Reiten:Premiere nach 154 Jahren

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Historischer Erfolg: Sarah Steinberg mit Fantastic Moon. (Foto: Frank Sorge/Galoppfoto/Imago)

Sarah Steinberg aus München-Riem hat als erste Frau das traditionsreiche Deutsche Galopp-Derby gewonnen. Wie setzt man sich durch in einer Welt, die von Männern dominiert wird? Über eine Trainerin, die früh gelernt hat, Härte auszuhalten.

Von Vinzent Tschirpke

Ihr Stall liegt an einer kleinen Straße zwischen Feldern und Pferdehöfen. Es wäre ein Stall wie jeder andere, hinge da nicht dieses große Schild direkt über der Eingangstür. Die Aufschrift lautet: "Sarah Steinberg, Trainer."

Sarah Steinbergs Arbeitsplatz in München-Riem ist wenige Minuten von der Rennbahn entfernt. Hier arbeitet die Frau, die vor wenigen Tagen als erste Trainerin das 154. Deutsche Galopp-Derby gewonnen hat. "Ziemlich heftig", findet Steinberg, "dass es so lange gedauert hat." In 153 Derbys zuvor hatte es ausschließlich männliche Sieger gegeben. Weder als Reiterin noch als Trainerin war je eine Frau erfolgreich, seit 1869. Seit vergangenem Sonntag ist die Dominanz gebrochen, seit ihr Pferd Fantastic Moon in Hamburg den ersten Platz erreicht hat. Warum das in all den Jahren zuvor nie einer Frau gelang? Bevor die 35-Jährige antwortet, muss sie länger überlegen. Sie trägt typische Reiterinnen-Arbeitskleidung, eine Weste und Funktionshose. Ein blaues Kopftuch verdeckt die Haare, im Gespräch schaut sie direkt in die Augen. Ihre Antworten wirken ruhig und präzise.

In ihrem Stall reiten fast nur Mädchen, im Jugendbereich gibt es deutlich weniger Jungs, die sich für Reitsport interessieren. Trotzdem sind Trainerinnen im professionellen Reitsport eine Seltenheit. Sobald aus dem Hobby ein Beruf wird, finden sich immer weniger Frauen. Trainerin oder auch Jockey ist ein Fulltimejob, der sich kaum mit einem Familienleben vereinbaren lässt. Steinberg arbeitet sieben Tage die Woche. Um 4.30 Uhr beginnt sie mit der Pflege der Tiere, erst um 20 Uhr verlässt sie den Stall.

Die Strukturen sind männlich geprägt

"Professioneller Reitsport und Kinder, das funktioniert kaum", sagt Steinberg. Man sei den ganzen Tag unterwegs, auch für eine Beziehung bleibe wenig Zeit. Mit ihrem Partner, dem Jockey Rene Piechulek, der Fantastic Moon reitet und im selben Stall trainiert, funktioniert es irgendwie. Für viele andere sei es aber abschreckend, einen Beruf anzufangen, dem man alles Private unterordnen muss. "Deshalb gibt es wenige Frauen in diesem Sport. Wenn Männer sich ein Ziel setzen, sind sie härter und verfolgen es ehrgeizig. Für Frauen spielt die Familienplanung eine größere Rolle."

Ein Teil des Problems ist aber auch: Reitsport hat eine jahrhundertelange Tradition, in der Frauen lange keine Rolle spielten. Die Berufsbezeichnung Jockette ist kaum bekannt, weil Jockeys fast immer männlich sind. Der Anteil von Starterinnen liegt bei unter 20 Prozent, Trainerinnen sind noch viel seltener. Die Strukturen sind von Männern geprägt, die nicht selten weiße Haare und gut gefüllte Konten aufweisen.

Wer erfolgreich sein will, muss Härte zeigen

Wie hat sie sich in diesem System durchgesetzt? "Wer erfolgreich sein will, muss Härte zeigen", sagt Steinberg. Härte zeigen, das bedeutet: Härte aushalten und hart zu sich selbst sein. Als Jugendliche fing sie an zu reiten. Wenn sie vom Pferd fiel, stand sie auf und ritt weiter. Solange nichts gebrochen ist, fordert sie das auch von ihren Reitschülerinnen. Mit 16 fand sie durch eine Anzeige in der Zeitung einen Job als Arbeitsreiterin. Kurz darauf begann sie eine Ausbildung als Pferdewirtin, machte den Meister und wurde Trainerin. Dabei lernte sie früh: Der Ton im Reitsport ist rau. Man wird angeschrien und schreit andere an.

Während Steinberg durch ihren Stall läuft, verteilt sie Kommandos an die Angestellten und Nachwuchsreiterinnen. Wie nebenbei kontrolliert sie so, wer sich um welches Tier kümmert, welche Arbeiten schon erledigt sind oder noch erledigt werden müssen. Sie verteilt klare Aufgaben, spricht kurz und direkt. Steinberg ist es gewohnt, unter Stress zu arbeiten, das spiegelt sich auch im Umgang wieder.

Als Trainerin bekommt sie aber auch den Druck der Besitzer ihrer Pferde zu spüren. Werden Frauen dabei benachteiligt? "Mein Geschlecht war nie Thema, die Skepsis ist gegenüber allen groß", antwortet Steinberg. Wer Vertrauen kriegen will, muss Leistung zeigen ­- und bereit sein, Druck auszuhalten. Wie in jedem Leistungssport sind Ergebnisse das Wichtigste.

Zwar engagieren sich die Wenigsten im Galopprennsport, nur um damit Geld zu verdienen. Trotzdem sind Pferde teuer, allein Training und Verpflegung für ein Tier kostet im Monat 2000 Euro. In ihrem Stall sind 25 bis 30 Pferde untergebracht, und ihre Besitzer erwarten Resultate. Wenn es gut läuft, bekommt Steinberg als Trainerin viel Lob. Wenn es schlecht läuft, trifft sie die Kritik umso härter: "Natürlich gibt es Zeiten, in denen man sich fragt, ob es all das wert war", sagt Steinberg. Egal ob Erfolg oder Misserfolg: Am nächsten Morgen geht es für Steinberg zum Stall, die Pferde müssen gepflegt und trainiert werden.

Als Kind kümmerte sie sich um 30 Schlittenhunde

Funktionieren musste sie schon früh. Als sie acht Jahre alt war, verlor ihr Vater bei einem Motorradunfall ein Bein und lag ein Jahr im Krankenhaus. Die Familie besaß zu dem Zeitpunkt 30 Schlittenhunde. Damit sie nicht verkauft werden mussten, musste sich Steinberg jeden Tag um sie kümmern - vor der Schule und direkt danach. "Plötzlich hieß es: füttern, pflegen, funktionieren." Im Vergleich zur Verletzung des Vaters wirkten andere Probleme klein. Wenn sie als Kind hinfiel, bekam sie oft die Antwort: "Ist das Bein noch dran? Dann ist es nicht so schlimm", erinnert sie sich.

Inzwischen arbeitet Steinberg im RTC München-Riem, das Rennpferde-Trainingscenter gilt als eines der besten in Deutschland. Von der Großstadt merkt man hier nichts. Auf der Wiese neben der Koppel äsen zwei Rehe, ein Fuchs läuft am Stall vorbei. Steinberg schwärmt von der Ruhe, die gut für sie und die Tiere ist. Wenn sie mit Fantastic Moon zu Rennen fährt, gibt es sogar Fans, die auf ihr Pferd warten. "Als ob man einen Fußballspieler aus der Champions League trainiert", sagt Steinberg.

Ist sie ein Vorbild für andere junge Trainerinnen? Bei diesem Punkt wirkt Steinberg skeptisch. Der Reitsport habe ein grundsätzliches Nachwuchsproblem, sagt sie. Immer weniger Talente seien bereit, Privatleben und Freizeit fürs Reiten zu opfern: "Beim Reitsport gibt's kein Homeoffice."

Der fehlende Nachwuchs und die unveränderten Strukturen sorgten eher dafür, dass die Sieger weiter männlich bleiben: "Bis das nächste Mal eine Trainerin gewinnt, wird es wahrscheinlich ziemlich lange dauern", sagt Steinberg. Das Schild über der Stalltür hängte ja nicht sie auf, sondern der Eigentümer.

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