Rummel um Lukas Podolski:"Lasst den Kerl leben"

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Südafrikas Nationaltrainer Stuart Baxter war bei der Pressekonferenz nach dem Länderspiel kein gefragter Mann. Einzig ein Landsmann bat um Auskunft, wie viel Hoffnung auf den Erhalt seines Postens Baxter besitze (wenig bis keine, lautete die Antwort), dann wurde dem schnauzbärtigen Mann aus England schon der Dank für sein Erscheinen ausgesprochen.

Philipp Selldorf

Dabei hatte er sich während der Partie einige interessante Gedanken gemacht, etwa über Lukas Podolski, was wiederum nahe liegt, denn dessen drei Tore haben schließlich wesentlich dazu beigetragen, dass Baxter noch mehr die Entlassung befürchten muss.

Immer im Blitzlicht: Lukas Podolski. (Foto: Foto: dpa)

"Er ist ein guter Spieler", erklärte nun der Brite am Rande. Gut, das weiß man schon. Doch dann fing Baxter an, Podolski in den Mittelpunkt eines soziologischen Diskurses über die Unterschiede der europäischen und afrikanischen Fußballkultur zu stellen. Er erörterte, dass die Spieler in Südafrika nur in dringenden Fällen aufs Tor schießen, weil die Tore auf den Bolzplätzen der Townships keine Netze haben und der Ball deswegen kilometerweit durch die meist hügelige Stadtlandschaft davonspringt.

Ihr Fußballspiel erfüllt sich also in langen Ballpassagen. "Podolski schießt nach ein, zwei Kontakten aufs Tor. Das kennen meine Spieler nicht", sagte Baxter, "ihr Spiel ist viel komplizierter - wie das ganze Leben in Afrika."

Kaum hatte Baxter seinen kleinen Vortrag beendet, betrat Podolski den Saal, in dem er als faszinierender Hauptdarsteller des Abends präsentiert wurde. Wie erwartet, waren seine Ausführungen zum Geschehen, das er entscheidend bestimmt hatte, von nordischer Klarheit. Fußball ist zwar ein komplexes Spiel mit 100000 Möglichkeiten, das inzwischen durch seine Allgegenwart Shakespeare aus den Theaterpalästen, Picasso aus den Museen und Musil aus den Literaturhäusern zu verdrängen droht - es lässt sich aber immer noch auf die einfachsten Wahrheiten reduzieren: "Ja klar", resümierte Podolski den Abend, "wir haben 4:2 gewonnen, ich hab' drei Tore gemacht, da bin ich zufrieden." Normalerweise erzeugt so eine Antwort Verdruss und Gähnen, bei ihm aber gehört sie zur spezifischen Poldi-Folklore, die mit übermütiger Belustigung und Dankbarkeit empfangen wird.

Wo immer Lukas Podolski in Deutschland erscheint, bricht Begeisterung aus. Die Poldi-Mania hat längst die Grenzen seines rheinischen Sprengels verlassen, schon während des Konföderationen-Pokals jubelte man ihm in Nürnberg oder Leipzig wie einem Befreier zu.

In Bremen huldigten ihm die Fans bereits in großen Chören, bevor er sich mit dem Treffer zum 1:0 für den Erhalt des nächsten, mittlerweile sechsten Preises fürs "Tor des Monats" anmeldete.

Nicht überlegen ist die beste Variante

Tatsächlich handelte es sich wieder um ein typisches Werk, den Zuschauern mag es einzigartig vorgekommen sein, aber das stimmt gar nicht, wie Podolski erläuterte: "Das war gegen Saarbrücken genauso: Der Torwart kam raus, hat den Winkel zugemacht, da habe ich mir gedacht: Lupfst du ihn mal drüber, und der Ball ist dann reingegangen." Poldi-Historiker wissen: Vor einem Jahr schoss Podolski im Zweitligspiel in Saarbrücken ein ähnliches Tor, aus dem Lauf heraus, in fließender Bewegung den Ball sanft über den Torwart legend. "Wenn ich mir überlegen würde: links, rechts, was machst du jetzt, dann geht der Ball meistens daneben", erklärte er und setzte weise fort: "Klar ist das erste Tor schön, aber das wichtigste ist: Der Ball ist drin. In einem Jahr redet da keiner mehr drüber."

Möglich, aber das liegt dann daran, dass Podolski weitere zehn Tore geschossen hat, so viele wie es bisher in 17 Einsätzen waren (wobei einige Kurzauftritte die Quote stören). Es wäre ihm zuzutrauen, die Klasse besitzt er, und es ist auch nicht mehr zu erwarten, dass ihn Jürgen Klinsmann dabei noch aufhält. Beim Länderspiel in den Niederlanden hatte der Bundestrainer aus pädagogischen Gründen noch auf Podolskis Nominierung verzichtet; der Betroffene war deswegen ein wenig angespannt ("klar war man enttäuscht, ich will am liebsten jedes Länderspiel mitspielen"). Klinsmann hat jedoch Sorge, dass Podolski durch den frühen Ruhm und das Gezerre von allen Seiten auf Abwege geraten könnte: "Wir müssen behutsam mit ihm sein, lasst den Kerl leben", sagte er am Mittwochabend, aber auch er kann natürlich nicht anders als darüber zu staunen, "wie der Kerl explodiert und welche Dinge er nur aus dem Instinkt heraus macht." Es sind erstaunlicherweise immer die richtigen Dinge, für die Podolski sich entscheidet.

Selbst der gegnerische Trainer staunte

Wie beim 4:2, als ihn sein Mitspieler Bastian Schweinsteiger am Strafraum mit einem kurzen Pass für einen Moment frei spielte. Podolski nahm den Ball mit rechts an (sein schwacher Fuß), den Oberkörper ein wenig nach vorn gebeugt, legte ihn zurecht, drückte das Kreuz gerade, zielte, schoss, traf, ein perfekter Bewegungsablauf. Oder wie er selbst es beschreibt: "Ball angenommen, einfach drauf ins lange Eck. " Zwei Berührungen brauchte er dafür. Stuart Baxter schaute staunend zu.

© SZ vom 9.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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