Porträt: Michael Ballack:"Ich liebe dieses Spiel"

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Bei den Gegnern gefürchtet, in Deutschland aber nicht unumstritten: Als einziger deutscher Weltstar ist Michael Ballack für das deutsche Team bei der WM 2006 genauso wichtig wie 2002.

Philipp Selldorf

Jeder glaubt, sie tun es für Ruhm und Ehre und natürlich für das viele Geld. Aber auch für die Profis bleibt Fußball zuerst das Spiel, das sie lieben. Das hat mit Romantik nichts zu tun, sondern beruht auf den profanen Ursprüngen, denen sich auch der beste, teuerste und international am höchsten geschätzte deutsche Fußballer unvermindert verbunden fühlt.

Klinsmann solle für Ballack beten, so Rudi Völler: Heute wie 2002 ist Ballack der Mann der wichtigen Pässe, der wichtigen Tore und der wichtigen Gesten im deutschen Team. (Foto: Foto: AP)

Deshalb sagt Michael Ballack: "Ich will bei jedem Spiel von Bayern München und der Nationalelf dabei sein, ich will keines auslassen. So bin ich nun mal. Ich liebe dieses Spiel."

Die Erfüllung: Das Tor

Noch mehr als das Spiel liebt er nur dessen Bestimmung: "Die Tore. Ein Tor zu machen ist einfach geil. Es ist so ein Augenblick, unerwartet, perfekt." Michael Ballack ist eigentlich Mittelfeldspieler, aber hinter dieser Verkleidung verbirgt sich der Sturm und Drang des Torjägers.

Seine Treffer brachten Deutschlands Mannschaft zur Weltmeisterschaft nach Japan und Südkorea und dort schließlich ins Endspiel. Ballacks Tor zum 1:0 im Halbfinale gegen die Südkoreaner erlebt der damalige Teamchef Rudi Völler drei Jahre später noch, als habe er es gestern im Stadion gesehen.

"Dieses Tor gegen Südkorea, das macht auf der ganzen Welt nur der Michael Ballack", sagt Völler mit beinahe religiöser Überzeugung: "Ich weiß das noch genau, wie der kleine Oliver Neuville rechts außen läuft, drei Koreaner kommen wie die Kamikaze auf ihn zugerannt, du denkst: das Ding ist vorbei. Und er haut den Ball einfach in die Mitte. Und plötzlich kommt aus dem Mittelfeld Michael Ballack, weil er instinktiv gewusst hat, er muss sich einschalten. Gerade eben stand er noch am Mittelkreis, und jetzt macht er plötzlich das Tor."

Es ist das Tor, das den Kommentatoren der internationalen Presse den Glauben an die unbarmherzige deutsche Fußballmentalität zurückgibt. Ein paar Minuten vorher hatte Ballack einen Fehler seines Mitspielers Torsten Frings dadurch ausgebügelt, dass er einen koreanischen Gegenangriff durch ein Foul stoppte und somit eine torgefährliche Situation verhinderte.

"Er müsste zusammensinken und weinen"

Er wusste in dem Augenblick, dass er dafür die Gelbe Karte bekommen musste und dass er damit für das Finale gesperrt sein würde. "Er müsste zusammensinken und weinen", schrieb eine englische Zeitung damals, "und was macht der verdammte Kerl? Er steht auf und schießt das entscheidende Tor."

Für Rudi Völler war Michael Ballacks Tat vor allem ein klarer Nachweis von Charakterstärke: "Da gibt es genügend Spieler, die machen das in so einer Situation nicht", weiß Völler. "Nach dem Spiel habe ich zu Michael gesagt: "Der da oben sieht das. Irgendwann kriegst du dafür etwas zurück, einen Ausgleich."

Selbstverständlich hat Michael Ballack angemessen darunter gelitten, dass er im Finale gegen die Brasilianer nicht mitspielen durfte. Aber es ist typisch für sein Verständnis von Fußball als einem Mannschaftsspiel, dass er sich in Gedanken trotzdem ins Geschehen einreihte. "Die Tage zwischen dem Halbfinale und dem Endspiel in Japan war ich wie in Trance", erzählt er, "du wartest und stellst dir vor, wie es wäre, wenn du Weltmeister bist. Das waren die intensivsten Tage, die ich im Fußball überhaupt erlebt habe."

Die Ballack-Saga ist auch eine Saga des Scheiterns

Dabei sind Ballack auf dem Fußballplatz schon einige ziemlich intensive Erlebnisse widerfahren, und oft genug blieb ihm - wie beim WM-Finale 2002- das gute Ende versagt. Ballacks Werdegang bei Bayer Leverkusen ist ebenso die Geschichte des Aufstiegs (zum Nationalspieler und zur Galionsfigur des deutschen Fußballs) wie eine Saga des Scheiterns gewesen:

im Jahr 2000, als Bayer beim letzten Saisonspiel in Unterhaching den sicher geglaubten Meistertitel verspielt - und Ballack das Eigentor zum 0:1 beisteuert; 2002, als seine Mannschaft es fertig bringt, binnen drei Wochen Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions-League-Trophäe aus den Händen zu verlieren.

Dies ist eigentlich ein gerechter Anlass, um aus dem Fenster zu springen. Stattdessen spielte Ballack ein starkes WM-Turnier, trotz einer seit Monaten störenden Muskelverletzung und großem Kräfteverschleiß, weshalb er sich in manchem Spiel wie ein müder Bergwanderer zum Schlusspfiff schleppte.

Im Grunde steht es seit der Weltmeisterschaft 2002 außer Frage, dass Michael Ballack der einzige deutsche Weltstar des Fußballs ist - Torwart Oliver Kahn ist ein anderer, besonderer Fall. Dennoch hört man hierzulande nicht auf, an Ballack zu zweifeln. Seine Lässigkeit auf dem Platz erzeugt Argwohn. Seine Eleganz wird mit Arroganz verwechselt. Weil er in seinem Reich, dem Mittelfeld, keine definierte Heimat hat, hält man ihn auf jeder Position für fehl am Platz.

Stratege und Schütze

Es ist eine Debatte, die nirgendwohin besser passt als nach Deutschland - als ob es nicht genügen könnte, seine Effizienz und seine Talente als Ballverteiler, als Stratege und als Torschütze, sogar als Arbeiter anzuerkennen.

"In den Medien ist er ja immer ein bisschen umstritten", sagt Rudi Völler drei Jahre nach der WM 2002, und er nimmt wieder die Rolle des Teamchefs ein. "Aber wenn ich mit Kollegen in Europa spreche - es gibt wenige Spieler auf der Welt, die bei den Trainern so ein Ansehen haben. Weil sie alle so eine Angst vor ihm haben."

Mit seinem Nachfolger Jürgen Klinsmann unterhielt Völler sich über das Thema Ballack, und Völlers Botschaft war eindeutig: "Eins darf nicht passieren: Der Michael Ballack darf sich nicht verletzen! Das ist das Wichtigste. Ich habe zu ihm gesagt: Bete, dass das nicht passiert!"

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