Russlands Nationalmannschaft:Erinnerungen an Österreich

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Noch nicht ganz auf Ballhöhe: Fedor Kudrjaschow (re., gegen Arturo Vidal) und Russlands Auswahl taten sich auch im Test gegen Chile schwer. (Foto: Maxim Shemetov/Reuters)

Gastgeber Russland nimmt den Confederations Cup mit einem Trupp der Namenlosen in Angriff.

Von Johannes Aumüller, Moskau/Frankfurt

Es waren noch knapp 20 Minuten zu spielen, da kam eine gute Erinnerung an die verblüffende Vergangenheit aufs Feld. Knapp zehn Jahre ist es her, dass Russlands Nationalelf die internationale Fußballszene aufmischte. Bei der EM 2008 in der Schweiz und der Österreich war das, da reiste ein Team der Namenlosen aus dem Osten Europas an und erwies sich plötzlich als eine Ansammlung von Maschinchen, die wundersamerweise so viel und so schnell umherrannten, dass es die Mannschaft bis ins Halbfinale gegen Spanien schaffte. Am Ende trugen die Namenlosen geschätzte Namen wie Andrej Arschawin oder Roman Pawljutschenko, um die sich reihenweise große westliche Klubs bemühten.

Es gehören nicht mehr viele Spieler von damals zur Sbornaja. Die meisten haben ihre Karriere beendet oder noch ein Austragsstüberl in Liga drei. Nur noch zwei sind übrig gebliebenen für den russischen Confed-Cup-Kader, der am Freitagabend gegen Chile sein abschließendes Testspiel absolvierte und nach einem Gegentor von Mauricio Isla (56.) sowie einem Treffer von Viktor Wassin (67.) zu einem 1:1 kam. Der eine Verbliebene ist der ewige Torwart Igor Akinfejew (ZSKA Moskau), der andere der knapp 20 Minuten vor Schluss eingewechselte Jurij Schirkow, der 2008 so irre schnell die linke Bahn auf und ab wetzte, dass ihn der FC Chelsea verpflichtete; inzwischen spielt er für Zenit St. Petersburg.

Putins Plan geht nur auf, wenn die Mannschaft groß aufspielt

Russlands Nationalelf steht vor einer schweren Aufgabe. Sie soll dieses angespannte Land durch den Confed-Cup und noch mehr durch die WM im nächsten Sommer tragen. Wladimir Putins Plan eines Propagandafestes kann nur aufgehen, wenn die Mannschaft auch mit- und groß aufspielt. Doch es ist nicht leicht, diese Ansprüche zu erfüllen. Die EM in Frankreich vor einem Jahr geriet zu einem Desaster, die Mannschaft war überaltert und langsam, und vom traditionellen technischen Vermögen russischer Mannschaften war auch nichts zu sehen. Der danach eingesetzte Cheftrainer Stanislaw Tschertschessow muss einen größeren Umbruch moderieren - und experimentiert dabei recht viel. Richtig überzeugend ist das noch nicht, auch wenn die jüngsten Ergebnisse (3:3 gegen Belgien, 3:0 gegen Ungarn, nun 1:1 gegen Chile) durchaus einen kleinen Aufwärtstrend dokumentieren. Aber im Kern ist es so ähnlich wie vor knapp zehn Jahren: Wenn das was werden soll beim Confed-Cup und bei der Weltmeisterschaft, dann muss sich, auf welche Art auch immer, ein Trupp der Namenlosen wieder in ein Kollektiv von schnell und viel rennenden Maschinchen verwandeln.

Bis auf den zur EM eingebürgerten, aber nun für den Confed-Cup nicht einmal nominierten Defensivspieler Roman Neustädter (früher Schalke, jetzt Fenerbahce Istanbul) steht kein Spieler des erweiterten Kaders bei einem ausländischen Klub unter Vertrag. Das größte Kontingent stellt Spartak Moskau (fünf), der frühere Volksklub und Serienmeister, der kürzlich nach 16-jähriger Pause erstmals wieder den nationalen Titel gewann. Nur vier Feldspieler des Confed-Cup-Kaders haben mehr als 20 Länderspiele bestritten. Und aus dem Kreis jener talentierten Juniorenauswahl, die in den vergangenen vier Jahren bei der U 17- beziehungsweise der U 19-EM die Plätze eins und zwei erreichte, haben bisher nur zwei Spieler den Sprung geschafft: Mittelfeldakteur Alexander Golowin (ZSKA), der schon eine erstaunlich wichtige Rolle einnimmt, und Offensivkraft Alexej Mirantschuk (Lokomotive Moskau).

Tschertschessow muss in den nächsten Wochen jedoch auf einige wichtige Spieler verletzungsbedingt verzichten, zum Beispiel Angreifer Artjom Dsjuba (Zenit) oder Mittelfeldmann Alan Dsagojew (ZSKA). Andere lässt er freiwillig zu Hause, weil etwa Igor Denissow (Lokomotive) oder Alexander Kokorin (Zenit) nicht gerade als die diszipliniertesten Akteure gelten. Und aus wenig disziplinierten Akteuren lässt sich nun mal keine Maschinchen-Truppe komponieren.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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