Schalke 04 vor dem Start:Alles kann, nichts muss

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Ein Kader voller Rätsel: Kein anderer Spitzenklub hat so wenig an seinem Team verändert wie Schalke 04.

Philipp Selldorf

Den ganzen Sommer hat man in Schalke über Neueinkäufe geredet, es war ein Thema wie in Irland das Wetter oder wie in Frankreich das Essen, jeden Tag gab es eine neue Zutat zu diskutieren. Nun beginnt am Freitag die Saison für den Vorjahreszweiten, und schon am Mittwoch führte Trainer Mirko Slomka den Zuschauern am Trainingsplatz seine neue Formation vor, die das Duell mit dem VfB Stuttgart aufnehmen soll. Im Tor der hochbegabte Neuer, in der Abwehr die stählerne Viererkette mit Rafinha, Bordon, Krstajic und Pander, im Mittelfeld das strategische Pärchen Ernst/Kobiaschwili, davor der quirlige Özil, und im Angriff das Super-Trio Asamoah, Kuranyi und Lövenkrands. Zweifellos eine aufregende Komposition. Sie kommt einem bloß irgendwie bekannt vor.

Guter Start in die Saison? Schalke 04. (Foto: Foto: dpa)

Noch aufregender finden daher die Anhänger des FC Schalke 04, wer alles nicht mitspielen wird im Daimlerstadion: Weder die virtuellen Neuerwerbungen Appiah, Andreasen, Großmüller oder Streit, noch die tatsächlichen Zugänge Rakitic, Westermann oder Jones. Von den verlorenen Stammspielern Lincoln und Hamit Altintop ganz zu schweigen.

Gerade deshalb, weil der Klub seine Mannschaft kaum verändert hat, gibt er unter den Spitzenvereinen die größten Rätsel auf. Was will der Beinahe-Meister mit seiner konservativen Linie gegen die teils luxuriös erneuerten Mannschaften der Konkurrenten München, Stuttgart, Bremen ausrichten? Selbst Leverkusen, Hamburg und - schlimmer noch - Dortmund verbreiten mit ihren verstärkten Teams Schrecken in der Schalker Anhängerschaft, die in Anbetracht des personellen Stillstands eher ängstlich als vorfreudig der dritten Champions-League-Teilnahme entgegensieht. Es macht den Eindruck, als hätte sich Schalke, das den Fortschritt in der späten Ära Assauer aggressiv und mit den Mitteln des Neureichen erzwungen hatte, freiwillig aus der vordersten Reihe zurückgezogen.

Die Verantwortlichen nennen zwar gute Argumente für ihre Zurückhaltung, sie berufen sich auf ihr Vertrauen in die Ausbaufähigkeit des jungen, begabten Kaders, auf das Konsolidierungsgebot nach jahrelangem Investieren in Personal und Immobilien, auf die Preisinflation auf dem Spielermarkt. Zustimmung finden sie damit aber wenig beim Publikum, das die Fortsetzung der Titeljagd erleben möchte und genug davon hat, dass die anderen Fans immer "Ihr werdet nie Deutscher Meister'' rufen. Das weiß auch Manager Andreas Müller: "Doch mit Gewalt geht da gar nix'', sagt er, "auch wenn alle die Schale so gern in Schalke hätten.'' Einige Schalker Fans haben sich darauf bereits ihren Reim gemacht. Beim Pokalspiel in Trier lautete ihr Lied: ,,Schalke gewinnt, Schalke gewinnt / bis wir wieder Zweiter sind.'' Zweiter würde reichen, findet Müller.

Die Eigenwahrnehmung des Vereins ist offensichtlich bescheidener als die Ansprüche der Anhängerschaft und der Rang in der Liga, sie entspricht eher dem Ruf, der Schalke international zuteil wird. Als Müller an Fenerbahçe Istanbul ein zweites, verbessertes Angebot für die Übernahme des ghanaischen Kapitäns Stephen Appiah, 26, faxte, erhielt er kurz darauf eine barsche Erwiderung, die er als "Dreizeiler'' beschreibt. Viel Respekt kam da nicht zum Ausdruck, und danach war der Dialog mit den Türken beendet. Die Akte Appiah wurde geschlossen, und seitdem gibt Müller auf die ständig gleichen Fragen, für welchen Spieler die freigehaltenen fünf bis sechs Millionen Euro ausgegeben würden, die ständig gleiche Antwort: "Alles kann, nichts muss.'' Wünsche gibt es zwar, Bedarf herrscht im offensiven Mittelfeld und auf den Flügeln, aber davor steht unumstößlich ein Prinzip, das Müller so formuliert: "Ist es realisierbar oder nicht?''

In der Schalker Mannschaft hat man das inzwischen akzeptiert, notgedrungen, nachdem die Führungskräfte Bordon, Kuranyi oder Ernst mit ihren Kommentaren zur Personalpolitik Ärger im Vorstand hervorgerufen hatten. Skepsis ist aber nicht zu überhören. Als Verteidiger Krstajic am Mittwoch gefragt wurde, ob das Team stärker oder - ohne Lincoln - schwächer sei als im Vorjahr, legte er eine Denkpause ein. "Tja'', sagte er dann, "aus meiner Sicht: Schlechter sind wir nicht. Aber stärker? Da müssen wir die ersten Spiele abwarten.'' Kapitän Bordon weist jeden Antrag auf vergleichende Betrachtung zurück ("mache ich nicht mehr''). Stattdessen lässt er die Hoffnung sprechen. Mesut Özil, sagt er, könnte "vielleicht der neue Super-Spieler werden. Jetzt ist seine Zeit, der Junge hat etwas, was andere nicht haben''.

Özil, der im Oktober 19 Jahre alt wird, besitzt exzellente Anlagen, was sich auch von Rakitic, 19, und Heimkehrer Azaouagh, 24, sagen lässt, doch müsste Slomka schon alle drei aufstellen, um mit ihren vereinten Fähigkeiten den Verlust des Regisseurs Lincoln zu kompensieren - jener Lincoln in Bestform allerdings, nicht die Haarband-Diva im entrückten Zustand. Von dem mysteriösen Brasilianer, der sich jetzt am Bosporus von Galatasaray verwöhnen lässt, wird jedenfalls immer noch geschwärmt. "Er ist ein Weltklassespieler, er hat das Spiel nach vorn getrieben und war unser Chef im Mittelfeld'', resümiert Nationalspieler Asamoah. "Lincoln hatte richtig gute Qualität. Du konntest den Ball zu ihm spielen und der hat schon was damit gemacht'', sinniert Kapitän Bordon.

Noch hat die Mannschaft kein schlüssiges Ersatzkonzept. Trainer Mirko Slomka hat aber festgestellt, dass beim Angriffsaufbau Lincolns Position ,,oft übersprungen'' werde, der Ball landet dann häufig beim supermobilen Stürmer Kuranyi. Während der Vorbereitung agierte Kuranyi deshalb wie ein verkappter Spielmacher, was nicht schlecht aussah. Es hatte bloß den Nachteil, dass der Spielmacher Kuranyi den Ball nicht mehr zum Torjäger Kuranyi weiterleiten konnte. In der Schalker Elf für Stuttgart steht nur einer von beiden.

© SZ vom 10.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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