Radsport:Eindeutig Durchfall?

Lesezeit: 4 min

Im Fall des WM-Dritten Stefan Schumacher windet sich der Bund Deutscher Radfahrer um eine schlüssige Erklärung. War es tatsächlich eine Magenverstimmung?

Thomas Kistner

Schumacher, der Name steht für Triumphe, welche die Sportwelt neidvoll auf Deutschland blicken ließ. Aber jetzt flitzt Michael Schumacher nicht mehr durch die Motodrome, um so beklagenswerter ist, dass es am vorigen Sonntag einem Landsmann versagt blieb, in die Spur des großen Schumi zu rasen: Radprofi Stefan Schumacher. Der wurde immerhin noch WM-Dritter, hatte dabei aber eine derart heftige körperliche Schwächung hinter sich, dass er dem Peloton in gesunder Verfassung wohl meilenweit enteilt wäre.

Diesen Schluss nährt ein Bulletin, das vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) am Montag verbreitet wurde: Schumacher habe zu Beginn der WM-Woche schweren Durchfall gehabt, so schlimm, dass die Blutwerte des Nürtinger Profis, der bei der WM in der Heimat besondere Ziele verfolgte, in auffällige Bereiche gelangt waren. Aber nicht darüber, wie nach Tests durch die Nationale Antidopingagentur (Nada) und den Weltverband UCI feststand. Doch da scheiden sich die Geister.

Die Nada hatte laut ihrer Sprecherin Ulrike Spitz bei einem Trainingstest am Dienstag, 25. September, erhöhte Werte ermittelt, "in verschiedenen Parametern, die über den international geltenden Grenzwerten lagen". Dies sei der Grund gewesen, "dass überhaupt die Meldung an den BDR erging, auf der Basis mussten wir den Verband informieren". Bezeichnenderweise hatte die Nada auf Einschaltung der UCI gedrängt. In deren Reglement sind Schutzsperren für erhöhte Hämatokrit- und Hämoglobinwerte verankert.

Nun windet sich der BDR, weil hier womöglich ein Versteckspiel mit signifikanten Werten getrieben wird - warum, wenn sich deren Zustandekommen medizinisch klar erklären lässt? Der Verband hatte im Pressetext am Montag verkündet: "Alle festgestellten Werte lagen in Bereichen, die unter den Grenzwerten der UCI lagen, wodurch ein Wettkampfausschluss zu keinem Zeitpunkt in Betracht kam."

Unbeantwortete Fragen

Eine schriftliche Anfrage, ob damit explizit auch die Nada-Werte gemeint waren oder nur die Werte, die bei einem Nachtest drei Tage später durch den Weltverband UCI ermittelt wurden, ließ BDR-Generalsekretär Martin Wolf unbeantwortet, auch am Telefon wollte er "nicht mehr dazu sagen".

Er verwies stattdessen darauf, dass die Nada-Probe erst am Folgetag analysiert worden war, was indes die Probe nicht derart verändern kann, dass Hämatokrit und Hämoglobin nach oben gehen. Bei der Nada immerhin heißt es, die UCI habe von einer Schutzsperre abgesehen, weil dafür alle erhobenen Werte über den Grenzbereichen sein müssten.

Das lässt sich so verstehen, dass die mit viel Steuergeldern ausgestatteten und von Funktionären gerühmten Trainingstests nichts bringen; außer womöglich Funktionäre und Athleten zu warnen. Dabei sollen gerade die Trainingstests den Sport vom Dopingübel erlösen. Was bleibt von der Abschreckung, wenn - wie geschehen - Sportfunktionäre nur weitere Tests veranlassen, mit denen in Verdacht geratene Athleten sowieso rechnen müssen.

Im Fall Schumacher alarmierte die Nada am 27. September BDR und UCI; die testete am 28. September erneut: alle Werte im grünen Bereich.

Nach dem UCI-Test war Schumacher zudem über den Nada-Test informiert worden. Der Athlet hatte selbst gleich Entlastungsmaterial zur Hand, das in die Bewertung einfloss: zwei "Blutbilder, die er aufgrund seiner Magen-Darmbeschwerden eigeninitiativ veranlasst hatte, vom 24.9. und 26.9.", teilte der BDR mit; zugleich hielt er fest, diese seien "aber keinesfalls als Gutachten (...) einzustufen".

Auch das klang am Montag anders: Eingedenk der UCI-Testergebnisse "sowie nach Auswertung der Entzündungsparameter der von Schumacher selbst in Auftrag gegebenen Untersuchungen, kamen die Mediziner zu dem eindeutigen Schluss, dass die Ursache (...) in einer Durchfallerkrankung" liege.

Eindeutig Durchfall - das lässt sich aus einem Dopingtest nicht rauslesen. So haben sich die Verbandsärzte auf Material gestützt, das der Athlet besorgt hatte. So viel zur neuen Null-Toleranz-Ära.

Wie die SZ erfuhr, lagen Hämatokrit- und Hämoglobin-Werte des Profis an der Grenze, teilweise darüber, weil bei so kniffligen Fällen mehrfach gemessen werden muss. Ein Hämatokritwert von 50 aber ist durch Austrocknungseffekte einer Diarrhoe nach Expertenansicht kaum zu verursachen; nicht durch eine in Mitteleuropa gängige Diarrhoe bei bescheidenen Herbsttemperaturen, wie etwa der erfahrene Münchner TU-Kliniker Professor Georg Vogel meint: "Eine Durchfallerkrankung, die so hohe Werte macht? Da ist man matt wie eine Fliege, weil Kalium und alle Elektrolyte rausgehen." Dann müsste der individuelle Hämatokrit-Wert (der den Gehalt roter Blutzellen anzeigt, wichtig für die Sauerstoffversorgung gerade im Ausdauersport) des Athleten signifikant hoch sein.

"Auf keinen Fall gedopt"

Solche genetischen Besonderheiten, auch bezüglich des Hämoglobinwertes, gibt es, sie lassen sich darlegen. Hier weist die Causa Schumacher Parallelen zur Blutwerte-Story der Langläuferin Evi Sachenbacher auf: Die war bei den Winterspielen 2006 mit erhöhtem Hämoglobin-Wert von 16,4 g/dl (Grenze: 16,0) in Schutzsperre genommen worden.

Wütende Proteste ihrer Ärzte übertönten nicht, dass die Sache bis heute dubios blieb. Zumal sich eine von Sachenbachers Betreuern behauptete genetische Disposition anhand der vom Ski-Weltverband Fis erhobenen Blutwerte nicht erhärten ließ. Demnach war die Athletin in fünf Jahren nur zweimal über dem Wert von 16: Direkt vor Winter-Olympia 2006 in Turin. Und direkt vor 2002 in Salt Lake City.

Während bei Sachenbacher die Gene verrückt spielen sollen, hatte Schumacher Diarrhoe. Fünf Tage danach düpierte er die Weltelite in einem sechsstündigen Gewaltrennen. "Ein Leistungssportler ist in fünf Tagen in der Lage, sich voll zu erholen", sagte Schumacher am Freitag, wollte aber zum Gesamtsachverhalt "kein Interview geben". Er will vorerst auch nicht sagen, ob er die Werte offen legt. Nur so viel: Er habe "auf keinen Fall gedopt".

Das ist nicht die Frage, es geht um die Wirkweise des Systems. Am Freitag wurde schon mal der Anwalt vorgeschickt. Der BDR aber, der mancher Frage ausweicht, hat sich jederzeit "korrekt" verhalten, da ist General Wolf ganz sicher.

© SZ vom 06.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: