Pokalfinale der Frauen:Mit zwei Titeln nach San Sebastián

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Der VfL Wolfsburg gewinnt in einem dramatischen Pokalfinale 4:2 im Elfmeterschießen gegen die SGS Essen - die Spielerinnen sollen aus der Partie auch für das kommende Finalturnier der Champions League lernen.

Von Anna Dreher, Köln/München

Für den VfL ist es der siebte Pokalerfolg, Pernille Harder (rechts) war schon vier Mal dabei – und auch die Zugänge Ingrid Engen und Fridolina Rolfö wissen mit der Trophäe zu posieren. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die eine oder andere ist noch dabei gewesen, sich zu orientieren. Dieses Spiel zwischen dem VfL Wolfsburg und der SGS Essen hatte ja gerade erst begonnen. Anstoß Essen, sicherer erster Pass, alles ganz normal. Doch aus einer vermeintlich gewöhnlichen Spieleröffnung wurde dann sehr schnell ein historischer Zug. Der Ball war gerade erst von fünf Spielerinnen berührt worden - da landete er schon im Tor. Nach elf Sekunden. So früh wie in keinem anderen DFB-Pokalfinale der Frauen. Lea Schüller hatte zwischen der Wolfsburger Abwehrreihe gelauert und entwischte dieser, als ein langer Pass von Lena Ostermeier bei ihr ankam. Schüller überlistete Wolfsburgs Torhüterin Friederike Abt frech mit einem Lupfer und drückte den Ball zur Sicherheit noch aus kurzer Distanz mit der Stirn über die Linie. 1:0 für Essen, Wolfsburg, der große Favorit: völlig überrumpelt.

Natürlich ist nach elf Sekunden von mindestens 90 Minuten noch lange nichts entschieden gewesen. Quasi das ganze Finale lag vor den beiden Mannschaften. Essens Trainer Markus Högner war das so bewusst, dass er nach der Überraschungsführung gar nicht erst jubelte, sondern sein Team auf der Bank ermahnte, Ruhe zu bewahren. "Scheißegal", sagte er, schüttelte den Kopf und hob abwiegelnd die Hände. Aber dieses frühe Tor war nun mal der erste Vorbote, dass dieses ein ungewöhnliches Spiel werden würde. Eines, in dem der zum siebten Mal im Finale dieses Wettbewerbs stehende und als amtierender Meister favorisierte VfL an seine Grenzen gehen müssen würde. Und das dann erst nach fast zweieinhalb Stunden entschieden war. Wolfsburg setzte sich am Samstag mit viel Kampf im Müngersdorfer Stadion in Köln dann doch noch gegen die SGS Essen durch. Die Entscheidung fiel erst im Elfmeterschießen, und das 4:2 (3:3, 3:3, 1:2) steht nun für eines der dramatischsten Pokalendspiele überhaupt.

"Wenn ich noch Haare hätte, wären die jetzt grau", sagte VfL-Trainer Stephan Lerch, 35, lachend. Seine Spielerinnen tanzten ausgelassen auf dem Rasen - da schien es fast keine Rolle zu spielen, dass wegen der Hygienemaßnahmen aufgrund des Coronavirus die Zuschauerränge quasi leer waren. Die Freude fiel weit euphorischer aus als am Tag der mit acht Punkten vor dem FC Bayern gewonnenen Meisterschaft. Wolfsburg hat sich zum fünften Mal das Double gesichert und löst mit dem sechsten Pokaltitel in Serie in dieser Rubrik den 1. FFC Frankfurt ab, der den Pokal von 1999 bis 2003 gewann (und insgesamt neunmal, so oft wie kein anderer Klub).

"Wir waren sehr nah dran, das Spiel zu gewinnen", sagte Högner nach dem zweiten verlorenen Pokalfinale der SGS nach 2014. "Dennoch überwiegt der Stolz, dass wir so einer Übermannschaft das Leben schwer gemacht haben. Das war die beste Leistung in dieser Saison." In der Bundesliga hatte sein Team gegen den VfL mit 1:5 und 0:3 verloren. Am Samstag aber setzte Essen ganz andere Kräfte frei. Zehn Abgänge hat die SGS diesen Sommer, darunter in Schüller, Marina Hegering (beide FC Bayern), Lena Oberdorf (Wolfsburg) und Turid Knaak (Ziel unbekannt) alle Nationalspielerinnen. Für den erklärten Ausbildungsverein beginnt die Arbeit von vorne. Dieses Pokalfinale war also die große Chance auf einen Titel, die so bald wohl nicht wiederkommen wird. Die Leidenschaft der Spielerinnen war beeindruckend, aber "Leidenschaft allein gewinnt kein Endspiel", sagte Hegering, und aus der ersten Enttäuschung heraus: "Es steht nicht unbedingt der verdiente Sieger auf dem Podest."

Heldin des Elfmeterschießens: Wolfsburgs Torhüterin Friederike Abt pariert im Pokalfinale gegen die SGS Essen zwei Schüsse – und wird danach frenetisch gefeiert. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Die 30-Jährige brachte Essen zum zweiten Mal in Führung. Nachdem Bundesliga-Torschützenkönigin Pernille Harder (11. Minute) ausgeglichen hatte, sorgte Hegering mit einem Kopfball nach einer Ecke (18.) für die nächste Überraschung. Wolfsburg war gefordert wie selten. Am 27. März 2019 hatte der VfL im Champions-League-Viertelfinale gegen Olympique Lyon letztmals verloren, im Pokal gar am 16. November 2013 gegen Frankfurt. Und zwischenzeitlich sah es nun ganz danach aus, als wäre es am Samstag wieder so weit.

Denn so sehr Wolfsburg auch drängte, die gegnerische Defensive wehrte sich tapfer. Essen ließ mit viel Laufarbeit kaum Chancen zu - und hätte sogar auf 3:1 erhöhen können, wäre der Schuss von Jana Feldkamp (58.) vom Innenpfosten ins Tor geklatscht. Es brauchte einen wuchtigen Fernschuss von Anna Blässe (70.) aus 25 Metern und einen Kopfball von Dominique Janssen (86.), um das eigentlich erwartete Machtverhältnis herzustellen. 3:2, kaum noch Zeit, aber das demoralisierte die Essenerinnen nicht. Die große Chance bot ein Freistoß - und die SGS nutzte sie. Die eingewechselte Irini Ioannidou zirkelte den Ball derart präzise ins linke Toreck (90.+1), dass Abt chancenlos blieb. 3:3, Verlängerung, alles auf Start, und weil sich erneut der Pfosten in den Weg stellte - dieses Mal Wolfsburgs Claudia Neto (113.) - ging es ins Elfmeterschießen. "Das heute war auch ein Signal an andere Mannschaften: Wer mutig agiert, kann diesen Gegner knacken", sagte Högner.

Dem Team des 53 Jahre alten Trainers bot sich die Chance zur nächsten Überraschung, die dann die Überleitung zur Sensation hätte sein können: Wolfsburgs Kapitänin Alexandra Popp vergab den dritten Elfmeter ihres Teams. Aber ausgerechnet Ioannidou und danach Nina Brüggemann scheiterten an Abt. "Ich würde nicht sagen, dass ich Elfmeter-Spezialistin bin. Ich hab einfach auf mein Gefühl gehört", sagte die VfL-Torhüterin lässig, nachdem Harder den entscheidenden Schuss ganz cool verwandelt hatte und dann auf Abt zugestürmt war. "Das haben wir nicht so häufig, dass wir einem Rückstand hinterlaufen müssen", sagte Lerch. "Solche Spiele helfen uns zu sehen, wo wir uns noch verbessern können."

Mit der Analyse des Verbesserungspotenzials seiner Mannschaft kann sich Lerch nun nicht viel Zeit lassen. Ende August wird in Spanien das Finalturnier der Champions League ausgespielt, mit dem VfL und den Bayern hegen zwei Bundesligisten Hoffnungen auf den Titel. Die Wolfsburgerinnen treffen am 21. August in San Sebastián auf Glasgow City. Sollten sie dieses Spiel und die beiden weiteren Partien gewinnen, würde der VfL Wolfsburg zum zweiten Mal nach 2013 das Triple holen.

© SZ vom 06.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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