Seitenflügel:Das Prinzip Hoffnung

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Nach dem Debakel gegen Italien tut der Bundestrainer in der ARD so, als ob er noch alle Zeit dieser Welt hätte. Doch die Uhr läuft gegen den Berufsoptimisten Klinsi.

Paul Katzenberger

Jürgen Klinsmann kann sich nicht beschweren: ARD-Moderatorin Monica Lierhaus nahm zwar kein Blatt vor den Mund, aber allzu heftig ging sie den Bundestrainer nach dem verkorksten WM-Testspiel gegen Italien nicht an: "Ein ziemliches Debakel", leitete sie ihre erste Frage ein und packte ihr Entsetzen über die undiskutable Vorstellung der DFB-Elf damit in moderatere Formeln als etwa Dauernörgler Netzer bei seiner Analyse des Spiels ("Nichts und keiner gefällt", "es ist alles falsch").

Zweifel - aber nur im Blick: Jürgen Klinsmann. (Foto: Foto: dpa)

Bei so viel Herzlichkeit konnte Klinsi fast gar nicht anders als die "Ohrfeige" von Florenz zu relativieren. Der Zuschauer gewann geradezu den Eindruck, dass da ein vergnügter Mann steht, der es im Rahmen seines "Entwicklungsprozesses" eigentlich ganz lustig findet, "mal eine auf die Mütze" zu kriegen. Denn aus dieser "Lektion" sei ja schließlich auch "gehörig viel zu lernen".

Optimismus und Treueschwüre

Die Unerschütterlichkeit, die der Bundestrainer so routiniert demonstrierte, gehört in einer schweren Stunde zum Geschäft. Insofern blieb Klinsmann gar nichts anderes übrig als Optimismus auszustrahlen und Treueschwüre auszustoßen.

Dennoch stand diese Bestandsanalyse natürlich in absurdem Gegensatz zur ganzen Inszenierung rund um dieses Spiel. In ganz Deutschland wird inzwischen alles dafür getan, die kommende WM in einen einzigen riesigen Hype zu verwandeln. Die ARD trug an diesem Abend ihren Teil dazu bei, indem sie den Zuschauer keine Sekunde lang vergessen ließ, dass es ja nur noch 100 Tage bis zum Anpfiff des Mega-Events sind.

Hohe Erwartungen

Für Klinsi heißt das: Die Zeiten, in denen sich der beherzte Ex-Stürmer auf das adoleszente Entwicklungsstadium seines Teams berufen kann, neigen sich inzwischen gefährlich nahe dem Ende zu. Wer selbst die Erwartung schürt, zumindest zum erweiterten Favoritenkreis dieser WM zu gehören, von dem kann erwartet werden, dass er knapp drei Monate vor dem eigentlichen Showdown die größten Entwicklungsschübe hinter sich gebracht hat: Feinschliff ja, Anfängerfehler nein.

Wenn eine Mannschaft aber ganz offensichtlich die Abseitsfalle nicht beherrscht, darf von fundamentalen Mängeln gesprochen werden. Insofern bewies der Bundestrainer mit seiner Berufung auf eine noch nicht abgeschlossene Entwicklung sogar einen gewissen Realitätssinn. Das Problem dabei: Schon in wenigen Tagen wird das niemand mehr hören wollen.

Denn von ihrer Nationalmannschaft verlangen die Deutschen nichts Geringeres als größte Erfolge. Das steht zwar in einem gewissen Gegensatz zu den gegen Italien und bei anderen Gelegenheiten gezeigten Leistungen. Eine gewisse Berechtigung ist diesem Anspruch gleichwohl nicht abzusprechen.

Unangefochtener Nationalsport Nummer eins

Schließlich ist Fußball im großen und reichen Deutschland unangefochtener Nationalsport Nummer eins. Kein Sportverband dieser Welt ist größer als der Deutsche Fußballbund. Jedes noch so kleine Dorf ist durch einen Verein vertreten. Die Bundesliga zählt zu den vier oder fünf professionellsten Fußballwettbewerben der Welt. Jedes Jahr wird ihr eine nahezu unwirkliche Aufmerksamkeit durch die Medien zuteil. Am Geld sollten deutsche Erfolge also nicht scheitern.

Hinzu kommt eine stolze Tradition: Drei gewonnene Weltmeisterschaften haben Deutschland neben Brasilien und Italien zu den elitärsten Großmächten dieser Sportart aufrücken lassen.

Vor diesem Hintergrund haben die Deutschen ohnehin nur zähneknirschend zur Kenntnis genommen, dass sich ihre im Neuaufbau befindliche Elf zuletzt aus dem Kreis der großen Fußball-Nationen verabschiedet hat. Spätestens wenn die WM am 9. Juni angepfiffen wird, will die geschundene Nationalseele diese Schmach aber überwunden wissen. Jürgen Klinsmann hat noch einiges zu tun.

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