Portugal:Rugby zum Warmwerden

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Trainer Luiz Felipe Scolari hat den verzagten Portugiesen Siegeswillen und Erfolg gebracht - deshalb soll er unbedingt bleiben.

Peter Burghardt

Das Training vor einem der wichtigsten Fußballspiele der portugiesischen Geschichte beginnt wie immer, in der Mitte steht der Trainer. Luiz Felipe Scolari versammelt seine Spieler um sich wie ein Vater seine Kinder, vom Alter her könnten fast alle seine Söhne sein, er ist 57 Jahre alt.

Scolari trägt kurze Fußballhosen und ein Käppi, auch bei Spielen steckt er in Sportklamotten, "Anzug und Krawatte trage ich nur bei Hochzeiten und in der Sonntagsmesse", sagt er, das reicht ja auch.

Als erstes hält er wie üblich eine Rede. Man hört die Worte nicht, sieht nur die Gesten, temperamentvoll hebt er die Arme, vermutlich verweist er auf die außerordentliche Chance, die Teilnahme am WM-Finale. Dann lässt er die Mannschaft einen Moment alleine und stellt zehn Verkehrshütchen auf.

Wie ein Feldherr auf dem Schlachtfeld misst er die Entfernungen aus. "Felipao macht eine wunderbare Arbeit", raunt nebenan ein Reporter des brasilianischen Fernsehgiganten TV Globo in sein Mikrophon.

Seit 1998 keine WM-Niederlage

Immer mehr Berichterstatter verfolgen jede öffentliche Bewegung des Mannes mit graumeliertem Schnauzbart und Stirnglatze, als sei daraus ein Geheimnis zu lesen.

Besonders fasziniert sind neben den Portugiesen die Brasilianer, dies ist ihre letzte, kuriose Hoffnung in einem für sie so verkorksten Turnier. Und gleichzeitig eine Demütigung. Brasilien, das der Sohn eines venezianischen Einwanderers vor vier Jahren in Japan zum Weltmeister gemacht hatte, hat sich jämmerlich verabschiedet - als einziger Brasilianer kann mit Hilfe des eingebürgerten Landsmannes Deco jetzt er noch diesen Titel verteidigen und die Niederlage gegen Frankreich rächen.

Und das ausgerechnet in Diensten des ehemaligen Mutterlandes. Seit 1998 hat Luiz Felipe Scolari, genannt Felipao oder Big Phil, kein WM-Spiel verloren und zwischendurch nur das EM-Finale gegen Griechenland.

Den damaligen Helden Otto Rehhagel hat er genauso übertrumpft wie nun den Argentinier Jose Pekerman und vor allem seinen brasilianischen Nachfolger Carlos Alberto Parreira.

Den tendenziell schicksalsergebenen Portugiesen mit ihrem Hang zur melancholischen Verzagtheit hat er mit 32 Siegen seit seinem Amtsantritt 2002 einen Willen eingeimpft, wie sie ihn seit dem dritten Platz 1966 in England nicht mehr kannten, ja vielleicht noch nie.

"Die beste Generation, die Portugals Fußball je gesehen hat", schreibt das Sportblatt ABola, dabei steht darin bloß noch ein bedeutender Vertreter jener so genannten Goldenen Generation, die Junioren-Weltmeister geworden war, Luis Figo.

Der ist so gut wie seit Jahren nicht, wozu allerdings auch der Wechsel von Madrid nach Mailand beitrug, die Blessur vom Viertelfinale scheint überstanden zu sein. Dem Torwart Ricardo verlieh Scolari ein Selbstvertrauen, mit dem er im Elfmeterschießen die Engländer bezwang, bei Sporting Lissabon war er zum Teil Reservist gewesen.

Maniche, Costinha und Nuno Valente kamen unter seiner Leitung in Schwung. "Es gibt nicht viele Trainer, die solche Rekorde vorweisen und ein Team so motivieren können, dass es auf diesem Level spielt", lobte sogar der Kollege Jose Mourinho vom FC Chelsea, den die Nation fast genauso verehrt.

Eisenharte Verteidiger

Kaum jemand verliebt sich in diesen Stil, wirklich mitreißend wie zwischenzeitlich Argentinien oder einst die Brasilien spielt das Ensemble selten. Scolari war selbst kein sonderlich begabter Freund des Balles, sondern ein eisenharter Verteidiger, Grätschen und Bodychecks findet er bei Bedarf so gut wie einen Hackentrick oder Pass mit dem Außenrist.

"Banditen gehören zum Fußball, Engel in den Himmel", dozierte er einmal - er hat keine Lust, den Erfolg in Schönheit sterben zu lassen. Zu seinen Leitfäden gehört kein Beitrag von Konfuzius, sondern das Werk "Die Kunst des Krieges", vor mehr als 2400 Jahren verfasst vom chinesischen General Sun Tzu, wobei die Methoden zwischenzeitlich etwas verfeinert wurden.

Nach der Schlacht gegen Holland mit den vier Platzverweisen verwies Scolari genüsslich auf Umgangsformen auf südamerikanischen Plätzen: "Dort ist das ein Krieg, und heute waren wir dem nahe." Beim Üben lässt er schon mal Rugby spielen.

Im Kreise seiner Auserwählten jedoch wird er zum sanften Pädagogen. "Mehr als der Trainer ist er der Freund der Spieler", berichtet Abwehrspieler Miguel. Seinen Liebling Cristiano Ronaldo pflegt Scolari wie eine Mimose und lässt schon mal das Hotel wechseln, wenn weibliche Fans zu laut dessen Namen rufen.

"Er braucht besondere Zuneigung, er ist noch jung", 21. Auch ältere Profis akzeptieren bis verehren ihn, alle bis hin zu Mourinho und Maskottchen Eusebio wollen ihn behalten. "Der beste Trainer der Welt" dürfe nicht gehen, findet Ricardo. "Der richtige Mann am richtigen Platz", schwärmt Figo, aber dies könnten dennoch die letzten zwei Auftritte von Scolari in portugiesischen Diensten sein.

Der Vertrag endet am 31. Juli. "Was danach kommt, weiß ich nicht", sagt Scolari, "ich bin für alles offen." Mit Hilfe von Sponsoren soll sein Gehalt so lange erhöht werden, bis er unterschreibt und bis zur EM 2008 bleibt, die in Österreich und in der Schweiz gespielt wird.

"Wenn ich Abramowitsch wäre, hätten wir den Vertrag längst perfekt gemacht", berichtete Verbandspräsident Gilberto Madail und widersprach Meldungen, wonach der Fall bereits geregelt sei. Es geht ums Geld, aber auch um die Motivation: Was soll mit Portugal noch kommen? Es gab ein attraktives Angebot aus England, europäische Spitzenvereine sind interessiert - und Brasilien, das seinen Felipao gerne zurück hätte.

Bei der letzten Pressekonferenz werden die Spieler Miguel und Helder Postiga weniger nach der Mannschaft gefragt denn nach Luiz Felipe Scolari, den sie in verschiedenen Ausführungen preisen.

Als zum Schluss noch eine brasilianische Reporterin wissen will, wie man ihn zum Bleiben überreden könnte, da interveniert der Pressesprecher: "Diese Frage haben wir jetzt ungefähr dreimal beantwortet." In Wirklichkeit kennt niemand die Antwort.

© SZ vom 5.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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