Radsport:Panne in der Frankenstein-Branche

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Tour-de-France-Held Lance Armstrong erwehrt sich neuer Dopingvorwürfe, die so massiv sind wie nie zuvor.

Thomas Kistner

Vier Monate lang, schreibt die französische Sport-Tageszeitung L'Equipe am Dienstag, habe sie den Fall recherchiert - nun seien alle Zweifel beseitigt und Lance Armstrong des Dopings überführt. Laut der renommierten Sportgazette hat der 33-Jährige für seinen ersten Erfolg bei der Tour de France 1999 kräftig mit dem Blutdopingmittel Erythropoetin (Epo) nachgeholfen. "Die Lüge Armstrong" heißt der Beitrag, der dezidiert darlegt, wie in den damals eingefrorenen Urinproben des Texaners das Blutdopingmittel nachgewiesen wurde - gleich sechsmal.

Armstrong, der nach seinem siebten Tour-Sieg in Serie am 24. Juli zurückgetreten ist, bestreitet die Anschuldigung so routiniert wie alle anderen zuvor. Er habe nie Verbotenes genommen, behauptet er auf seiner Homepage. "Das ist purer Skandaljournalismus und eine weitere Hexenjagd der L'Equipe."

Kein Zweifel an Resultaten der Proben

Die Radsportszene ist in Aufruhr. Und besonders naive Fürsprecher des Texaners wie die belgische Rad-Legende Eddy Merckx ("Armstrong hat mir immer wieder bestätigt, nie gedopt zu haben"), hoffen, dass die Entdeckung der Pariser Laborexperten keine Konsequenzen nach sich zieht. Denn die Analyse der 1999 eingefrorenen Urin-Proben erfolgte erst 2004 - mit dem Ziel, die Nachweismethoden für Epo zu verbessern. Zur Zeit der Entnahme 1999 war diese Analytik noch nicht ausgereift. Erst bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney wurden die Kontrollen auf Epo ausgeweitet, 2001 wurden sie bei der Tour eingesetzt.

Der Direktor des Labors in Chatenay-Malabry, Jacques de Ceaurriz, hegt keine Zweifel an den Resultaten der Proben. "Die Tests fanden im Zuge wissenschaftlicher Forschungen statt. Wir haben wie immer anonym ausgewertet. Der experimentelle Charakter des Tests und die Tatsache, dass es keine Möglichkeit zu einem Gegengutachten gibt, lassen aber keine Möglichkeit zu, Fahrer auf Grund unserer Ergebnisse zu sanktionieren", sagte Ceaurriz.

Dies sieht Kollege Wilhelm Schänzer anders. Der Leiter des gleichfalls vom IOC akkreditierten Dopinglabors in Köln sagt: "Wenn ein Befund klar positiv ist und sich das Resultat eindeutig einem Fahrer zuordnen lässt, sollte man diese wissenschaftlichen Ergebnisse auch verwerten. Nur so kann der Antidopingkampf effektiv geführt werden." Im übrigen hat auch Schänzer keine Zweifel an der Seriosität der Analysen. "Urinproben halten sich bei einer Lagertemperatur von minus 20 bis minus 40 Grad jahrelang. Die Resultate sind für mich wissenschaftlich stichhaltig, wenn die Franzosen das sagen. Dieses Analyseverfahren haben sie selbst entwickelt", sagte Schänzer der SZ.

Die Affäre dürfte in ein juristisches Stechen münden. Die Weltantidoping-Agentur Wada hat die Papiere erhalten und prüft, ob sie ihr Sorgenkind packen kann. Armstrong hatte erst im April per offenem Brief an europäische und amerikanische Zeitungen den Rücktritt von Wada-Chef Dick Pound gefordert. Er bezog sich dabei auf Äußerungen Pounds, der gesagt hatte, die Funktionäre des Radsport-Weltverbandes UCI wüssten, dass "die Fahrer der Tour de France verbotene Substanzen nehmen".

Armstrong zürnte: "Als einer der am schärfsten kontrollierten Sportler der Welt bin ich nie positiv getestet worden." Pound gehe davon aus, "dass negative Tests nicht beweisen, dass Sportler sauber sind". Eine Annahme, die richtig ist. "Kann ein Mensch mit solchen Überzeugungen die wichtigste Antidopingagentur leiten? Meine Antwort ist nein", schrieb der für arrogantes Auftreten gefürchtete Amerikaner.

Erster Ansatzpunkt der Wada dürfte sein, nach weiteren Langzeitproben Armstrongs zu forschen. Fänden sich solche, wäre ein Dopingtest möglich. Aber auch auf Grundlage der "Null-Toleranz-Politik", die IOC-Präsident Jacques Rogge vorgibt, wäre der Texaner angreifbar - falls die von Schänzer geforderte "klare Zuordnung" der in Paris ermittelten Resultate auf den Fahrer möglich ist. Das Pariser Labor hatte codierte Proben vorliegen, deren Entschlüsselung L'Equipe gelungen sein will: Die Zeitung druckte Kopien der Tour-Originalunterlagen sowie die Ergebnisse der Dopingproben des Labors ab. Dabei lassen sich die nummerierten Tests Armstrong zuordnen. Andererseits ist auch klar: Sollte dieser Beleg fehlerhaft sein, darf sich die Sportfachgazette auf eine Schadenersatzklage enormen Ausmaßes gefasst machen.

Begehrtes Teamwork mit Ferrari

An dem Fakt, dass Armstrong seit jeher zu den stark dopingverdächtigen Fahrern gehört, könnte dies auch nichts ändern. Vor kurzem wurde sein langjähriger Edeldomestike Tyler Hamilton, Zeitfahr-Olympiasieger von Athen, wegen Blutdopings gesperrt. Und die Vorwürfe gegen Armstrong selbst sind Legion und nie überzeugend entkräftet worden. Insbesondere seine Zusammenarbeit mit dem in Italien wegen Sportbetrugs verurteilten Arzt Michele Ferrari, den Armstrong gern als "Ehrenmann" verteidigt, wirft heikle Fragen nach seiner Arbeitsweise auf.

Ferrari gilt in der Branche als Epo-Guru, er hat Sportlern unter anderem Epo verschrieben und verkauft. Epo erhöht die Anzahl der roten Blutkörperchen und damit den Sauerstofftransport in die Muskeln. Das in gewissen Kreisen sehr begehrte Teamwork mit Ferrari beinhaltet nach Insiderberichten, dass der Arzt, der als "Mister zehn Prozent" gilt, sich vertraglich ein Zehntel aller künftigen Einnahmen zusichern ließ.

2004 erschien in Frankreich und England "L.A. Confidential - die Geheimnisse des Lance Armstrong". In dem Buch wird der Star von seiner früheren Masseurin Emma O'Reilly des Epo-Konsums beschuldigt. Armstrong scheiterte mit einer Klage gegen Herausgeber und Autoren auf Gegendarstellung. Im April 2005 legte Armstrongs früherer persönlicher Assistent Mike Anderson nach. Er will 2003 Dopingmittel wie Anabolika in Armstrongs spanischem Haus bei Girona gefunden haben. Armstrong klagte.

Im Spitzensport sind nach Expertenmeinung rund 80 Präparate virulent, für die es keine Analytik gibt. Den Mann, der diese Frankenstein-Branche dominierte wie kein anderer, würde auch die UCI dazu zwingen können, endlich einmal darzulegen, wie man ohne Doping jahrelang allen anderen davonfahren kann - darunter so vielen, die überführt worden sind. Aber dem Radweltverband durfte so ein Interesse bisher nicht unterstellt werden. Eher schon den Behörden in Frankreich. Dort gibt es ein effektives Antidopinggesetz.

(SZ vom 24.8.2005)

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