Schwimmen:Ansporn für den Kopf

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Die 4 x 200-Meter-Freistil-Mixed-Staffel wurde gerade erst erfunden - schon holen vier junge Deutsche EM-Gold in Glasgow. Eine Wende fürs deutsche Schwimmen ist das eher nicht. Aber Zeichen für einen Stimmungsumschwung.

Von Saskia Aleythe, Glasgow

Es gibt nun ein Foto von dieser Schwimm-EM in Glasgow, das gleich mehrere Geschichten erzählt. Jacob Heidtmann ist darauf zu sehen, wie er die Muskeln anspannt und den Mund aufreißt, neben ihm blickt Reva Foos fast geschockt zu Schlussschwimmerin Annika Bruhn, die ungläubig im Wasser wieder zu Atem kommt. Und Henning Mühlleitner, der nun schon zwei Medaillen in Schottland gewonnen hat, hat sich beim Jubeln Foos gegriffen und lässt sie nun ein paar Meter über dem Boden schweben. Es ist ein Foto, das sagt: Läuft ganz gut bei ihnen.

Die letzten Fotos deutscher Schwimmer, etwa von der WM in Budapest vor einem Jahr, sagten noch: Bloß ab nach Hause.

Noch auf der vorletzten Bahn hatte Bruhn hinter Viktoria Andrejewa gelegen, doch die Wende gelang der Russin so schlecht, dass Bruhn die Chance ergriff und die deutsche Mixed-Staffel über 4 x 200 Meter Freistil zu EM-Gold führte, während sich Startschwimmer Heidtmann heiser schrie. Auch auf den Tribünen machten die anderen deutschen Kollegen laut Stimmung, eine Deutschlandfahne war über mehrere Sitzreihen gespannt. "Wir hatten vorher mit Bronze geliebäugelt", sagte Bruhn, "dass es jetzt der erste Platz wird, damit hätten wir alle nicht gerechnet. Das war ein super Gefühl." Und dann schwappten Worte in die Mikrofone, die es in den vergangenen Jahren aus dem deutschen Schwimm-Team so nicht gegeben hatte: Gänsehaut, Aufwärtstrend, Bombentag. Und Bundestrainer Henning Lambertz sagte: "So kann es weitergehen." Nanu!?

Schlussschwimmerin Annika Bruhn sichert für ihr Team das Staffelgold. (Foto: Darko Bandic/dpa)

Nach zwei medaillenlosen Olympischen Spielen im Beckenschwimmen hatten die letzten Jahre nicht nur wenige Erfolge mit sich gebracht, sondern auch atmosphärische Krisenherde offenbart. Insofern kam es den deutschen Schwimmern nun ganz recht, dass noch schnell ein neuer Wettbewerb eingeführt wurde: eben jene Mixed-Staffel über 4 x 200 Meter Freistil, die am Samstagabend die Deutschen gewannen, vor Russland und Großbritannien (nur neun Mannschaften waren an den Start gegangen). "Wie man jetzt die Medaille bewertet, bei diesem Event, das ist immer relativ", sagte Bernd Berkhahn, der zum Trainerteam des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) in Glasgow gehört, betonte aber: "Die Einzelleistungen waren top." Tatsächlich hatte sich jeder aus dem Quartett Heidtmann, Foos, Mühlleitner und Bruhn in Bestform präsentiert, was ja auch so ein symptomatisches Problem der Vergangenheit war: Bei der WM in Budapest konnten von 14 Einzelstartern nur fünf ihre beste Jahresleistung abrufen.

"Wir haben seit 2016 eine kleine Durststrecke gehabt, jetzt ist der Aufwärtstrend da", sagte Jacob Heidtmann, "das Team steht hinter uns, wir pushen uns gegenseitig." Er ist als Athletensprecher neben Sarah Köhler zum Anführer des deutschen Teams geworden, er habe "den Schelm im Nacken", nennt es Lambertz und meint Heidtmanns Art, auch mal Späßchen zu machen. Dabei sind auch von ihm noch ganz andere Bilder in Erinnerung, recht tragische: Wie er bei den Olympischen Spielen in Rio deutschen Rekord über 400 Meter Lagen im Vorlauf schwamm, er hätte es damit ins Finale geschafft - wäre er nicht wegen eines Fehlers bei der Wende disqualifiziert worden. Schluchzend lief er damals durch die Interviewzone.

Jacob Heidtmann, Reva Foos und Henning Mühlleitner (v.l.) jubeln - ihre Teamkollegin ist zu diesem Zeitpunkt noch im Wasser. (Foto: Clive Rose)

Mit geschlossenen Augen stand der 23-Jährige nun bei der Siegerehrung auf dem Podest, um die Medaille in Empfang zu nehmen. "Es ist schön, mal einen Erfolg zu haben, den ich mir auch verdient habe", sagte er, "den Moment hab ich ganz tief in meinen Kopf eingebrannt und der wird mich die nächsten Jahre noch motivieren." Was einen wieder zu den oft diskutierten Normen führt, die Bundestrainer Lambertz von seinen Schwimmern fordert.

Nach den schweren Normen, die für die Einzelstrecken gelten, hätte sich Heidtmann nicht für Glasgow qualifiziert. Mitkommen durfte er nun, weil Lambertz bei den Staffeln weniger streng ist, dort senkte er die Normen, so ein Staffelfinale mit deutscher Beteiligung ist hübscher fürs Fernsehen als Bilder deutscher Schwimmer, die in Halbfinals der Einzelstrecken ausscheiden. Dass sich Schwimmen auch lohnt, wenn man vor dem Höhepunkt in keinen Bestenlisten geführt wird, bewies Henning Mühlleitner: Der 21-Jährige sorgte mit EM-Bronze über 400 Meter Freistil am Freitag für die erste Überraschung und hat nun auch noch Gold mit der Mixed-Staffel. "So eine Meisterschaft hier ist sehr wichtig für alle, die den Traum haben, mal bei Olympia zu schwimmen", sagte er, "man muss es einfach genießen, die Momente hier."

Auf Momente zum Genießen hofft auch Sarah Köhler, für sie verlief der Samstag ganz und gar nicht wie erhofft. Über 800 Meter Freistil war sie als Favoritin ins Rennen gegangen, wurde am Ende aber nur Vierte, Gold gewann die Italienerin Simona Quadarella vor Ungarns Ajna Kesely und der Russin Anna Jegorowa. "Das ist bitter, ist ärgerlich, ist scheiße, ist alles", sagte Köhler danach. Vor allem die Wenden seien problematisch gewesen, analysierte Berkhahn, aber Köhler bekommt noch weitere Chancen auf Medaillen über 400 und 1500 Meter und im Freiwasser.

Und ohnehin hofft man im deutschen Team nun darauf, dass sich die Euphorie vom Samstagabend auf die noch geforderten Schwimmer überträgt, trotz diverser Frustmomente, die das Schwimm-System in Deutschland noch produziert. Lagen-Schwimmer Philip Heintz war im Vorjahr noch Lambertz' ärgster Kritiker gewesen und hatte den Qualifikationsmodus moniert, der in diesem Jahr geändert wurde. Statt bei den Deutschen Meisterschaften konnten die Schwimmer in einem dreimonatigen Zeitraum den Leistungsnachweis bringen und sich so individueller vorbereiten. Heintz bezeichnete die Stimmung in Glasgow als "definitiv anders als in den letzten Jahren, supergut und entspannt." Was ja auch schon mal was wert ist.

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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