Radsport:Die Illusion von den sauberen Siegern

Lesezeit: 3 min

Durch das Geständnis von Jörg Jaksche tritt das Dopingsystem des Radsports so klar zu Tage wie noch nie. Alles, was Jaksche erzählt, ergibt auf grausame Weise Sinn, gleichzeitig steht es für die Lüge, die er selbst bis vor wenigen Wochen aufrecht erhielt.

Thomas Hahn

Im Stimmengewirr zu den Berichten des Dopers Jörg Jaksche klang auch der Ärger über den Geständigen mit, und es war, als hätten einige, die mit dem Radsport zu tun haben, lieber mit der Lüge weitergelebt. "Die Aussagen Jaksches können in den nächsten Tagen verheerende Folgen haben", schreibt die spanische Zeitung Sport angstvoll. Dabei drohen die verheerenden Folgen doch vor allem den Mittätern des Dopingsystems, was im Endeffekt bedeutet, dass der Sport eine weitere Chance erhält, sauber zu werden. "Befürchtet werden ein Aufruhr und eine Hexenjagd wie im vorigen Jahr", schreibt die spanische Zeitung Marca. Dabei helfen die Aussagen Jaksches doch eher, die Hexenjagd einzudämmen, weil sie die alten Spekulationen durch konkrete Erkenntnisse ersetzen und damit eine Klarheit schaffen, welche die Dopingbekämpfer trotz aller Verdächtigungen lange vermissten.

Jörg Jaksches Geständnis bringt den Radsport durcheinander. (Foto: Foto: dpa)

Diese Missverständnisse sind Relikte aus der Zeit, als das Publikum und seine Berichterstatter sich noch unbefangen auf die Tour de France freuen konnten, die am Samstag in London beginnt, in Heldenromantik schwelgten und vom Mythos des Tourmalet schwärmten. Sie gehören zu einem sehr langsamen Erwachen der Radsport-Fans, welches Jörg Jaksche in seinem Interview mit einigen brutalen Details aus dem Sumpf forciert hat. Und sie spielen eigentlich keine Rolle mehr. Genauso wenig wie die Versuche einzelner Chronisten, Jaksches Aussagen als althergebracht abzutun (was sie nicht sind) oder den Kronzeugen Jaksche moralisch in Frage zu stellen. Darf einer nach später Einsicht die Wahrheit gegen ein Honorar und Strafmilderung verkaufen? Natürlich darf er, wenn er mit seinem Sinneswandel einen Missstand zu bekämpfen hilft.

Gerolsteiners sinkender Wert

Wichtig ist dagegen, die Situation im Radsport nüchtern zu bedenken. Die Situation ist: Es hat ein Geständnis aus dem innersten Radsport-Zirkel gegeben, das bis in die Gegenwart reicht. Jaksche berichtet von systematischem Doping in fünfen seiner früheren Radsport-Teams (Polti, Telekom, Once, CSC, Liberty Seguros). Er erklärt anschaulich das Blutdoping-Netz des Madrider Arztes Eufemiano Fuentes und die Willfährigkeit eines leistungsbereiten Sportlers ("Ich habe einfach nur meinen Arm hingehalten und mich spritzen lassen"). Das Geständnis ergänzt alle bisherigen Geständnisse und geht weit darüber hinaus. Alles, was Jaksche erzählt, ergibt auf grausame Weise Sinn, gleichzeitig steht es für die Lüge, die er selbst bis vor wenigen Wochen aufrecht erhielt. Deshalb machen auch die Dementis der belasteten Manager Gianluigi Stanga, Bjarne Riis oder Walter Godefroot Jaksches Einlassungen nicht unglaubwürdiger. Im Gegenteil.

Der Systemzwang zum Dopen reicht in gewissen Bereichen des Sports - hier im Radsport - so weit, dass saubere Sieger eine Illusion sind. Das ist die Schlussfolgerung aus Jaksches Aussagen. Und mehr: Diese Illusion ist längst nicht mehr nur mit frommen Ehrenerklärungen oder Ausschlüssen zu bekämpfen. Die Verseuchung reicht zu tief. Der Radsport-Weltverband UCI, der laut Jaksche in den vergangenen Jahren mehr Begleiter denn Bekämpfer der Dopingmafia war, hat kürzlich alle Profis im Falle eines Dopingvergehens zur Zahlung eines Jahresgehalts verpflichtet.

Der Schweizer CSC-Fahrer Fabian Cancellara sagt dazu in der Neuen Züricher Zeitung: "Glauben Sie wirklich, dass nur saubere Fahrer unterschreiben? Es unterschreiben alle, wenn es heißt: Friss oder stirb. Alles ist so willkürlich. Die UCI verlangt von Thomas Dekker (niederländischer Radprofi, d. Red.), dass er nicht mit (dem umstrittenen Sportarzt Luigi) Checcini zusammenarbeite. Konsequent wäre, von mir zu verlangen, nicht mit Bjarne Riis (CSC-Teamchef, Anm. d. Red.) zu arbeiten, weil er Doping gestanden hat. das Commitment hat rechtlich keine Relevanz, es ist ein moralischer Wisch." Mit Blick auf die bevorstehende Frankreich-Rundfahrt sagt Cancellara: "Ich möchte nicht der Sieger dieser Tour sein."

Die Tour abzusagen, vielleicht sogar sie ganz abzuschaffen, wäre auf mittlere Sicht die einzige Chance, die Doper von den Siegerpodesten zu vertreiben. Aber so einfach geht das natürlich nicht. Es gibt Verträge mit Sponsoren und Fernsehanstalten, und es gibt immer noch die vielen unempfindlichen Radsport-Fans, die nicht einfach so von ihrem Glauben abfallen können. Hans-Michael Holczer, Eigner des Teams Gerolsteiner, klagt: "Im Vergleich zum 1.1. 2006 ist der Wert unserer Firma dramatisch gesunken." Trotzdem lebt das Geschäft irgendwie weiter. Die Industrie ist zu groß. Die Tour naht mit Getöse. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen entzieht sich weiterhin nicht der Gefahr, am Ende einen gedopten Sieger mitfeiern zu müssen. Und Jaksche selbst zeigt auch an, dass der Radsport noch lebt. Er will ja zurück ins Peloton, trotz seines Rücktritts aus dem russischen Team Tinkoff.

Holczer hat im SWR-Fernsehen gesagt, Jaksche habe ihn angerufen. "Er wollte nur mal Hallo sagen." Und vielleicht auch die Stimmung in der Branche ausloten. Nach zehn Jahren des Mitlügens die Wahrheit zu sagen, ist nicht leicht, mit so etwas macht man sich viele Feinde, und Jörg Jaksche kann sich jetzt nicht einfach in Luft auflösen. "Wenn mich jemand verklagen will: bitte gerne", hat er im Radiosender Bayern 3 gesagt. Und er hat beschwichtigt: "Ich bin von niemandem bedroht oder angemacht worden. Es gab Leute, die haben die ganze Sache in Frage gestellt, aber es war jetzt meine Entscheidung, das so zu machen und die trage ich." Trotz aller Missverständnisse.

© SZ von 3.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: