Schweiz:Teure Tollpatsche

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Der FC Zürich spielte zu Beginn dieser Saison noch im Europapokal. Doch nach einer völlig missratenen Saison droht nun der Abstieg.

Von Fabian Müller, Zürich/München

In Deutschland verbindet man den FC Zürich mit Europapokal-Spielen wie 2012 gegen den FC Bayern oder 2014 gegen Borussia Mönchengladbach, man kennt den Klub wegen ehemaliger Trainer (Lucien Favre), oder ehemaligen Spielern (Ricardo Rodriguez, Raffael, Admir Mehemdi), die aus Zürich auszogen, um andernorts Fußball-Millionäre zu werden. Zwölfmal wurden die Zürcher Schweizer Meister, achtmal holten sie den Pokal. Seit 1958 spielen sie bis auf zwei Jahre immer in der Ersten Liga. Doch womöglich kennt den FC Zürich bald keiner mehr.

Denn es ist so: In Zürich spielt gerade eine der peinlichsten Geschichten des europäischen Fußballs. Der FCZ ist in der zehn Mannschaften großen Schweizer Liga, aus der am Ende eine Mannschaft absteigt, zwei Spieltage vor Schluss: Letzter.

Der Niedergang beim Vorjahres-Dritten wird an einem in Deutschland alten Bekannten festgemacht: am ehemaligen Leverkusener Verteidiger und Trainer Sami Hyypiä, bis zum 12. Mai Trainer der Zürcher. Mit 0:4 verlor Hyypiä sein letztes Spiel - daheim, gegen den bis dahin Tabellenletzten Lugano. Die Pleite veranlasste den Finnen zum ernüchternden Schritt, seiner Mannschaft die Vertrauensfrage zu stellen. Das Team entschied, dass ein neuer Trainer neue Impulse setzen soll. Die Frage ist bloß, ob es für neue Impulse nicht längst zu spät ist.

Der Präsident macht sich keine Vorwürfe

Am Niedergang des Klubs hat auch Zürichs Präsident Ancillo Canepa seinen Anteil. Er hatte Hyypiä eine Art "Carte blanche" ausgestellt, ihn selbst nach langen Niederlagenserien den Rücken gestärkt. Canepa sprach nach einem Unentschieden gegen Meister FC Basel, neun Spieltage vor Saisonende, trotz acht Punkten Rückstand auf Platz vier noch von der Qualifikation für die Europa League. In der laufenden Saison war Zürich dort an Dinamo Minsk gescheitert.

Canepa selbst wirft sich jedoch nichts vor. Bei einer Niederlage in Thun machte er lieber den "unsäglichen Kunstrasen" verantwortlich. Canepa glaubt auch noch immer an den Klassenerhalt. Er kenne die Qualität der Spieler, sagt er. Doch die Ergebnisse lassen an dieser Qualität zweifeln.

Von den letzten sechs Partien unter Hyypiä gingen fünf verloren, bei einem Torverhältnis von 3:16 - die Statistik eines Absteigers. Als Spieler war der Finne im Zweikampf fast unbesiegbar, als Trainer wollte er seine Spieler vor allem laufen und kämpfen sehen. Am Freitag sagte ein anonymer FCZ-Spieler dem Tages-Anzeiger, die Mannschaft habe unter Hyypiä falsch trainiert: zu viel Ausdauer, zu viel Kraft, nun fehle die Spritzigkeit im Abstiegskampf.

Außerdem fehlt der Mannschaft jegliche Hierarchie. Vier verschiedene Kapitäne führten das Team allein in dieser Saison. Die Kaderzusammenstellung ist abenteuerlich: In der Winterpause holte der FCZ zwar in Alexander Kerschakow einen Hochkaräter, der immerhin sechs Tore geschossen hat - allerdings vollkommen unzufrieden wirkt. In Zürich hält sich hartnäckig das Gerücht, Geschäftsmann Canepa habe ihn nur geholt, um seine Nähe zu Wladimir Putin auszunutzen und Gazprom als potenten Geldgeber gewinnen zu können.

Der neue Trainer soll ein Feuerwehrmann sein - doch kann er Abstiegskampf?

Die Fehler, die der Mannschaft unterlaufen, sind teilweise grotesk. Bestes Beispiel für die Zürcher Tollpatschigkeit war die 2:3-Heimniederlage gegen Basel Anfang Mai. In der 88. Spielminute stürmte der Torhüter mit dem bezeichnenden Namen Yannick Brecher beim Stand von 2:2 übermotiviert aus seinem Tor, er foulte einen Gegenspieler: Elfmeter, Tor. Basel, damals schon Meister, spielte übrigens mit einer B-Elf.

Als Feuerwehrmann präsentierte Canepa nun vor einer Woche den Italiener Uli Forte. Allerdings gibt es Zweifel an dessen Abstiegskampf-Tauglichkeit: Forte hatte im April 2012 den Stadtrivalen Grashoppers Zürich übernommen, von seinen sieben Spielen dort gewann er keins. Sein erstes Spiel in Zürich hat Forte auch gleich verloren, 0:3 gegen den FC Sankt Gallen. "Die Verunsicherung hat man voll gespürt. Man hat gemerkt, dass sie das Messer am Hals haben", sagte der frühere Münchner Löwe Martin Angha, Verteidiger bei Sankt Gallen, nach dem Spiel. Vor dem Spiel hatte Forte Geheimtraining angeordnet, nachdem die ersten Trainingseinheiten der Zürcher vom FC St. Gallen gefilmt worden waren. Fortes Begründung für die Niederlage: "Der Gegner hat natürlich gewusst, was wir vorhaben, nachdem er uns zwei Tage lang gefilmt hat."

Es passt zur tragikomischen Zürcher Saison, dass es die Mannschaft irgendwie ins Pokalfinale geschafft hat. Doch das spielt im Abstiegskampf keine Rolle, das haben auch die eigenen Fans begriffen: "Jedes Spiil wichtiger als de Cupfinal", schreibt die Südkurve Zürich auf ihrer Homepage. Verliert der FC Zürich am Sonntag gegen Sion und gewinnt Lugano in Vaduz, dann war es das: Dann steht der Abstieg des FC Zürich einen Spieltag vor Saisonende fest.

© SZ vom 22.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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