Sechste Etappe:In Schlangenlinien ins Gelbe Trikot

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Erfolgreiche Qual: Giulio Ciccone holt das Gelbe Trikot. (Foto: CHRISTIAN HARTMANN/REUTERS)

Nach dem ersten großen Schlagabtausch der Tour übernimmt der Italiener Giulio Ciccone die Gesamt-Führung mit einem minimalen Vorsprung.

Von Johannes Aumüller, Champagney

Irgendwann kam der Moment, in dem Giulio Ciccone nicht mehr geradeaus fahren konnte, sondern sich nur noch in Schlangenlinien auf seinem Fahrrad fortbewegte. Der Italiener war auf den letzten Metern der Vogesen-Etappe am Donnerstag nach La Planche des Belles Filles, und diese letzten Meter gingen nicht mehr über eine richtige Straße, sondern über einen Schotterweg - und das auch noch mit Steigungsraten von bis zu 24 Prozent. Es war einer der Momente, in denen sich die Frage aufdrängt, ob das noch Radsport ist, wenn Organisatoren ein Peloton über einen solchen Abschnitt hinaufscheuchen, aber darüber konnte Ciccone, 24, selbst da nicht mehr nachdenken.

Den Fluchtkollegen Dylan Teuns (Belgien, Bahrain-Merida) konnte er am Tagessieg auch nicht mehr hindern. Und vermutlich war er nach der Ziel-Durchfahrt nicht mal mehr in der Lage, das zu tun, was nun geboten war: die Sekunden zu zählen. Die Sekunden, die es dauerte, bis der bisherige Gesamtführende Julian Alaphilippe ins Ziel kam. Exakt 95 waren es - und damit übernahm Ciccone aus dem Team Trek mit einem winzigen Vorsprung von sechs Sekunden das Gelbe Trikot.

Der erste große Schlagabtausch der Favoriten sollte dieser sechste Abschnitt der Tour quer durch die Vogesen und über gleich sieben Bergwertungen sein. Es wurde dann eine Etappe, in der sich die Klassementfahrer recht lange zügelten - und in der sich auch das favorisierte Team Ineos weitgehend zurückhielt. Erst auf dieser unmenschlichen Passage über den Schotter zerfiel die Gruppe der Spitzenfahrer, weswegen es nur zu überschaubaren Abständen kam. Aber ein bisschen Aussagekraft bargen die dann schon.

Der britische Vorjahressieger Geraint Thomas (Ineos) erwies sich als der beste aller Klassementfahrer, und es dürfte ihn nicht zuletzt gefreut haben, dass er neun Sekunden vor seinem Teamkollegen Egan Bernal (Kolumbien) ins Ziel kam. Denn die Hackordnung in der Equipe ist noch nicht bestimmt. Der Franzose Romain Bardet (Ag2r) wiederum war der große Verlierer des Tages, weil er auf Thomas im Schlussanstieg eine Minute einbüßte - und wegen seines schlechten Teamzeitfahrens insgesamt schon zwei Minuten zurückliegt. Dazwischen gab es dann eine Reihe ambitionierter Fahrer, die recht zufrieden sein konnten mit ihrem Auftritt, darunter auch der Deutsche Emanuel Buchmann (Bora), der als Achter und zeitgleich mit Nairo Quintana (Movistar) ins Ziel fand.

Ziemlich geärgert haben dürfte sich aber Julian Alaphilippe. Dass der Klassikerspezialist sein Gelbes Trikot würde abgeben müssen, war ja durchaus wahrscheinlich gewesen. Aber eher an einen der Tour-Favoriten - und nicht an einen Ausreißer wie Ciccone. Doch Alaphilippes Quick-Step-Mannschaft machte den Fehler, dass sie einer Fluchtgruppe einen zu großen Vorsprung einräumte. Da half es dem Franzosen auch nichts, dass er überraschenderweise fast zeitgleich mit Geraint Thomas ins Ziel kam: Er war um sechs Sekunden zu spät dran. Am Freitag steht eine Flachetappe nach Chalon-sur-Saône an, aber auf den beiden hügeligen Etappen am Wochenende ist durchaus damit zu rechnen, dass Alaphilippe angreifen wird, um sich Gelb wieder zurückzuholen.

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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