Rudern:Rücktritt zum Nachwuchs

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Erst die Arbeit, dann die Enttäuschung: Der Deutschland-Achter fährt in Rio zu Silber hinter Großbritannien, Gold war das klare Ziel. (Foto: Sven Simon/imago)

Der Deutschland-Achter nimmt einen neuen Anlauf für Olympia: Im Hinblick auf Tokio 2020 packt Erfolgstrainer Holtmeyer sogar selbst beim U23-Kader an.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Die öffentliche Entrüstung darüber, dass im Leistungssport schon Zweitplatzierte zu Verlierern degradiert werden, tröstet im erfolgsgewohnten Deutschland-Achter niemanden; die besten deutschen Ruderer haben selbst die höchsten Ansprüche an sich. Folglich waren sie untröstlich, als sie am 13. August 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio als Zweite aus dem Boot stiegen. Schlagmann Hannes Ocik war enttäuscht, Bundestrainer Ralf Holtmeyer stellte gleich das ganze System beim Deutschen Ruderverband in Frage. Am Ende trat die Trainer-Ikone Holtmeyer sogar zurück - aber bloß für ein Jahr, um bis zum kommenden Herbst selber im U23-Team die Weichen für wieder goldene Zeiten zu stellen.

Man muss sich das so vorstellen, als übernähme der Fußball-Bundestrainer Joachim Löw nach einem verlorenen WM-Endspiel aus eigenen Stücken für eine Saison die U21, um mit den Nachwuchsspielern die Basis für künftige Erfolge zu legen. "Leistung hat einen Vorlauf", sagt Holtmeyer, "wir müssen die Lücken schließen, die sich bei Olympia in Rio hinter dem Achter aufgetan haben." Der 61-Jährige kümmert sich bis Oktober um die Talentsichtung und die Neustrukturierung im Nachwuchs. Er denkt aber nicht nur voraus, er will auch mit anpacken. Holtmeyer sagt: "Der Nachwuchs ist wichtig, und das muss man auch mit Leben füllen."

Drei Jahre lang, von 2013 bis 2015, war der deutsche Achter bei den Weltmeisterschaften knapp Zweiter geworden hinter den Briten, erst mit 54 Hundertstelsekunden Rückstand, dann mit 66 und schließlich mit 18 - und als sie sich beim olympischen Finale in Rio dafür revanchieren wollten, kamen sie wieder bloß als Zweite ins Ziel, diesmal sogar mit 1,36 Sekunden Differenz. Das waren zwei Hundertstel weniger als die drei vorangegangenen WM-Niederlagen in der Addition. "Vier Jahre Arbeit - für eine Silbermedaille", sagte Schlagmann Ocik verbittert.

Ocik hat das aber nicht davon abgehalten, den nächsten Vier-Jahres-Rhythmus mit der Doppelbelastung aus Sport und Polizeiberuf anzugehen. Der 25-Jährige ist neben Steuermann Martin Sauer sowie Richard Schmidt und Malte Jakschik eines von vier Besatzungsmitgliedern aus dem Rio-Achter. Neu im Boot sitzen, zunächst mit Blick auf die Europameisterschaften Ende des Monats in Tschechien und die WM im September in Florida, der Essener Jakob Schneider, der Hamburger Torben Johannesen, Maximilian Planer (Bernburg), Felix Wimberger (Passau) und Johannes Weißenfeld (Herdeck).

Weißenfeld, 22, ist einer der Jüngsten im Achter, aber er hat die Leistungsmaxime des Bootes bereits verinnerlicht. "Wir stecken unsere Ziele bekanntlich sehr hoch", sagt der Medizinstudent schmunzelnd und nickt, wenn der älteste Achter-Ruderer Schmidt, 29, ankündigt, die neue Besetzung eigne sich zum Olympiasieg 2020 in Tokio. Unterstützung erhalten die Athleten von jenem Mann, der bis zur WM im September der Bundestrainer ist: Uwe Bender. Der 58-Jährige aus Saarbrücken bereitet den Achter auf EM und WM vor, denkt aber auch über diese Phase hinaus, wenn er sagt: "Im olympischen Zyklus zwischen 2009 und 2012 war der deutsche Achter dominant und hat am Ende bei Olympia gewonnen; im Zyklus zwischen 2013 und 2016 ist das den Engländern gelungen - jetzt wollen wir wieder versuchen, im neuen Zyklus bis 2020 vorne zu sein."

In den Listen für die bevorstehende EM hat Bender bereits entdeckt, dass die vier Jahre lang unbesiegten Engländer ihren Achter neu besetzt haben. Die Karten in Richtung Tokio werden also durchgemischt, das gilt in den kommenden drei Jahren auch im deutschen Boot. Die derzeitigen Athleten vor dem gesetzten Steuermann Sauer haben sich seit Herbst unter 22 Bewerbern durchgesetzt. Die Konkurrenz ist groß, die Leistungsbereitschaft deshalb umso größer. Sämtliche Ruderer absolvieren eine duale Karriere, die meisten studieren nebenbei. Um die Bedingungen zu verbessern, war Richard Schmidt am Mittwoch im Sportausschuss des Bundestags zu Gast. Als Mitglied in der Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbunds fungiert er im Sportausschuss als Sachverständiger.

Und so schauen bereits im nacholympischen Jahr im Deutschland-Achter alle über den Bootsrand hinaus, um die Bedingungen für künftige Erfolge wieder zu verbessern. Mit dem Silber von Rio haben sie sich mittlerweile trotzdem ganz gut angefreundet.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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