Schweiz:Der beste Xhaka

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Schweizer Anführer: Granit Xhaka (links) im Zweikampf mit Katars Assim Madibo. (Foto: Ennio Leanza/dpa)

Der frühere Gladbacher wurde nach der WM für seine Doppeladler-Geste kritisiert, seine Fouls galten als Problem. Doch er hat eine Wandlung durchlebt.

Von Thomas Schifferle, Luzern

Er wird vorneweg gehen, am linken Arm die gelbe Kapitänsbinde. Er wird die Hymne summen. Er wird den Stolz spüren als Nationalspieler der Schweiz, der seine kosovarische Seite nicht verheimlichen will. Er ist Granit Xhaka, der Chef. Zum 72. Mal geht er an diesem Sonntag für die Schweiz auf den Platz. Und er tut es in einem Spiel, in dem es für die Mannschaft um einiges geht: um die Aussicht, mit einem Sieg gegen Belgien ihre Gruppe in der Nations League zu gewinnen; um die Verpflichtung, das aufwühlende Jahr ehrenvoll zu beenden. "Mehr Motivation können wir nicht haben", sagt Xhaka.

Im Sommer kehrte er mit einer Enttäuschung von der WM in Russland zurück, die tief saß. "Ab dem Schlusspfiff gegen Schweden war vieles enttäuschend", sagt er heute, "es ging fast nur noch darum." Im Achtelfinale hatte die Schweiz gegen Schweden 0:1 verloren und ihren Traum vom Viertelfinale verspielt. Doch das "Darum", von dem Xhaka spricht, das waren die Debatten um Tradition und Identifikation, um Doppeladler und Doppelbürger. Xhaka hat sich Anfang September während einer bemerkenswerten Veranstaltung des Nationalteams dafür entschuldigt, was er mit seinem ikonischen Torjubel gegen Serbien ausgelöst hat. Heute sagt er, er hätte nie gedacht, dass eine kleine Geste zu "so einem Knall" führen kann.

In den englischen Zeitungen wird er gelobt

Jetzt ist November und Xhaka in aufgeräumter Stimmung. Er zeigt nicht mehr diese Härte wie noch in Russland, als ihn vor allem die Anfeindungen aus Serbien beschäftigten und er nach jedem Spiel andere Meinungen mit dem Spruch konterte, das sei ihm "scheißegal". Heute ist Xhaka wieder richtig wohl in seiner Haut. Das hat viel mit der Anerkennung zu tun, die er im Alltag findet, bei Arsenal, seinem Arbeitgeber. Der Guardian hat vor ein paar Tagen erst geschrieben: "Die Steigerung von Xhaka ist vermutlich das sichtbarste Zeichen für den Unterschied, den Emery gemacht hat."

Xhaka hört sich das Zitat an, sagt erst "okay" und dann: "Ich spüre das selbst auch. Der Wind dreht langsam. Ich spiele meine beste Saison bei Arsenal." Später im Gespräch sagt er gar: "Ich spiele so gut wie nie."

Der Wandel setzte mit Unai Emery ein. Emery war in London noch nicht offiziell vorgestellt, als Arsenal Xhaka eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre bis 2023 anbot. Xhaka musste nicht überlegen, er nahm das Angebot vor der WM an. Während des Sommerurlaubs telefonierte er erstmals mit Emery und hörte, dass er künftig einer von fünf möglichen Kapitänen sei. "Und das bei einem der zehn besten Klubs weltweit", sagt Xhaka.

Die Rolle des Führungsspielers hat er in sich. Gegen Crystal Palace lief der Mittelfeldstratege ein zweites Mal als Linksverteidiger auf. Emery wollte, dass Xhaka wegen personeller Not aushalf. In der Pause dieses Spiels gegen den Stadtrivalen fragte Emery: "Wieso übernimmst du nicht die Eckbälle und Freistöße?" Sechs Minuten waren gespielt in der zweiten Halbzeit, da verwandelte Xhaka einen Freistoß und rannte quer über den Platz, um mit Emery abzuklatschen. Alle konnten sehen, welchen Respekt er für ihn empfindet.

Xhaka ist bei Arsenal der Spieler mit den meisten Ballkontakten

Das war bei Arsène Wenger nicht anders. Wenger hatte ihn von Borussia Mönchengladbach geholt und stets gegen alle Kritiken verteidigt - gerade gegen die bösartigsten, wenn es von TV-Experten oder Zeitungen wieder einmal hieß, er sei hirnlos, undiszipliniert oder dreckig in seinem Spiel. Aber nun, mit Emery, ist Xhaka gefordert worden, seine Komfortzone zu verlassen und sich neu zu bestätigen. Und nun hat er einen Chef, der ein detailversessener Ausbilder ist, wie Xhaka ihn mit Lucien Favre schon bei Gladbach erlebte. Videoanalysen gibt es fast täglich, es gibt sie am Spieltag nach dem Frühstück und vor der Abfahrt ins Stadion nochmals.

Xhaka ist bei Arsenal immer der Spieler mit den meisten Ballkontakten gewesen, in der vergangenen Saison hatte er gar am meisten überhaupt in der Premier League. Sein Ruf litt jedoch in der ersten Saison wegen zwei roten und zwölf gelben Karten. Und er wurde mit zwölf Verwarnungen im zweiten Jahr nicht viel besser. Xhaka handelte und schaute sich mit dem Psychologen von Arsenal alle Karten an, wann und wo er ein Foul beging. "Das Ergebnis war sehr erstaunlich", berichtet er. Die meisten Vergehen beging er zwischen der 60. und 80. Minute und ein paar Meter vor oder hinter der Mittellinie, also in einer meist ungefährlichen Zone. Die Lehre ist: Er darf nicht mehr so schnell und unbedacht zu Boden gehen. Diesen Herbst steht er bei vier Verwarnungen in dreizehn Spielen. Noch ist der Schnitt nicht besser geworden.

Doch wer ihn im Stadion erlebt, spürt seine Präsenz, seine Lust, Verantwortung zu übernehmen. Xhaka hat seinen Anteil, dass Arsenal nach einem Fehlstart mit zwei Niederlagen seit 16 Spielen in Liga, Pokal und Europa League ungeschlagen ist. Der Erfolg in der Premier League hat erste Priorität für den Verein. Nach der Länderspielpause folgen wegweisende Aufgaben gegen Bournemouth, Tottenham und Manchester United. Aber zunächst: Belgien. Mit Xhaka als Kapitän, der die Hymne mitsummt und sagt: "An Qualität fehlt es uns nicht."

© SZ vom 18.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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