Schießen:0,6 Millimeter vom Traumtreffer entfernt

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So ein Mist! Die Niederbayerin Barbara Engleder ärgert sich im ersten Moment über einen schlechten Schuss. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Barbara Engleder will sich nicht lang mit der verpassten Luftgewehr-Medaille aufhalten - für sie steht noch ein wichtigerer Wettkampf an.

Von Volker Kreisl

Es war so knapp, dass man es nicht sehen, sondern sich nur vorstellen kann. 0,6 Millimeter - die erkennt man auf keinem Zollstock, und die lassen sich für normale Menschen nicht abmessen, weil jeder Bleistiftstrich dicker ist. 0,6 Millimeter finden im normalen Leben nicht statt, höchstens in der Arbeit von Feinmechanikern, Uhrmachern oder Papierherstellern. Diese 0,6 Millimeter trennten Barbara Engleder von einer Olympia-Medaille.

So eine Mikroskop-Distanz ist auch im Schießen etwas Außergewöhnliches, und das Finale mit dem Luftgewehr zum Auftakt der Spiele am Samstagvormittag hatte schon wieder einen Hauch von Sport- Tragödie. Es erinnerte an die vier zurückliegenden Auftakt-Samstage seit den Spielen in Sydney 2000, in denen der Deutsche Schützenbund (DSB) auch mit seiner großen Favoritin Sonja Pfeilschifter nie die erhoffte erste Medaille holte. Auch Engleder war "sehr enttäuscht" über diesen vierten Platz bei ihrer letzten Olympia-Teilnahme, aber es war kein großes Drama diesmal, es war nur etwas Traurigkeit. Und auch die kann sie sich nur kurz leisten, weil ihr wichtigerer Wettkampf ja schon am Donnerstag ansteht, der mit dem Kleinkalibergewehr. Und der DSB will zwar unbedingt die Misere von London 2012 vergessen machen, als es keine Medaille gab. Aber er hat noch weitere Aspiranten am Start, zum Beispiel die Gewehrschützen Daniel Brodmeier und Henri Junghänel oder an der Schnellfeuerpistole Christian Reitz und Oliver Geis.

Man blickte also gleich nach vorne. Und doch - für den Augenblick war es ein Drama. Denn 0,6 Millimeter bedeuteten ja, dass noch alles drin war. Dieses Finale war besonders spannend, wegen der brasilianischen Stimmung mit Anfeuerungsrufen und lauter Musik, die die Schützen nicht gewohnt waren: "Das hat genervt", sagte die Silber-Gewinnerin Du Li aus China. Es war natürlich auch spannend wegen der Ausgeglichenheit der Leistungen und wegen des neuen K.o.-Modus, der erstmals auch bei Olympia eingesetzt wurde: Nach jeder Runde à zwei Schuss scheidet der Letzte des Feldes aus.

Nur die spätere Olympiasiegerin Virginia Thrasher aus den USA war nach der Hälfte des Finales davongeeilt, dahinter purzelten die Platzierungen mit jedem Schuss wild durcheinander, die Abstände betrugen Millimeterbruchteile, oder die Schützinnen lagen sogar gleichauf. Als schließlich nur noch vier übrig waren und um Platz drei angelegt wurde, lag Engleder auf Bronze. Doch sie verfehlte knapp die Zehn, holte im zweiten Schuss mit einer mäßigen 10,2 nur wenig auf, und alle warteten auf Du Li, die Olympiasiegerin von Athen 2004, die noch hinter Engleder zurückfallen konnte und lange zielte. Luftgewehrschüsse krachen ja nicht, sie plocken, dafür lärmte das Publikum, als Dus Schuss plockte. Denn es war eine 10,8, nahe dran am Traumtreffer von 10,9. Für Barbara Engleder war es das Aus in diesem Finale.

"Meine Lieblingsdisziplin", sagt sie über den Dreistellungskampf im Knien, Liegen und Stehen

Sportschützen mögen sich in Welten bewegen, in denen die Nerven eine große Rolle spielen, sind aber andererseits auch sehr verwurzelt. Sie wirken beim Zielen wie in sich versunken, als würden sie meditieren. Ihr Gesicht ist vollkommen ausdruckslos, und sie schaffen es dabei irgendwie, durch den Diopter, der natürlich kein Fernglas ist, den schwarzen Punkt ins Auge zu fassen. Barbara Engleder ist in einer Kleinstadt geboren, auf dem Dorf groß geworden und auch im Schützenverein beheimatet. Sie stammt aus Eggenfelden in Niederbayern, ist seit drei Jahren Mutter, wohnt nun ein paar Kilometer weiter in Triftern und hat, wenn sie wieder aus Rio zurück ist, ganz andere Aufgaben. Zum Beispiel die Hochwasserschäden an ihrem Haus nach den Überschwemmungen im Frühjahr.

So ein Umfeld stützt wohl ähnlich wie der schwere Schießanzug, eine Art Rüstung, die den Körper massiver macht, womit es sich leichter minutenlang stehen und zielen lässt. Der nächste Wettkampf, zu dem Barbara Engleder wieder diesen Anzug umlegt, ist am Donnerstag der Dreistellungskampf im Knien, Liegen und Stehen mit dem schweren Kleinkalibergewehr. "Meine Lieblingsdisziplin", sagt sie.

Der Dreistellungskampf fordert noch mehr Geschick beim technischen Präparieren der Waffe, beim Einrichten des Körpers auf dem Schießstand und beim Einstellen des Auges auf das 50 Meter entfernte Ziel, das in Deodoro wegen des grellen Sonnenlichts auf dem Gras dazwischen schwerer auszumachen ist. Aber Engleder hat in dieser Disziplin 2010 schon einen WM-Titel geholt, und vielleicht holt sie sich ja doch noch die Olympiamedaille, die sie am Samstag wieder aus der Hand gegeben hatte.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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