Einen Moment lang schien es, als käme es bei der Hauptversammlung der Adidas AG zum Eklat. Vorstandschef Herbert Hainer möge die Karten mit den Protestunterschriften bitte persönlich entgegennehmen - verlangte Sandra Dusch Silva von der internationalen "Clean Clothes Campaign" (CCC).
Der verwies jedoch auf den geringen Platz auf seinem Tisch und bat, die Packen am Rande des Podiums abzulegen. Er werde sie sich später ansehen. Seinen Unmut konnte Hainer nur schwer verbergen. Dusch Silva hatte ihm vorgeworfen, seinen Rekordgewinn auf dem Rücken von Arbeitern in Entwicklungsländern zu erwirtschaften, die unter unwürdigen Bedingungen in Zulieferbetrieben schuften müssten. Hainer verwahrte sich gegen die Vorwürfe. Ihn nervt zudem, dass die Aktivisten gezielt Adidas anprangern, nicht aber andere Hersteller.
Es ist die alte Debatte zwischen Kapitalisten und Aktivisten, die hier zu beobachten ist, die Frage, ob ein Unternehmen sich erst dann anständig verhält, wenn es in der Dritten Welt zu den selben Bedingungen produzieren lässt wie in der Ersten - oder ob es schon als Erfolg zu werten ist, wenn ein Konzern sich überhaupt auf Standards einlässt.
"Adidas ist Hauptsponsor, Lizenznehmer und Ausrüster der WM", sagt Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero (CIR), einer Anfang der achtziger Jahre von deutschen Studenten gegründeten Organisation, die sich um die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in Mittelamerika kümmert. "Deswegen haben wir dieses Unternehmen ausgesucht, um auf die Produktionsbedingungen hinzuweisen." Gemeint sei jedoch die gesamte Branche; bei den Zulieferern von Nike und Puma gehe es nicht anders zu.
Auch wenn Puma neuerdings mit dem Aktionsbündnis "Gemeinsam für Afrika" zusammenarbeitet, was dem Zusammenschluss von 30 deutschen Hilfsorganisationen viel Geld und Puma ein positives Image bringen soll. So honorierte CCC zwar unlängst das Engagement von Puma bei einem gemeinsamen Pilotprojekt in El Salvador - rügte aber auch schlechtes Trinkwasser in dem Betrieb und unbezahlte Pausen. Alle großen Sportartikelhersteller lassen fast ausschließlich in der Dritten Welt produzieren. Für Adidas arbeiten 465 000 Beschäftigte in 701 Zulieferfirmen, von denen 56 Prozent in Asien angesiedelt sind.
Zugeknöpfte Discounter
Wenn Maik Pflaum die Produktionsbedingungen in der Sportartikelindustrie beschreibt, erzählt er von Näherinnen, die sich in 60 oder 70 Wochenstunden in stickigen Fabriken an Trikots und Schuhen binnen weniger Jahre krank schuften. Pflaum sagt, in manchen Ländern Asiens seien die Mindestlöhne sogar gesenkt und die erlaubten Arbeitszeiten angehoben wurden. Schuld daran sei die Billig-Konkurrenz in China, angesichts derer man in Bangladesh oder Vietnam Angst hat, Aufträge zu verlieren.
Im Widerspruch zu solch pauschalen Vorwürfen stehen jüngste Erkenntnisse der Stiftung Warentest. Sie hat eigens zur WM die Herstellung von Fußbällen untersucht. Neben der Qualität des Spielgeräts wurden Sozial- und Umweltverträglichkeit bei der Herstellung untersucht. Dazu wurden Betriebe besucht sowie Unterlagen, teilweise sogar vertrauliche, gesichtet. Am Ende attestierten die Warentester dem Konzern Adidas, aber auch Nike und Puma, ausdrücklich "starkes Engagement" in Sachen Verantwortung für Soziales und Umwelt.
Das Fazit von Holger Brackmann, Abteilungsleiter bei Stiftung Warentest, fällt für die großen Drei dementsprechend positiv aus: "Die Sportartikelindustrie ist die Branche, die sich am stärksten um die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferfirmen bemüht." Was damit zu tun habe, dass Nike, Adidas oder Puma sich schon aus Imagegründen große Missstände nicht leisten könnten. Schließlich wollen sie dem Konsumenten positive Gefühle bescheren, und kein schlechtes Gewissen. Also muss die Ware halbwegs sauber sein.
Adidas hat "Standards of Engagements" erlassen, in denen ihren Zulieferern Kinder-, Gefangenen- oder Zwangsarbeit verboten sind, sowie eine 60-Stunden-Woche als absolutes Maximum vorgeschrieben werden. Ferner sind ungesunde Arbeitsbedingungen verboten, sowie Versammlungs- und Organisationsfreiheit für die Beschäftigten festgeschrieben. Ähnliche Kriterien gelten auch für Puma. Beide Hersteller arbeiten häufig mit Nicht-Regierungsorganisationen zusammen, und sie schicken Kontrolleure in die Betriebe.
Holger Brackmann von der Stiftung Warentest hält jedoch "die Papierspur für aussagekräftiger als angemeldete Besuche". Aus Unterlagen könne man ersehen, wie ausführlich Zulieferer ihre Standards definieren. So lässt sich dokumentieren, zu welchen Bedingungen Personal eingestellt oder entlassen wird, wie die Krankenversorgung aussieht, was bei Verstößen gegen die Richtlinien geschieht. Zumindest, was Fußbälle angeht, hielten sich die großen Marken all an die Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, sagt Brackmann.
Er rät zum ebenso kritischen Blick auf andere Branchen. So seien die Produktionsbedingungen in asiatischen Spielwarenfabriken weit schlimmer. Für "sehr viel problematischer" als Markenhersteller in der Textilbranche hält der Warentester die No-Name-Produkte von Discountern: "Ein T-Shirt für 2,50 Euro - da kann ich mir gut vorstellen, wie schlimm es bei der Produktion zugegangen ist."
Zu dieser Ahnung passt die Erfahrung beim Fußballtest. Während die Markenfirmen den Warentestern alle Informationen zukommen ließen, verweigerten Aldi und Hudora den Zutritt zu ihren Zulieferern. Mit anderen Worten: In San Salvador mögen schlechtere Bedingungen als in Herzogenaurach herrschen, wo die 60-Stunden-Woche für Arbeiter nicht in Frage käme. Aber es wären noch weitaus schlechtere vorstellbar.