Ricardinho, Emerson und Júlio César; Robinho, Roberto Carlos und Cicinho (Real Madrid), Cris, Rogério Ceni und Luisão waren schon in São Paulo eingestiegen.

Mission "Hexacampeão"

Der Rest der Truppe, die vom Vaterland die Mission "Hexacampeão" - sechster Titelgewinn - auferlegt bekommen hat, steuerte Weggis aus diversen Luxus-Urlaubsorten an. Fachkraft Ronaldo von Real Madrid war neben Kaká, Dida und Cafú (AC Mailand) sowie Zé Roberto und Lúcio vom FC Bayern München unter den ersten Spielern, die im "Park Hotel" in Weggis eincheckten.

Eine Firma namens Attaro/Kentaro AG hatte sie an den idyllischen Ort vermittelt. Nach eigenen Angaben zahlte sie 1,2 Millionen Dollar (940.000 Euro) an den brasilianischen Fußball-Verband (CBF), dazu übernahm sie die Logis in der Fünfsterne-Absteige (600.000 Franken).

Im Gegenzug partizipiert sie üppigst am 10-Millionen-Umsatz des Trainingslagers, das auch zwei Testspiele umfasst - am 30. Mai in Basel gegen eine Auswahl von Mannschaften aus Luzern sowie am 4. Juni in Genf gegen Neuseeland.

Es werden die ultimativen Tests vor dem WM-Start sein, der die Brasilianer schon jetzt euphorisiert. "Natürlich verspreche ich o Hexa", den sechsten Titelgewinn also, rief O Lobo, ehe er den Flieger nach Europa bestieg. "Oder habt Ihr etwa geglaubt, dass ich ohne ein Versprechen für Euch boarden würde?"

Natürlich nicht, mit weniger als dem Titelversprechen gibt sich der Brasilianer nicht zufrieden. Andererseits: So richtig können sie ihre Flugzeuge im Bauch nicht wegdiskutieren. Ein anderer berühmter früherer Weltmeister, Pelé, schlotterte in London mit den Wangen ("Im Weltcup hat sich nie der Favorit durchgesetzt"), und auch Stürmer Adriano gestand am Vorabend seiner ersten WM offen ein, nervös zu sein.

"Natürlich bin ich aufgeregt, ich habe immer eine Weltmeisterschaft spielen wollen, und ich möchte diesen Wunsch mit dem Gewinn des Titels krönen", sagte der zuletzt formschwache Stürmer von Inter Mailand. Trainer Parreira sprach sogar von "Angst und Anspannung, von diesem Gefühl der Kälte im Bauch".

Doch ehe darob in Brasilien Panik entstehen konnte, fügte er rasch hinzu, dass ihn niemand falsch verstehen dürfe: "Ich spreche nicht von dieser Angst, die einschüchtert, sondern von jener, die Mut macht, Herausforderungen zu bestehen."

Ach so. Entscheidender sind eh die Spieler, und diese nehmen das Attribut Favorit offenbar mit der gleichen Selbstverständlichkeit hin wie die heißen Küsse der weiblichen Fans am Flughafen "Antonio Carlos Jobim" in Rio.

An Barcelonas Mittelfeldspieler Ronaldinho, der Kraft seiner Magie dazu auserkoren wurde, die Nummer 10 zu tragen, scheint die Verantwortung abzuperlen wie ein Tropfen Wasser an einer teflonbeschichteten Pfanne.

Rasen wie in der Münchner Arena

Dass man gerade von ihm viel erwarte, sei "normal", sagte er. "Doch Verantwortung haben wir alle. Alle Spieler sind wichtig."

Wichtiger ist vorerst jedoch ein Mann mit schütterem Haar namens Moracy Sant'anna, er ist der Konditionstrainer der Brasilianer. Am heutigen Dienstag werden sich die Spieler der seleção unter seiner Aufsicht eingehenden klinischen und physischen Untersuchungen unterziehen.

Erst für Mittwoch ist das erste Fußballtraining vorgesehen, das vor 5000 Zuschauern auf dem Platz des Drittligisten WeggiserSC stattfinden wird.

Aus gegebenem Anlass wurde der Rasen auf das gleiche Format getrimmt wie die Münchner Arena, dort tragen die Brasilianer am 18.Juni gegen Australien ihr zweites Gruppenspiel aus. Kosten für den Spaß: 1,7 Millionen Franken (1,1 Millionen Euro).

Rundum zufrieden sind die Brasilianer aber nicht: "Die Sonne", so teilte ein Chronist der Tageszeitung O Globo seinen Lesern traurig mit, "kann man nicht kaufen." Gestern, zur Ankunft seiner Seleção, schien sie, immerhin.

© SZ vom 23.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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