Qualifying:Kuriose Stehversuche

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Beim denkwürdigen Qualifying in Monza versuchten alle Fahrer einen Fahrt im Windschatten, was dazu führte, dass ein Großteil des Feldes es nicht rechtzeitig über die Ziellinie schaffte. (Foto: Getty Images)

Der führende Ferrari-Pilot Charles Leclerc lacht: In der Angst, den Konkurrenten Windschatten zu bieten, verpennen die Schnellsten die letzte Runde im absurden Qualifying. Leclercs Teamkollege Sebastian Vettel ist als Vierter doppelt verärgert.

Von Philipp Schneider, Monza

In Monza verteilen die Organisatoren des Formel 1 Rennens gerne kostenlose Blöcke an die Journalisten. Nicht weil sie nett sind und die Journalisten sonst nicht wüssten, worauf sie sonst schreiben sollten. Sondern um eine Werbebotschaft zu platzieren, die ihnen so wichtig ist, dass sie diese in blutroten Großbuchstaben auf den Einband des Blocks geschrieben haben: "THE TEMPLE OF SPEED". Ein Tempel der Geschwindigkeit sei die Sause durch den Königlichen Park in Monza, die These wollen sie den Journalisten gerne in ihre Texte diktieren. In der Tat musste man bislang einigen Respekt empfinden gegenüber dieser rasanten Rundfahrt in Norditalien, bei der die Piloten so schnell fahren und so selten bremsen müssen, dass sie gelegentlich einen Brockhaus aufs Gaspedal legen könnten. Kimi Räikkönen hat seinen Tacho in Monza vor 14 Jahren mal auf bis heute unübertroffene 370,1 Kilometer in der Stunde hochgetrieben. Deshalb Temple of Speed.

Aber der Name ist seit den Ereignissen des 7. September 2019 nicht mehr angemessen. Am Samstag nämlich ereignete sich eine denkwürdige Qualifikation, an deren Ende Toto Wolff, der Motorsportchef von Mercedes, indirekt anregte, den Markenclaim Monzas zu ändern. In: Tempel der langsamen Idioten. "Sie sind seit 35 Jahren in der Formel 1, haben Sie so etwas jemals erlebt", fragte Wolff nach der Zeitennahme einen berufserfahrenen Reporter von Sky. "Das war schlimmer als in der Formel junior". Dann schob Wolff er auch noch die Erklärung für sein Urteil nach. Das Problem sei: "Wenn jeder einen Windschatten haben will und niemand zuerst gehen will ... dann sehen alle aus wie Idioten." In der Tat. Was war geschehen in dieser Qualifikation, an deren Ende selbst der Pole Setter Charles Leclerc verwundert meinte: "Was für ein Chaos."

Im Temple of Speed, das muss man wissen, bietet die Fahrt im Windschatten eines Autos einen gehörigen Wettbewerbsvorteil. Dieses Prinzip hat in der Qualifikation zur Folge, dass eine Ausfahrt ohne Windschatten im letzten Drittel des Ausscheidungsverfahrens zwar möglich ist, aber weitestgehend sinnfrei. Denn ohne Windschatten ist es eigentlich unmöglich, eine Zeit zu verbessern, die man vorher im Windschatten aufgestellt hat.

Alle nehmen das Tempo raus

Die letzten zehn verbliebenen Fahrer begaben sich am Samstag auf die Strecke, um den allerletzten Versuch zu starten, eine letzte schnelle Runde zu zelebrieren. Nico Hülkenberg fuhr voran mit seinem Renault, die anderen neun Piloten folgten. Sekunde mal, dachte sich nun offenbar Hülkenberg. Ich bin doch nicht auf der Brennsuppe hergeschwommen und fahre dem Feld so voran, dass ich als einziger Fahrer nicht vom Windschatten profitiere. Also nahm Hülkenberg das Tempo raus. Er verließ sogar die Strecke und fuhr geradeaus in der Schikane, nahm also den Notausgang, der in der Regel von Autos genommen wird, die zu schnell fahren, nicht von jenen, die zu langsam sind. Hülkenberg hoffte, dass ihn mindestens ein anderes Auto überholen würde. Ihn überholte aber niemand. Also standen die zehn vermeintlichen Rennwagen im Tempel der Geschwindigkeit mehr rum, als dass sie fuhren.

Bis zu jenem Moment, als ihnen dämmerte, dass ihnen die Zeit ausgehen würde, um es noch rechtzeitig über die Start- und Ziellinie zu schaffen, um überhaupt noch einen Versuch starten zu dürfen. Also gaben die Fahrer plötzlich doch noch Gas. Aber bis auf Leclerc und Carlos Sainz Junior im McLaren kamen sie alle zu spät. Und weil Leclerc zu diesem Zeitpunkt bereits die Bestzeit aufgestellt hatte und Sainz keine optimale Runde mehr hinbekam, blieb es bei der Reihenfolge, die die Piloten schon zu Beginn des Q3 festgezurrt hatten: Leclerc startet am Sonntag vor den Silberpfeilen von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas. Sebastian Vettel ist nur Vierter und war nach der kollektiven Bummelei mächtig sauer. "Man braucht nicht versuchen, es zu erklären. Es ist schwachsinnig. Aber ohne Windschatten die Runde zu starten, ist genauso irrsinnig", erklärte Vettel.

Verärgert war er vor allem, weil es bei Ferrari offenbar die Abmachung gegeben hatte, dass ihm Leclerc im letzten Versuch, der nun gar nicht zustande kam, Windschatten zu geben habe. "Die Absprache war intern auch anders", sagte Vettel so knapp wie deutlich. Und Hamilton verpasste wegen dieser Qualifikation interruptus die Chance, sich noch an Leclerc vorbeizuschieben. 39 Tausendstel nur hatten ihm beim vorherigen Versuch gefehlt. Die Erfahrung sei ein "Anti-climax", erzählte er. Ansonsten, sagte Hamilton, sei er angesichts der irren Vorkommnisse schon "dankbar, in der ersten Reihe zu stehen".

© SZ vom 08.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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