Schach und Musik:Spiel mir den Tod vom Lied!

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Nach der Blamage von Schachweltmeister Wladimir Kramnik plant "Deep Fritz" den nächsten Coup: Sein Nachfolger "Ludwig" will mit Songwritern konkurrieren - und erstellt Songs, die eher nach Bontempiorgel klingen als nach genialen Rockballaden.

Christian Kortmann und Jürgen Schmieder

Komponieren ist eine anstrengende Sache: Da zerbricht man sich den Kopf, reiht Note für Note aneinander, rauft sich die gute alte Ludwig-van-Komponistenmähne. Nach Stunden, Tagen oder gar Wochen entsteht ein Lied, das die Menschen verzaubern soll. Eine Mischung aus Genie und Handwerk, vor allem aber eine menschliche Domäne - bislang. Nun will ein Computerprogramm Songschreibern das Fürchten lehren.

Den Robo-Geiger gibt es schon. (Foto: Foto: dpa)

Es ist nicht irgendeine daherprogrammierte Software, die der menschlichen Kreativität Konkurrenz macht. Sondern ,,Ludwig'', eine Weiterentwicklung von ,,Deep Fritz'', jenes Computers, der Schachweltmeister Wladimir Kramik in Bonn gerade einen ,,Kuss des Todes'' verpasst hat - Matt in einem Zug.

Gestern Abend stellte Deep-Fritz-Hersteller Chessbase beim Duell Mensch gegen Maschine den ersten Song vor: Chefprogrammierer Matthias Wüllenweber intonierte ihn auf der Querflöte. ,,Ein Schachprogramm berechnet Varianten und entscheidet sich für die beste'', sagt Rainer Woisin von Chessbase. ,,Das Prinzip ähnelt dem Komponieren.'' Und so geht ,,Ludwig'' vor: Der Benutzer teilt dem Programm Stil und Instrumentierung des Stücks mit, Swing mit Bläsern etwa oder eine Keyboard geprägte Popballade. Aus einer begrenzten Anzahl von Möglichkeiten - den Tönen - wählt das Programm die aus, die am besten in eine aus der Musikgeschichte extrahierte Lehre passt: ein Goldener Schnitt der Komposition. Keine drei Sekunden später hat jeder Möchtegern-McCartney ein Lied komponiert und arrangiert. Bei dieser Produktivitätsrate erblassen sogar Bohlen und Siegel vor Neid und die Shoppingmalls dieser Welt dürften bis ans Ende aller Tage mit Muzak versorgt sein.

Denn die ersten Demotapes des Programms erinnern mehr an Fahrstuhlmusik der Vor-Paul-Simon-Ära und Bontempiorgel auf der Kindergarten-Weihnachtsfeier. Das geben die Entwickler auch zu: ,,Wir sind musikalisch auf dem Stand wie Schachprogramme vor 20 Jahren.'' Damals kiebitzten Großmeister bei Partien von Computern und lachten über die Einfallslosigkeit und absurden Züge der ,,Blechkisten.'' Seit 1997 ist Schluss mit lustig: ,,Deep Blue'' besiegte Weltmeister Garri Kasparow, seitdem ist die Bilanz der Menschen verheerend. So könnte eines Tages ein computerkomponiertes Album bei der Grammy-Verleihung abräumen.

Klar, Musik besteht zum großen Teil aus Mathematik. Letztlich bleibt jedoch die Frage, ob es für einen Ohrwurm nicht eines menschlichen, keiner Regel folgenden Impulses bedarf. Paul McCartney hatte die Idee zu ,,Hey Jude'' auf einer Autofahrt, als er John Lennons Sohn mit einem aufmunternden ,,Hey Jules!'' tröstete. Wenig später wurde daraus ein Welthit.

© SZ vom 1.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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