Sebastian Deisler:"Eine ganz natürliche Reaktion"

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Der Arzt des Nationalspielers, Florian Holsboer, sieht keinen Grund, von einem Rückfall in die Krankheit zu sprechen.

Von Andreas Burkert und Philipp Selldorf

Im Prinzip, so schickte die Sprecherin des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie energisch voraus, habe die Klinik "kein Mitteilungsbedürfnis", was den gesundheitlichen Zustand ihres Patienten Sebastian Deisler betreffe.

"Eine ganz natürliche Reaktion". Deislers Arzt, Professor Florian Holsboer über den Zustand des Nationalspielers. (Foto: Foto: dpa)

Doch weil die Reporter seit dem frühen Morgen mit ihren Fragen keine Ruhe gegeben hatten und mehrere Kamerateams das Haus in Nord-Schwabing belagerten, in dem Deisler im vergangenen und in diesem Jahr wegen Depressionen behandelt wurde, trat Institutsdirektor Professor Florian Holsboer um 14 Uhr mit einer Erklärung vor die Presse.

Holsboer war vor allem daran gelegen, die öffentlichen Spekulationen zu beruhigen, die bereits am Dienstag unselige Schlagzeilen hervorgebracht hatten ("Deisler wieder in der Psychoklinik").

Deislers überstürzte Heimreise nach München, nur drei Stunden nach der Ankunft mit der Mannschaft zur Vorbereitung auf das Europacupspiel in Turin, war in den Medien allgemein als Rückfall in die überwunden geglaubte Krankheit gewertet worden.

Doch Schlussfolgerungen, dass der Nationalspieler des FC Bayern abermals von den Depressionen eingeholt worden sei, wies Holsboer zurück. "Man soll daraus jetzt keine Sensation machen. Es ist ganz normal, dass man bei Menschen, die so eine schwere Krankheitsperiode hinter sich haben, das ein oder andere Symptom wieder aufflackern sieht", sagte er.

Vermutungen eines Rückfalls seien "gegenstandslose Überlegungen", vielmehr handele es sich "um eine ganz natürliche Reaktion" auf ein spezielles Krankheitsbild, das nicht nur von den Depressionen, sondern auch von früheren orthopädischen Problemen gekennzeichnet sei.

Der Arzt spielte damit auf die Knieverletzungen an, die zu kurieren Deisler, 24, fast zwei Jahre seiner immer noch jungen Karriere kosteten und für ihn eine ungewöhnlich schwere Belastung bedeuteten.

Holsboers Erklärung beruhte allerdings auf einer indirekten Diagnose. Bis gestern Nachmittag hatte er seinen Patienten, den er im April für "vollständig geheilt" erklärt hatte, noch nicht gesehen. Anders als vom FC Bayern annonciert, hatte sich Deisler auch nicht sofort in die Klinik begeben, stattdessen fuhr er nach Hause.

Uli Hoeneß sah "gewisse Anzeichen"

Ein Gespräch mit Holsboer war jedoch verabredet. Zwangsläufig rief Deislers Heimreise große Sorgen beim FC Bayern hervor. Manager Uli Hoeneß, der mit Deislers Fall mehr vertraut ist als jeder andere im Verein, sagte in Turin, er habe bereits vor zwei Wochen "gewisse Anzeichen" wahrgenommen.

"Man beobachtet ja, wie sich einer gibt im Gespräch, wie einer einen anschaut", erklärte Hoeneß, doch auf Nachfragen habe Deisler nicht reagiert, "und dann hatte ich den Eindruck, dass sich die Lage wieder etwas beruhigt."

Deislers schwankende Stimmungen lassen sich, wie Holsboer zu verstehen gab, durchaus auf den sportlichen Alltag des Spielers zurückführen. Eine "kleine Verschlechterung" sei möglich, "wenn er mal nicht gut spielt, wenn er unter Druck gerät, wenn er mal auf der Tribüne sitzen muss und mit seinen Leistungen nicht zufrieden ist".

Dass Deisler zuletzt nicht den eigenen Ansprüchen genügt hatte und dass ihm das zu schaffen machte, darüber war Holsboer bereits informiert. Schon vor knapp einem Jahr, wenige Tage nachdem er die Behandlung aufgenommen hatte, hatte Holsboer erkannt: "Fußball ist für Sebastian Deisler alles - auch während der Krankenzeit."

Für Trainer Felix Magath ergibt sich daraus keine einfache Situation. Beim Punktspiel gegen Freiburg hatte er Deisler auf die Tribüne verbannt, am Samstag gegen Schalke nahm er ihn zur Halbzeit vom Feld. Diese gewöhnlichen Trainer-Entscheidungen geraten nun in ein besonderes Licht.

Magath ist nachdenklich geworden. "Er war im September schon nicht mehr so offen wie noch im Juli während der Vorbereitungszeit, er hat sich verändert", sagte er in Turin. Magath führte das jedoch auf den gewöhnlichen sportlichen Prozess zurück, dem Deisler unterworfen ist.

Noch im September hatte der Trainer mit Hinweis auf die lange Pause des Spielers vor einer Überbelastung gewarnt und davon abgeraten, ihn zur Nationalmannschaft einzuladen.

Allerdings ergaben sich keinerlei Indizien, dass Deisler die Länderspiele geschadet haben könnten. Auch die Partie mit der Nationalmannschaft in Teheran hatte er gern mitgemacht. Er freue sich auf die neuen Eindrücke und ein außergewöhnliches Spiel, erzählte er.

Langer Genesungsprozeß

Wann Deisler nun auf das Fußballfeld zurückkehrt, bleibt offen. "Sebastian gibt das Tempo vor. Wir - Felix Magath, Uli Hoeneß und ich - nehmen sein Tempo auf und nehmen Rücksicht. Wir müssen behutsam mit ihm umgehen", sagte Holsboer.

Die Krankheit müsse "wohl immer weiter bekämpft werden, das ist ein langer Prozess", meint Hoeneß, "aus meiner Laiensicht ist eine Heilung, dass nie mehr etwas auftreten kann, schwierig."

Der Bayern-Manager ist jedoch zuversichtlich: "Ich kann mir schon vorstellen, dass Sebastian jetzt damit anders umgeht. Damals war er unvorbereitet, jetzt bekommt er das schneller in den Griff - sage ich aus meiner Laienposition."

© SZ vom 20.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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