Rudi Assauer:"Wir müssen auch mal was zurückgeben"

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Schalkes Manager über den Angriff auf Bayern München, Marcelo Bordon und die Sehnsucht nach der Champions League.

Interview: Christoph Biermann und Philipp Selldorf

SZ: Herr Assauer, Schalke hat gestern einen Schuldenstand von 112,9 Millionen Euro vermeldet. Dürfen wir spotten, dass am Samstag in Borussia Dortmund der passende Gegner zum Schuldengipfel kommt?

Assauer: Was glauben Sie, wie viel unser Gelände da draußen wert ist? Unser Zahlenmeister sagt mir, dass es rund 140 Millionen Euro Anlagevermögen sind. Noch wichtiger ist aber, dass wir unsere Schulden tilgen können. Und damit haben wir keine Probleme.

SZ: Auch weil Sie neulich den Stadionnamen an die Brauerei Veltins verkauft haben. Hat Ihnen das weh getan?

Assauer: Natürlich. Aber wenn's nicht "Veltins" gewesen wäre, wäre niemand anders auf die Schüssel gekommen. Wir brauchten einen Partner, der zu uns passt und bei uns eingeführt ist. Jeder Mensch in Deutschland weiß, dass auf Schalke "Veltins" getrunken wird, deshalb hat sich bei unseren Fans kaum einer beschwert.

Den Namen kann man im Grunde nur einmal verkaufen, und bei uns wird das Namensrecht für zehn, wahrscheinlich sogar 15 Jahre an "Veltins" gehen. In Hamburg ist der Vertrag mit AOL bald abgelaufen - wie soll das Stadion dann heißen?

SZ: Volksparkstadion.

Assauer: Und Uwe Seeler kratzt seine Rente dafür zusammen? Nein, bei uns in Deutschland kann man das nur einmal glaubwürdig vermarkten.

SZ: Bayern-Chef Karlheinz Rummenigge fordert mehr Fernsehgeld für die Bundesliga insgesamt und eine Umverteilung zugunsten der großen Klubs. Unter diesen Umständen hätten Sie den Stadionnamen nicht verkaufen müssen.

Assauer: Nein, das hätten wir sowieso gemacht.

SZ: Aber mehr Geld vom Fernsehen hätten Sie trotzdem gerne?

Assauer: Moment! Ich würde mir erst einmal wünschen, dass nicht jeder was zum Thema rausbläst. Kalle Rummenigge will mehr Geld, Franz Beckenbauer will 20 Vereine in der Bundesliga, der will dies und jener das. Damit schwächen wir nur unsere Verhandlungsposition, das ist absolut unprofessionell. Wenn ich bei einem Sender säße, würde ich denken: "Was wollen die eigentlich?" Wir sollten uns lieber mal mit ausgesuchten Leuten an einen Tisch setzen, um zu klären: Was ist die Bundesliga wert?

SZ: Wer soll da sitzen?

Assauer: Die DFL. Und vielleicht der ein oder andere Spitzenmanager der Liga mit den Vertretern der Sender. Und dann muss man sich überlegen: Über was reden wir hier eigentlich? Was will man? Die Fachleute kennen ja die Verhältnisse im Ausland: In Spanien zum Beispiel gibt es zwei Vereine, die vom Fernsehen sehr gut, und drei oder vier Vereine, die einigermaßen bezahlt werden - und der Rest kriegt einen Abklatsch, ein paar Mark fuffzig. Ist das gerechtfertigt?

SZ: Gäbe es dabei für Sie Themen, die tabu sind, etwa die Zusammenfassung der Spiele erst am Samstagabend oder Bundesliga am Sonntagmittag?

Assauer: Man muss schauen: Wie funktioniert der Deutsche? In England ist Fußball am Vormittag kein Problem - bei uns kommt die Kirche und klagt, dass die Gottesdienste wegen Fußball leer sind. Aber wir müssen auch aufpassen, dass die Liga nicht kontinuierlich runtergeht. Warum sind wir in der Europapokalwertung nur noch Vierter? Warum scheiden wir früh aus? Früher haben sie alle Angst gehabt vor den Deutschen. Heute kommt ein Klub wie Donezk mit vier Brasilianern und schaltet Schalke 04 aus.

SZ: Rummenigge würde sagen, dass das Geld fehlt, um international mitbieten zu können.

Assauer: Klar, das ist das A und O. Aber wie sag' ich es dem Kinde? Bestimmt nicht dadurch, dass ich immer alles gleich rausposaune. Dadurch erzeugt man nur Gegenwehr. Dann heißt es in der Öffentlichkeit: Die Fußballer verdienen doch genug Geld - was wollen die denn noch?

SZ: Würden Sie zustimmen, dass Schalkes Team in den letzten Jahren zu teuer war für das, was es erreicht hat?

Assauer: In diesem Jahr ist sie jeden Euro wert, aber für die vergangenen beiden Jahre stimmt es. Da haben wir nicht richtig gelegen. Aber wir korrigieren das, auch weil die Spieler inzwischen gerne zu uns kommen. Für Fabian Ernst mussten wir keine so großen Anstrengungen machen, weil er gesehen hat, dass Fußballspielen vor 60.000 Zuschauern riesigen Spaß macht.

SZ: Während Sie mit Ihren Neuerwerbungen einige Jahre nicht richtig lagen, hat es in dieser Saison mit Krstajic, Bordon, Ailton und Lincoln gepasst. Und mit Ralf Rangnick. Der ist ein Trainer, wie ihn Schalke noch nicht hatte, oder?

Assauer: Man gewöhnt sich an alles. Was Fußball betrifft, tickt der Ralf Rangnick in einigen Dingen völlig anders als ich. Aber das ist ja nicht weiter tragisch. Was ihn auszeichnet: Der arbeitet unglaublich akribisch, macht sich in jederlei Beziehung Gedanken. Die ganze Woche zermartert er sich über das nächste Spiel den Kopf. Manchmal denke ich, er sollte sich mal frei nehmen und an was anderes denken. Huub Stevens konnte auch mal ein paar Stunden loslassen. Aber bei Rangnick ist es Fußball, Fußball, Fußball, immer nur Fußball.

SZ: Wenn's um die Mannschaft ging, hieß es in letzter Zeit immer nur: Ailton, Ailton, Ailton. Das ist zur Manie geworden in Schalke.

Assauer: Darauf können wir ja keinen Einfluss nehmen. Aber wir wussten ja, was uns erwartet. Über Ailton darfst du nicht nachdenken, er denkt ja auch nicht nach - wenn er vor dem Tor steht. Deswegen macht er die Tore.

SZ: Hat es in Ihrer Zeit bei Schalke schon mal einen Spieler gegeben, der so viel Aufmerksamkeit angezogen hat wie Ailton? Und so viele Extras erhalten hat, etwa Heimaturlaub während der Saison.

Assauer: Aber er hat das ja auch schon mit Toren zurückgegeben. Er ist wiedergekommen und war ein anderer Mensch. Zum Beispiel in Gladbach, wo er drei Kirschen reingehauen hat, und man sich fragte: Wie ist das möglich auf einmal?

SZ: Weil Sie ihn so gut erzogen haben?

Assauer: Erzogen? Nein, wir kriegen Toni nicht mehr hin zum so genannten mannschaftsdienlichen Spieler.

SZ: Vielleicht kann sein Landsmann Marcelo Bordon Einfluss nehmen. Ist er in Ihren Augen ein Schlüsselspieler, wie Jiri Nemec das jahrelang in Schalke war?

Assauer: Ach was, die sind überhaupt nicht zu vergleichen. Jiri war ein Schweiger. Aber er hat seine Kollegen durch sein Spiel beeindruckt, ohne dass er was sagt. Marcelo ist einer, auf den alle in der Truppe hören, weil sie großen Respekt vor ihm haben. Das hat mit seiner Ausstrahlung jenseits des Platzes zu tun, aber auch damit, wie er spielt. Wenn er zum Kopfball hochsteigt, denkt man, dass er sich vom Fünfmeterbrett abgestoßen hat. Und dann köpft er den Ball so weit wie andere ihn schießen.

SZ: Sie schwärmen so - muss Ebbe Sand eifersüchtig sein, dass Bordon Ihr neuer Lieblingsspieler wird? Assauer: Nein, mein Lieblingsspieler ist nach wie vor Ebbe Sand. Er alleine entscheidet über seine Zukunft bei uns, das hat es auch noch nicht gegeben. Weil ich weiß, dass er genau weiß, wann der Tag gekommen ist, zu sagen: Ich schaff's nicht mehr, ich hör' besser auf.

SZ: Vorausgesetzt, Schalke qualifiziert sich für die Champions League: Was muss bei der Kaderplanung passieren, damit man sich nicht wieder blamiert wie bei der ersten Teilnahme (01/02)? Oder haben Sie's damals anders empfunden?

Assauer: Ist schon richtig. Aber eins darf man dabei nicht vergessen: Wir sind gestartet mit einem Riesenknall, den es hoffentlich nie mehr geben wird...

SZ: Sie meinen das 0:2 verlorene Spiel gegen Athen am 11. September 2001.

Assauer: Und genau an dem Tag spielt Schalke in der Champions League, genau an dem Tag - da war das ganze Ding schon verschossen. Wenn wir es jetzt wieder in die Champions League schaffen, dann ist das nicht nur für die sportliche Entwicklung ein Riesenschub, sondern für den ganzen Klub. Für seine Mitglieder und Fans. Was haben wir denn in den letzten Jahren geleistet? Das war nicht doll. Wir müssen den Leuten auch mal wieder was zurückgeben. Auch mal für Furore sorgen in der Champions League, eine Mannschaft wie Chelsea weghauen, einen Fixpunkt setzen, damit alle sagen: Oh, wie haben die das denn hingekriegt?

SZ: Diesmal war Schalke ja drauf und dran, etwas Dolles zu leisten. Sind Sie noch melancholisch wegen der verlorenen Meisterschaft?

Assauer: Überhaupt nicht. 2001 war das noch ganz anders. Aber jetzt? Wir sind einfach noch nicht so weit wie Bayern München. Wenn wir in diesem Jahr Zweiter werden und vielleicht Pokalsieger - dann ist das riesig. Und jetzt fangt Ihr an und fragt alle: Warum seid Ihr nicht Deutscher Meister geworden?

SZ: Am Samstag kommt Borussia Dortmund, eigentlich ein Feiertag für Schalke-Fans. Aber ist Dortmund überhaupt noch der große Rivale? Oder orientieren Sie sich inzwischen mehr an Bayern München?

Assauer: Dortmund muss man außen vor lassen, nach all dem, was sie durchgemacht haben. Da muss man ja den Hut ziehen, dass sie noch eine so gute zweite Halbserie gespielt haben. Dortmund ist im Moment nicht der Gegner, an dem wir uns orientieren. Wir orientieren uns an Bayern München. Natürlich. Und im nächsten Jahr müssen wir angreifen und Bayern ein bisschen näher kommen.

SZ: Dann haben Sie die beiden 1:0-Siege gegen Bayern in dieser Saison sicher besonders befriedigt.

Assauer: Natürlich. Das war 'ne riesige Geschichte. Und es wäre das absolute Sahnehäubchen, wenn wir Pokalsieger würden. Weil: das schmerzt die unheimlich. Wenn wir die ein drittes Mal packen, das tut denen weh!

SZ: Und dann kommt Uli Hoeneß und gratuliert?

Assauer: Uli Hoeneß ist ein netter, feiner Kerl. Der gratuliert sofort.

Schalker Finanzen

Schalke 04 verzeichnet in seiner jüngsten Bilanz erneut einen hohen Verlust aus der "gewöhnlichen Geschäftstätigkeit". Für das Geschäftsjahr 2004 wies der Klub einen operativen Verlust von 23,1 Millionen Euro aus (Vorjahr: minus 19,0 Millionen). Unter dem Strich steht bei einem Gesamtertrag von 95,2 Millionen Euro (2003: 98 Millionen) dennoch ein Jahresüberschuss von 43,2 Millionen. Dieser erklärt sich durch das Heben "stiller Reserven", u.a. durch Umstrukturierungen im Verein und die Neubewertung einiger Beteiligungen. Das Anlagevermögen des Vereins stieg auf 140,5 Millionen Euro und damit über den aktuellen Schuldenstand von 112,9 Millionen Euro, der zu mehr als zwei Dritteln auf die Schechter-Anleihe zurückgeht.

© SZ vom 14.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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