Schießen:Jonglierend zu Silber

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Die Pistolenschützin Monika Karsch galt nicht als Favoritin für eine Medaille - nun erlöste sie ihren Verband.

Von Volker Kreisl

Kurz vor dem entscheidenden Duell hat die Waffe nur noch "klick" gemacht. Kein Schuss löste sich mehr, und es ließ sich später auch nicht feststellen, woran es lag. Monika Karschs Sportpistole, an die sie sich über Monate und Jahre gewöhnt hatte, klemmte, sie wollte nicht mehr. Es ging nun um Sekunden, und ehe Karsch die Hand am Griff der Ersatzpistole hatte, war die Einschuss-Zeit beendet. Sie ging also ohne einen Probeschuss in dieses Finale ihres Lebens, aber am Ende war die Panne wohl ihr Glück.

Monika Karsch galt nicht als deutsche Favoritin für eine Medaille. Das sind zum Beispiel die Gewehrschützen Daniel Brodmeier und Barbara Engleder oder der Pistolenkollege Christian Reitz. Doch die 33-Jährige, die sich für Rio nicht regulär qualifiziert hatte und nachnominiert wurde, nahm am Dienstag auch die letzte Hürde. Denn sie hat es geschafft, aus ihrem Pech einen Nutzen zu ziehen. Mit der Ersatz-Sportpistole holte sie über 25 Meter Silber hinter der Griechin Anna Korakaki. Sie sagte: "Dass das trotzdem geklappt hat, das macht einen noch mehr stolz."

Es ist zwar nicht die erste Medaille für den deutschen Sport in Rio geworden, die hatten kurz zuvor schon die Vielseitigkeitsreiter erreicht. Zu allgemeinem Aufatmen hat Karschs Silber dennoch geführt - nämlich bei ihrem eigenen Verband. Dem Deutschen Schützenbund saß immer noch etwas von dem ernüchternden Olympiaauftritt in London im Nacken, die Selbstsicherheit, mit der man sonst immer Medaillen plante, war in Rio nicht zu spüren. "Abwarten", sagte Gewehr-Cheftrainer Claus-Dieter Roth vor dem Start.

Dieser Sport spielt sich in Mikrobereichen ab, da ist vieles unberechenbar, und in London waren alle Pläne schiefgegangen. Fünf Medaillen hatte man sich offiziell zugetraut, keine einzige war dann herausgesprungen, stattdessen das schlechteste Olympiaergebnis seit 1956. Immer noch verfolgt manche Schützen ein bisschen von der Enttäuschung und der Aufregung damals, als die abermals gescheiterte Gold-Favoritin Sonja Pfeilschifter sich in der Mixed-Zone ihren Ärger von der Seele schimpfte und dem Verband die Schuld gab. Roth ächzte damals: "Das macht wirklich keinen Spaß."

Vier Jahre später machte sich nach drei erfolglosen Tagen schon wieder ein leiser Zweifel breit im Schützenkreis. "Es kamen ja die ersten Kommentare auch von Sportlern", sagte Karsch, und in den Köpfen kann so eine Erwartung schnell zur Blockade werden. Karsch sagte, sie habe nicht an London gedacht, sie habe gelernt, dass man bei allem am stärksten ist, "wenn man es von innen heraus für sich selber tut."

Viele Athleten arbeiten heute mit Psychologen zusammen, die meisten wollen dazu aber nichts sagen, denn das sei zu intim. Karsch erzählte nun freimütig von der Life-Kinetik, die sie seit sechs Jahren betreibt. Dabei übt man, die Wahrnehmung zu erweitern, indem man immer neue Bewegungen wie etwa Jonglieren ausübt, diese aber nicht wiederholt, sondern abbricht und zum Nächsten übergeht. "Damit bilden sich Verbindungen im Gehirn", sagt Karsch.

Statt ständiger Wiederholung immer mal was Neues - das ist so ziemlich das größte Gegenteil des klassischen Sporttrainings, aber Karsch war in diesem Halbfinale konzentriert genug, um sich auf den anderen Pistolen-Griff einzustellen, bei dem schon minimale Abweichungen, die sonst niemandem auffallen, einen Schützen aus der Bahn bringen können. Sie musste sich also auf die Waffe konzentrieren, auf die Bewegung ihres rechten Arms, den Abzug, bei dem der Zeigefinger ein Kilogramm überwinden muss. Dass es hier um das Ende der London-Misere ging, hat sie vergessen. "Vielleicht war das mein Glück", sagte sie, "alles andere habe ich ausgeblendet."

Im Halbfinale setzte sie sich sicher durch, im Finale gegen Korakaki geriet sie mit 0:6 in Rückstand, glich noch zum 6:6 aus und verlor dann im allerletzten Duell 6:8. Dennoch hat die unbekannte Ersatzschützin Monika Karsch aus Rott am Lech in Oberbayern, die heute in Regensburg lebt, den Negativtrend ihres Verbandes gestoppt. Mehr als sechs Millionen Zuschauer haben das Finale in Deutschland im ZDF verfolgt, und für einen Moment konnte Karsch der großen Öffentlichkeit einen Einblick geben in die komplizierte Welt ihres Sports. Nächste Woche fliegt sie wieder nach Hause, zwei kleine Kinder warten da auf sie, und wenn man so will, geht dann das Training durch ständige Abwechslung weiter.

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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