Real Madrid:Der Pakt des Pumas

Lesezeit: 3 min

Real Madrids Emerson muss zu Hause nicht spielen, da er sich vor dem eigenen Publikum fürchtet.

Javier Cáceres

Als der argentinische Fußball-Weltmeister und -intellektuelle Jorge Valdano das Konzept der ,,szenischen Angst'' beim Literatur-Nobelpreisträger Gabriel García Márquez entlehnte, um den Gemütszustand auswärtiger Fußballer im Estadio Santiago Bernabéu zu umschreiben, ahnte er nicht, wie sehr auch Furcht die Seiten wechseln kann.

Real Madrids Emerson: Hat er wirklich Angst vor den eigenen Fans, die ihn zugegebenermaßen brutal behandeln? Und wenn ja, hat Trainer Capello wirklich Verständnis dafür? (Foto: Foto: AFP)

Seit Monaten schon zeigt sich das berühmte Stadion am Paseo de la Castellana, der Prachtstraße von Spaniens Hauptstadt, als ein Ungeheuer mit 80.000 Mündern, das den in Weiß gekleideten Spielern von Real Madrid den Schrecken in die Glieder fahren lässt.

Wie groß diese Angst werden kann, zeigt nichts besser als das Beispiel des brasilianischen Nationalspielers Emerson - und das, obwohl er einen furchterregenden Spitznamen trägt: Puma.

Denn wie Real Madrids Manager Pedja Mijatovic enthüllte, hat der frühere Mittelfeldspieler von Bayer Leverkusen mit seinem Trainer Fabio Capello einen ebenso unerhörten wie seltsamen Pakt geschlossen, der ihn davor schützt, sich der Qual auszusetzen, im Bernabéu-Stadion aufzulaufen.

Lauschangriff der Lippenleser

Die Erklärungen von Mijatovic waren die Folge eines Lauschangriffs. Jede Diskretion über den Haufen werfend, ist Spaniens Sportpresse nämlich dazu übergegangen, die Dialoge der Akteure auf dem Spielfeld durch Lippenleserei zu entschlüsseln; am Wochenende wurden Casillas, Raúl und Guti Opfer dieser Unsitte. Wie zuvor Emerson. Nach dem Achtelfinal-Hinspiel gegen den FC Bayern vom Dienstag vergangener Woche (3:2) hatte der Fernsehsender Cuatro einen Moment aus der zweiten Halbzeit eingefangen, in dem Capello das Gesicht gefror.

Es war, als er nach ,,Puma'' rief und entsetzt registrierte, dass dieser sich weigerte, aus dem Verschlag zu kommen, in dem er es sich gemütlich gemacht hatte, obwohl sein Team gegen Bayern offenkundig ins Hintertreffen geriet. ,,Du gehst nicht?'', las ein berufsmäßiger Lippenleser dem entgeisterten Capello vom Munde ab - und errichtete so einen herrlichen Nebenkriegsschauplatz, der von der Presse weidlich ausgeschlachtet wurde: ,,Emerson weigert sich, zu spielen!'' Was alles noch schlimmer machte, war, dass Mark van Bommel den wichtigen zweiten Treffer des FC Bayern in der 88.Minute und nach der Weigerung Emersons erzielte, sich für Real in den Staub zu werfen.

Danach mühte sich Capello tagelang, dem Eindruck entgegenzuwirken, Emerson sei ein Defätist. ,,Er hat sich nicht geweigert, das ist eine Lüge!'', zischte Capello bei jeder Gelegenheit, und verzichtete demonstrativ darauf, Emerson mit einer Geldstrafe zu versehen.

Bei jedem Ballkontakt ausgepiffen, als wäre er ein Verräter im eigenen Trikot

Doch Überzeugungskraft entwickelte der Marschall im Trainingsanzug nicht, trotz garstigem Ton und mörderisch bohrenden Blicken auf jene, die ihn mit inquisitorischen Fragen behelligten. Das wiederum brachte Manager Mijatovic auf den Plan. Doch ob sein Versuch, die Lage zu beruhigen, wirklich gelungen war, darf bezweifelt werden. Denn er legte bloß, dass Emerson nicht spielen wollte, weil er nicht spielen musste. Gemäß eines Paktes mit Capello.

Diese Übereinkunft war, wie Mijatovic im Radiosender Onda Madrid erklärte, nach dem vorletzten Ligaspiel gegen Betis Sevilla (0:0) erzielt worden, dem jüngsten einer langen Serie von Spielen, in denen Emerson vom Publikum im Bernabéu in Grund und Boden gepfiffen worden war. Bei jedem Ballkontakt, als wäre er ein Verräter im eigenen Trikot.

Zu allem Überfluss wurde ihm auch noch seine 120.000-Euro Limousine geklaut, immerhin wurde sie irgendwo zwischen Österreich und Ungarn wieder aufgetrieben. Verständnis für seine Lage ist ihm nicht vergönnt, auch nicht unter den Kollegen, die nicht spielen. ,,Keine Ahnung, was das für ein Pakt ist'', klagte Raúl Bravo: ,,Warum wird er berufen, wenn er eh nicht spielt?''

Mit Diarra gegen die Bayern

Emersons Unglück besteht darin, das Symbol für den in Madrid ungeliebten Fußball Capellos darzustellen. Emerson ist ein atypischer Brasilianer, technisch belanglos, aber fußballtaktisch enorm beschlagen, mit einem guten Auge für den richtigen Moment, den Gegner zu stören. ,,Kein Spieler bringt so viel Gleichgewicht und Erfahrung ins Spiel ein'', sagt Capello, der schon beim AS Rom und Juventus Turin mit Emerson zusammengearbeitet hat.

Dort, in Italien, haben sie ihn geliebt, und es fiel auch nicht ins Gewicht, dass er sich mittlerweile mit der Leichtigkeit von Miss Piggy im Ballettkleidchen bewegt. Das Bernabéu aber will Nurejews. Deshalb die Pfiffe, deshalb der Mangel an Geduld, der Emerson so sehr zu schaffen macht, dass er sich im Herbst, als er im Bernabéu ein Tor erzielte, demonstrativ weigerte, es zu feiern, sich sogar mit zusammengekniffener Stirn aus den Umarmungen der Kameraden löste, weil er auch deren Glückwünsche nicht entgegennehmen wollte.

,,Hier wird mein Werdegang nicht respektiert'', hat er geklagt, und damit wohl seinem Abschied in Juni das Wort geredet. Ob er am Sonntag im Heimspiel gegen Getafe aufläuft, ist fraglich. Nötig wäre er, denn Guti und Diarra sind gesperrt.

Spätestens am Mittwoch aber, im Rückspiel beim FC Bayern, soll Emerson eine bedeutende Rolle einnehmen. Zusammen mit dem ebenfalls nur wenig geliebten Diarra aus Mali soll er ein defensives Mittelfeld aus stählernen Muskeln bilden, in denen sich die Bayern verheddern sollen. ,,Emerson funktioniert auswärts besser als daheim. Wie die ganze Mannschaft'', sagt Mijatovic. Vor allem spürt der Brasilianer dort keine Angst vor dem Publikum.

© SZ vom 01.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: