Riquelme:Das Auge im Sturm

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In Argentiniens aufregender Elf gibt es für jeden Ersatz, nur nicht für den stillen Roman Riquelme im Zentrum.

Peter Burghardt

Schwermut liegt über dem Rio de la Plata, sie klingt in der Wehmut des Tango, und manchen Menschen steht sie ins Gesicht geschrieben. Juan Roman Riquelme wirkt meistens so verschlossen, als trage er eine Last, die ihm sichtbare Freude allenfalls beim Torjubel erlaubt.

Juan Roman Ruiquelme: die gesamte Melancholie von Buenos Aires (Foto: Foto: AP)

Selbst nach rauschenden Siegen kommt der argentinische Spielmacher oft daher, als habe er gerade etwas Deprimierendes erlebt. Auch auf dem riesigen Werbefoto für den Sponsor scheint sich die gesamte Melancholie von Buenos Aires in seinen dunklen Augen zu spiegeln.

Das sei ja ein Kontrast zum ständig lachenden Ronaldinho, stellte kürzlich bei einem Pressetermin ein aufgekratzter Reporter fest und erkundigte sich, wieso er so ernst schaue. "Jeder hat seine eigene Art", antwortete Riquelme ruhig, "Zidane lacht auch nie und ist seit zehn Jahren der Beste der Welt. Ich bin glücklich, wenn ich Fußball spiele. Am Tag, an dem ich nicht mehr zufrieden bin, höre ich auf."

Stiller Anführer

Argentiniens Regisseur hasst öffentliche Inszenierungen, jedenfalls jenseits des Rasens, seinem Biotop. "Er ist ein etwas stiller Anführer außerhalb des Spielfelds", sagt Trainer Jose Pekerman, ebenfalls ein zurückhaltender Zeitgenosse.

"Aber auf dem Platz wissen die Spieler, dass er immer den Ball fordern und verteilen wird, dass er sie gut in Position bringt. Er mag keine Anerkennung, doch er hat eine klare Idee von dem, was seine Aufgabe ist. Ich habe wenige Spieler mit einer solchen Fähigkeit kennen gelernt, das Spiel zu lenken. Er kann es bremsen, wenn das sein muss, und kann es schnell machen. Er ist einer dieser Spieler, die sich mit der Zeit verloren haben."

Bei dem Thema gerät Pekerman ins Schwärmen, und er weiß: Er kann in dieser bisher besten und aufregendsten Elf der Weltmeisterschaft fast jeden ersetzen, sogar den Wunderknaben Lionel Messi - nur ihn nicht, den wortkargen Dirigenten mit dem betrübten Blick.

Ritterschlag der Legende

Es hat ihn geraume Zeit gekostet, sich so unverzichtbar zu fühlen. Im Grunde kämpft Riquelme darum bereits seit dem 24. Juni 1978, als er vor 28 Jahren im Armenviertel Don Torucato am Rande von Buenos Aires geboren wurde, gefolgt von zehn Geschwistern.

Er setzte sich beim Straßenfußball durch, wurde von den Talentförderern von Argentina Juniors entdeckt, wechselte mit 18 zu Boca Juniors, wurde mit 19 unter Pekerman Juniorenweltmeister und unter dem knorrigen Carlos Bilardo A-Nationalspieler, gewann mit 22 gegen Real Madrid den Weltpokal.

Der Weg erinnerte an den eines Genius, der bald zur Belastung wurde. Als Diego Maradona am 25. Oktober 1997 ein letztes Mal vom Feld der Bonbonera lief, dem Stadion der Boca Juniors, da folgte ihm Teenager Riquelme. "Das war ich", verkündete Maradona und ernannte ihn endgültig zu seinem Nachfolger, als er beim Abschiedsspiel am 10. November 2001 an gleicher Stelle das hellblauweiße Hemd Argentiniens auszog und ein dunkelblaugelbes Boca-Trikot zum Vorschein kam, Aufdruck Roman, Nummer 10.

Der Ritterschlag der Legende verfolgt ihn seit bald zehn Jahren, so lange sucht Argentinien ja schon nach einem Ersatz für seinen Diego, und bis vor kurzem war ihm das zu viel. In der Auswahl kam Riquelme schlecht zurecht, die Trainer Daniel Passarella und Marcelo Bielsa setzten ihn nur sporadisch ein, er war ihnen zu langsam und phlegmatisch, die letzten beiden Weltmeisterschaften fanden ohne das schweigsame Talent statt.

Tragödie um entführten Bruder

Im April 2002 blickte er obendrein in die Abgründe von südamerikanischer Gewalt und Popularität. Sein damals 17-jähriger Bruder Cristian, seinerzeit mittelmäßiger Zweitligakicker, wurde entführt und 30 Stunden später gegen ein üppiges Lösegeld frei gelassen, gerüchteweise waren die Kidnapper Bekannte aus der Kindheit.

Danach verließ Riquelme mit Frau und Tochter sein geliebtes Boca Juniors und sein Haus am Rande der Slums und zog wie so viele Landsleute nach Europa, zum FC Barcelona, doch auch dorthin folgte ihm Maradonas Schatten.

Der sture Holländer Louis van Gaal schickte ihn bald auf die Ersatzbank, seine neue Heimat fand er in der spanischen Provinz. Der kleine FC Villarreal bei Valencia machte Riquelme ab 2003 wieder groß und er den Verein, 2004 kehrte er auch in Argentiniens Auswahl zurück.

Endlich fand er zwei Trainer, die ihn verstanden: Jose Pekerman und Manuel Pellegrini. Auch der Chilene Pellegrini lässt ihm bei Villarreal alle Freiheiten - unter ihm wurde Riquelme zum besten Vorbereiter der Primera Division und führte seinen Klub bis ins Halbfinale der Champions League, wo er allerdings einen Tiefpunkt seiner Karriere erlebte.

Im Rückspiel gegen Arsenal London verschoss der beste Mann eine Minute vor Abpfiff einen Foulelfmeter, der die Verlängerung bedeutet hätte und die Chance auf den historischen Einzug ins Endspiel gegen Barca. Danach sagte Riquelme erstmal gar nichts mehr, und sein Mitspieler Josico erläuterte, das sei auch nicht nötig, "jeder weiß, wie er sich fühlt".

Auch dieses Gespenst will Riquelme bei der WM vertreiben. Pekerman übertrug ihm die Regie bei der Mission Titel, wie früher in der U20, wo sie 1997 in Malaysia gemeinsam triumphiert hatten. Jetzt ließ er sich statt der 8 endlich auch in der Albiceleste Maradonas 10 auf den Rücken setzen und erträgt stoisch die ständigen Vergleiche mit der Diva, die das Team als Galionsfigur durch die WM begleitet und mittlerweile außerdem Carlos Tevez und vor allem Lionel Messi zu seinen Erben ernannt hat.

Anders als andere Stammkräfte wollte Riquelme auch gegen Holland keine Pause machen und ließ sich am Ende widerwillig auswechseln. "Wir genießen das alles", sprach Riquelme, "ich bin sehr glücklich." Und schaute traurig.

© SZ vom 24.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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