Radsport:"Ich bin durch damit"

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Wird nicht mehr in ein Tour-Trikot schlüpfen: Marcel Kittel zieht sich vom Radsport zurück. (Foto: Philippe Lopez/AFP)

Marcel Kittel beendet seine Karrier. Er habe die Freude am Sport verloren, sagte der deutsche Tour-Rekordetappensieger. "Am Ende war ich nur noch unglücklich."

Der Kopf will nicht mehr, der Körper hat genug von der Schufterei, und mit dem Herzen ist Marcel Kittel schon lange nicht mehr dabei: Deutschlands bester Sprinter des vergangenen Jahrzehnts hat einen Schlussstrich gezogen und mit nur 31 Jahren seine Radsport-Karriere beendet. "Ich bin durch damit", sagte Kittel. "Ich habe die Freude an dem Sport verloren. Und damit jede Motivation, mich weiter zu quälen." Die Entscheidung des Profis aus dem thüringischen Arnstadt kommt nicht gänzlich überraschend. Im Mai hatte Kittel seinen Vertrag beim Team Katusha-Alpecin aufgelöst und eine Auszeit vom Profigeschäft genommen. Daraus wurde nun ein endgültiger Abschied - zwei Jahre nachdem Kittel mit fünf Etappensiegen bei der Tour de France 2017 der strahlende Held gewesen war.

"Es war ein langer Prozess", sagte Kittel dem Spiegel. Er hatte lang mit sich gerungen. Noch einmal einen Anlauf wagen, beim niederländischen Rennstall Jumbo-Visma um seinen Kumpel Tony Martin, einem Team mit hohem Wohlfühlfaktor? Doch letztlich sah der deutsche Tour-Rekordetappensieger keine Perspektive, keinen Reiz, nichts Schönes mehr im Profidasein.

"Da gab es nicht viel links und rechts. Familie, Freunde, alles ist zu kurz gekommen. Dazu die permanente Müdigkeit und Routine. Ich habe diesen Verlust an Lebensqualität immer mehr realisiert", sagte Kittel.

Erstmals seien im "Seuchenjahr" 2015 Zweifel aufgetaucht, als Kittel krankheitsbedingt monatelang die Kraft fehlte. Tage habe es damals gegeben, da sei er zehn Kilometer gefahren, "dann habe ich geheult und bin wieder umgedreht". Kittel suchte psychologische Hilfe, dennoch blieb die Frage: "Warum mache ich das eigentlich?"

Lange halfen ihn Erfolge, die Antwort zu finden. Beim Vorläufer des heutigen Sunweb-Teams, wo Kittel ab 2011 in die Weltklasse vordrang. Oder bei Quick Step, wo er 2016 und 2017 hochbezahlter Topstar war. Mit dem Wechsel 2018 zu Katusha-Alpecin, das sich mit Fahrern wie Martin und Kittel einen prominenten deutschen Anstrich verpassen wollte, begann der Niedergang.

Ab dem Wintersemester will Kittel an der Uni Konstanz Wirtschaft studieren

"Meine Erfahrung bei Katusha war nicht der Grund, aber der Anstoß, darüber nachzudenken, was mir wichtig ist", sagte Kittel. Drei Siege feierte er im Katusha-Trikot, 26 waren es in zwei Quick-Step-Jahren, Kittel wurde öffentlich als faul und geldgierig an den Pranger gestellt. Wie sehr ihn das traf, ließ er erst jetzt durchblicken. "Ich habe kein Vertrauen gespürt, sondern nur Druck, Druck, Druck", sagte Kittel, der schon die Saison 2018 vorzeitig ausgebrannt beendete: "Der ganze Stress hat sich körperlich ausgewirkt, ich fühlte mich krank, saß mit einem Stein im Magen auf dem Rad." Der Abschied vom Team war zwangsläufig: "Am Ende bin ich nur noch unglücklich gewesen, war mit den Nerven durch."

Glück will Kittel nun fernab des Radsports finden. Ab dem Wintersemester studiert er an der Uni Konstanz Wirtschaft, im November werden er und seine Lebensgefährtin Tess Eltern - auch das ein Grund für den Rücktritt: "Als Radfahrer bist du 200 Tage im Jahr unterwegs. Ich möchte meinen Sohn nicht über Skype aufwachsen sehen."

Langjährige Weggefährten bedauern Kittels Schritt. "Er ist der weltbeste Sprinter, hätte noch viele Radrennen gewinnen können", sagte Tony Martin. Der gemeinsame Manager Jörg Werner meinte: "Er hat einen ganzen Sack voller Talent. Ich glaube, er würde noch fahren, wenn es bei dem Team anders gelaufen wäre." Kittel weiß den Zuspruch zu schätzen: "Es rührt mich, dass es alle schade finden, aber nur deshalb kann ich ja nicht weiterfahren."

© SZ vom 24.08.2019 / sid - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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