Schweiz:Sehnsucht nach Extra

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Talent bringen die Schweizer mit, aber ihnen fehlen mehr Weltklassespieler wie Xherdan Shaqiri. (Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

Das 1:2 in Belgien zeigt: Die Schweizer Nationalmannschaft hat Talent, aber keinen Hazard oder Lukaku - das unterscheidet sie von Weltklasseteams.

Von Thomas Schifferle, Brüssel

In Momenten wie diesen bleibt nur das Staunen. Über ­diese Spielfreude und Spielkunst, über dieses Tempo und diese Raffinesse, da sagt auch Vladimir Petkovic: "Das war ein Klassetor." Bloß gibt es dabei für den Coach der Schweizer Fußballer einen Schönheitsfehler. Es waren die Belgier Meunier, Hazard, Mertens und Lukaku, die den Zuschauer am Freitagabend in Brüssel verzauberten, und die mit diesem magischen Moment das Spiel spät entschieden. 2:1 standen es darum für Belgien, für den Favoriten. Und die Verlierer aus der Schweiz stehen nach ihrem zweiten Auftritt in der Nations League vor der Frage: Wieso hat es für uns wieder nicht gereicht?

Vor einem Monat beim Testlauf in England waren sie nicht schlechter, sie waren vor der Pause gar besser gewesen und hatten gute Chancen für ein Tor gehabt. Am Ende gab es trotzdem ein 0:1 und für Granit Xhaka die Feststellung: "Das sind die Spiele, die wir noch immer nicht packen." Diese Geschichte verfolgt die Schweizer, die Geschichte von Spielern, die sich viel zutrauen, auch einen Platz im Viertelfinale einer Weltmeisterschaft, und die dann den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung doch nicht zustande bringen. Vor zwei Monaten sagte der frühere Nationalspieler Stéphane Henchoz: "Wenn ich höre, dass es die beste Auswahl der letzten 20 Jahre sein soll, bin ich nicht einverstanden. Wer ist Weltklasse? Shaqiri ist der Talentierteste, und er kann Weltklasse werden - aber nur, wenn seine Einstellung stimmt."

Die Schweiz hat Shaqiri, sie hat ihn jedoch nur einmal

Es liegt viel Kraft in dieser Aussage, viel Einsicht über die wahren Stärkeverhältnisse dieser Spieler. Es steckt eben die Erkenntnis darin, dass ihnen das Entscheidende, das Extra noch immer fehlt: das, was Henchoz Weltklasse nennt. Die Belgier besitzen das. Sie haben Romelu Lukaku, Eden Hazard oder Kevin de Bruyne (der gegen die Schweiz verletzt fehlte). Sie haben diese Ausnahmespieler, die in ihren Weltklubs aus Manchester oder London prägend sind und mit einer Aktion alles entscheiden können, mit einer Bewegung, einem Dribbling, einem Sprint. Sie können das Tempo erhöhen, wann immer sie gerade wollen, wer immer der Gegner ist. Das kann die Schweiz nicht. Die Schweiz hat in der Offensive Xherdan Shaqiri, aber sie hat ihn nur einmal. Und darum fehlt er auf der Seite, wenn er in der Mitte ist, und in der Mitte, wenn er auf der Seite spielt.

Talent bringen die Schweizer ja mit. Fast alle, die Petkovic für die Reise nach Belgien und Island aufgeboten hat, sind im Ausland unter Vertrag, 20 von 23. Sie haben es bis zu Milan, Dortmund, Arsenal oder Liverpool geschafft. Mit ­Xhaka haben sie ihren neuen Leader gefunden, der auf dem Platz sehr viel Präsenz besitzt. Und auch die Statistik sprach für sie, bevor sie diesen Sommer bei der WM das Achtel­finale gegen Schweden bestritten: Von den vorangegangenen 25 Partien hatten sie nach 90 oder 120 Minuten bloß eine verloren, bei Ronaldos Portugal. Dann allerdings verloren sie gegen ein spielerisch biederes Schweden 0:1. Und nachdem sie im ersten Spiel nach der WM Island 6:0 abfertigten, verloren sie in England und jetzt auch in Belgien. Und auf einmal stehen in vier Spielen drei Niederlagen zu Buche.

Xhaka sagte in Brüssel: "Irgendwann bringt uns ein guter Auftritt auch nichts. Lieber spielen wir einmal schlecht und holen etwas, einen Sieg oder zumindest ein Unentschieden. Wir müssen so weitermachen, frech sein, aber wir müssen cleverer spielen." Cleverness hat eben auch mit Klasse zu tun, mit der Einsicht, auch einmal mit einem 1:1 zufrieden zu sein und dem Gegner nicht die entscheidenden Räume zu bieten, wie das in Brüssel beim zweiten Tor der Fall war. "Dann müssen wir eben während 20 Minuten hinten zumachen", sagte Torhüter Yann Sommer.

Lukaku zeigt Zuber, wie man einen Tempoangriff abschließt

Oftmals sind es zwei, drei Momente, die über den Ausgang eines Spiels entscheiden. Gegen Schweden war es ein Schuss, den Manuel Akanji entscheidend abfälschte. In England nahm Shaqiri vor der Pause das Geschenk eines Abwehrfehlers nicht an, das machte dafür Marcus Rashford. In Belgien konterten die Schweizer in Überzahl, aber Steven Zubers Pass blieb hängen; Lukaku zeigte, wie man einen Tempoangriff erfolgreich abschließt.

Oder da ist der Gladbacher Sommer, normalerweise die Zuverlässigkeit in Person. In der 58. Minute spekulierte er auf einen Schuss in die rechte Ecke, aber Lukaku traf den Ball nicht richtig, und Sommer rutschte der Ball unter dem Bauch durch. Als ein Journalist freundlich zu erklären versuchte, bei der WM habe er einen solchen Ball auch schon gehalten, lachte Sommer und sagte: "Machen Sie nicht einen solchen Umweg." Er wusste, er hatte nicht gut ausgesehen.

Für die Belgier war es ein netter Abend. Die Zuschauer haben ihre WM-Helden erstmals wieder daheim im Einsatz gesehen. Für 90 Minuten war der Skandal um angebliche Geldwäscherei und Spielmanipulationen in der nationalen Meisterschaft vergessen. Und die Schweizer? Sie gingen in die Nacht hinaus, sie erfuhren einmal mehr ihren Platz im Weltfußball und hielten sich an Petkovics Satz fest: "Wir haben noch immer die Chance, den ersten Platz in unserer Gruppe holen zu können." Dafür müssen sie nur am Montag in Island gewinnen - und im ­November das Heimspiel gegen Belgien.

© SZ vom 14.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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