Radprofi Froome:Watt und Wahrheit

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Die gerade veröffentlichten Leistungswerte des Tour-Spitzenreiters aus Großbritannien sollten für Transparenz sorgen - aber nun befeuern sie die Debatte.

Von Johannes Aumüller, La Toussuire

Einmal hat es etwas kritisch ausgesehen, auf dieser Alpen-Etappe über gleich vier schwere Anstiege. Auf dem Weg zum Col de la Croix de Fer verschaltete sich Christopher Froome, er musste kurz anhalten - und just in dem Moment gab es vorne eine Attacke. Der Brite hat dann mit einem seiner kurbelfreudigen Kraftakte das Loch wieder zugefahren, vielleicht fehlte ihm auch deshalb die Energie, den Angriff des Kolumbianers Nairo Quintana am letzten Anstieg nach La Toussuire mitzugehen. 30 Sekunden büßte er ein, aber die letzte Bergetappe nach Alp d'Huez am Samstag beginnt er noch immer mit einem Vorsprung von 2:38 Minuten auf Quintana. Die Tour 2015, das ist bisher die Tour von Froome - und die seiner Daten. Unter der Woche veröffentlichte sein Sky-Team ein paar Werte von jenem Pyrenäen-Anstieg, auf dem Froome so beängstigend leicht alle Kontrahenten distanzierte und nach dem die Dopingvorwürfe begannen. Sky teilte mit, dass Froome den Berg mit durchschnittlich 414 Watt bewältigt und mithin 5,78 Watt pro Kilogramm Körpergewicht erreicht habe; dass er im Mittel 97 Mal pro Minute gekurbelt und seine maximale Herzfrequenz 174 Schläge betragen habe. Der Tenor: Wir sind ganz transparent. Aber was weiß die Radsportwelt jetzt wirklich über Froomes Leistungsvermögen?

Eigentlich nichts. Die Debatte über die konkreten Zahlen ist dabei nur das eine. Sky ging von 41:30 Minuten für den Anstieg aus, das Fernsehen stoppte 40:48. Sky legte ein Gewicht von 67,5 Kilogramm zugrunde, erst kürzlich war es noch mit weniger angegeben worden. Und Sky war so frei, die von Froome benutzten ovalen Kettenblätter mit einer Leistungskraft von sechs Prozent in die Rechnung mit einzubeziehen - was die Frage aufwirft, warum kaum jemand im Feld diese Wunder-Kettenblätter nutzt, wenn sie so viel bringen.

Der Brite Chris Froome, 30, gewann die Tour 2013, vor dem Finale am Sonntag führt er die aktuelle Wertung an. (Foto: Bryn Lennon/Getty)

Aber zugleich führt das noch zu einer allgemeineren Betrachtung. Es fehlt nämlich Maßgebliches. Sportwissenschaftler interessiert vor allem die Dauerleistungsgrenze sowie der VO2max-Wert. Erstere gibt an, bei wie viel Watt die Muskeln zu ermüden beginnen und der Körper mehr Säure produziert, als er abbauen kann. Der VO2max-Wert besagt, wie viele Milliliter Sauerstoff der Körper verarbeiten kann, wenn er sich in höchster Belastung befindet. Nur wer diese Werte kennt, kann andere Daten richtig einschätzen. Als Froome 2013 erstmals die Tour gewann, sagte er, er habe noch nie einen solchen VO2max-Test gemacht.

Nicht nur wegen der Froome-Debatte fordern manche daher, dass der Weltverband diese Daten der Fahrer regelmäßig prüft. So ließe sich ein Leistungspass erstellen, ähnlich dem Blutpass. Eine einzelne Messung helfe nichts, "denn es gibt immer Leute und Werte, die fallen aus den üblichen Schemata raus", sagt Sportwissenschaftler Perikles Simon. Anders sieht das bei regelmäßigen Kontrollen aus. "Dann können Sie unter Umständen Schwankungen erkennen, die sich in der Regel nicht durch die grundsätzliche physische Konstitution erklären lassen", sagt er. Bei der Dauerbelastungsgrenze hält Simon Schwankungen von zirka fünf Prozent für okay, "bei mehr als zehn Prozent müssen wir sicherlich sehr genau hinschauen". Beim VO2max-Wert seien im Juniorenalter ein paar Prozent Schwankung denkbar, aber nicht mehr bei austrainierten Ausdauersportlern. Um Sprünge in einem Leistungspass zu verhindern, hätten Doper nur noch zwei Optionen: nicht mehr nur zu speziellen Zeiten zu dopen, sondern dauernd - oder gar nicht mehr.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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