Sat.1 überträgt die Tour:Spät, richtig, folgenlos

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Der Sport, das Fernsehen und eine Sprachregelung: Um die Zuschauer anzulocken wird Sport im TV gerne als Unterhaltung oder Klamauk inszeniert.

Hans Leyendecker

Die Fachzeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlichte im vergangenen Jahr die Ergebnisse einer Langzeitstudie zweier berühmter Forschungszentren. Die Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass der Einsatz von Erythropoietin, auch als Epo bekannt, bei Personen, die unter Verfolgungswahn, Halluzinationen, Identitätsverlust, sozialem Rückzug und einem Verlust zuvor vorhandener kognitiver Fähigkeiten leiden, segensreich wirken könne. Die von Dop-Sportlern benutzte Substanz sollte als "potenzielles Hirn-Doping'' getestet werden, "das den Menschen hilft, die es tatsächlich brauchen'', erklärte eine Wissenschaftlerin.

Saatmann und Kluge: die Tour-Stimmen von Sat1 (Foto: Foto: dpa)

Epo auf Rezept bei Identitätsproblemen oder Halluzinationen - das wäre vielleicht für alle Beteiligten auf dem Tour-Karussell der Ausweg aus einer tiefen Sinnkrise. Der mit teutonischem Furor verkündete Ausstieg der Öffentlich-Rechtlichen aus der unsauberen Tour war eine späte, aber richtige Entscheidung. Ein auf Lug und Trug gegründetes System muss an der ökonomischen Basis getroffen werden. Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl - weil im Nebel bleibt, welche Konsequenzen auch für andere Großereignisse gezogen werden müssen.

Prinzipiell gilt: Leistungssport ist ein hochkommerzielles System, bei dem Fernsehmacher und Sportveranstalter in gegenseitiger Abhängigkeit miteinander verbunden sind. ARD und ZDF haben schon vor langer Zeit den Sport als Ware entdeckt, die ihnen im Wettbewerb mit den Privatsendern Vorteile verschafft. Auch dank der Triumphe von Jan Ullrich wurden die zwischenzeitlich enteilten Privaten wieder eingeholt. Durch Sportübertragungen erreichen auch altersstarre Anstalten ein jüngeres Publikum. Verzichteten die Sender auf Sport aus moralischen oder anderen Gründen, fragten sich viele, wofür sie Gebühren zahlen.

Um die Zuschauer anzulocken wird Sport im TV gerne als Unterhaltung oder Klamauk inszeniert. Fernsehsender sind in vielen Sparten "Medienpartner'' und "Co-Vermarkter'' geworden - so hat es die ARD jahrelang bei der Tour vorgemacht. Bei vielen Berichterstattern ist die Distanz zum Gegenstand verloren gegangen. Wer kann noch innerhalb und außerhalb des Betriebs zwischen Eventmanagement und Ergebnis unterscheiden?

Ein bisschen kurios wirkt es jetzt, wenn das Fernsehen ganz kritisch sein will. Vom Du zum Sie war für manchen Sportjournalisten ein langer Weg. Anstand und die Etikette, so ist zu vermuten, werden auch wieder verschwinden.Die Sprachregelung dieser Tage bei allen Fernsehgewaltigen lautet, dass es - mit Blick auf die Tour - "keinen Automatismus'' gebe: Also kritisch, konstruktiv und ein bisschen Heldenmythos bei Großereignissen wie Olympischen Spielen in Peking muss schon sein, sonst schaltet das Publikum genervt zur Konkurrenz. Außerdem soll erst mal einer beweisen, dass beim Gewichtheben, in der Leichtathletik, beim Schwimmen undsoweiterundsofort systematisch gedopt wird.

Und Sat 1? Dieser Sender richtet sich immer selbst.

© SZ vom 21.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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