Nur an einem Rosshaar hing das Schwert einst über dem schlemmenden Höfling Damokles, dem daraufhin prompt der Appetit verging. Seitdem steht das Damoklesschwert, das jeden Moment herabsausen kann, für eine unberechenbare Gefahr. Auch die Springreiter fühlten sich seit Jahren wie unter einer solchen Bedrohung, dann nämlich, wenn bei einem ihrer Pferde eine verbotene Substanz gefunden wurde, deren Herkunft sie sich absolut nicht erklären konnten.
Wenn ein Sportler zum Dopingsünder wird, weiß er meistens warum. Dann hat er etwas geschluckt, gespritzt oder spritzen lassen, was ihn zu höheren Leistungen befähigt und deswegen verboten ist. Oder er hat nicht aufgepasst beim Kraftdrink beziehungsweise ein falsches Medikament eingenommen. Die Verantwortlichkeit ist meist klar. Pferde fressen erst mal, was ihnen in die Krippe geschüttet wird. Sind in dem Futter verbotene Substanzen wie Koffein enthalten, kann die Dopingprobe positiv sein. Da die Analysen immer feiner geworden sind, reichen kleinste Mengen für einen positiven Befund, selbst ein winziger Rest vom Vorbewohner der Box, wenn die Krippe nicht ordentlich gesäubert wurde. Verantwortlich ist in jedem Fall der Reiter, bei Rennpferden der Trainer, auch wenn sie nichts von der unerwünschten Beigabe geahnt haben.
Im vergangenen Jahr gab es einige aufsehenerregende Fälle, in denen Spuren von Coffein, Theophyllin oder dem in der Fleischproduktion in einigen Ländern eingesetzten Muskelaufbaupräparat Zilpaterol im Pferdefutter gefunden wurden. Immer waren Zusätze schuld, meist durch Beigaben von Apfeltrester oder Melasse, die betroffenen Futtermittelhersteller gaben ihre Fehler zu und zahlten Entschädigungen. So mussten fünf Rennpferde vom prestigeträchtigen Arc de Triomphe 2020 vor dem Start zurückgezogen werden, nachdem in Vortests Zilpaterol nachgewiesen worden war.
Schon lange wehren sich die Reiter gegen ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte Verurteilungen aufgrund von verunreinigtem Futter. "Das Risiko der Kontamination und mangelnde Stallsicherheit verursacht schlaflose Nächte, und noch schlimmer, enormen Schaden. Am schlimmsten ist, dass wir nicht alles kontrollieren können", klagt der Internationale Springreiter Club (IJRC). Die Reiter lebten in ständiger Furcht, dass ein "großartiges Ergebnis durch einen positiven Test entwertet wird, und sich am Ende eines langen und mühsamen Prozess herausstellt, dass es sich um Kontamination gehandelt hat," so der IJRC, "ein Albtraum". Die gefundenen Mengen sind in der Regel zu gering, um die Leistung zu beeinflussen.
Die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) kam den Reitern jetzt entgegen. Das Schwert ist nun an ziemlich soliden Ketten aufgehängt. Wer beweisen kann, dass er unschuldig an einer positiven Doping- oder Medikationsprobe ist, soll keine Konsequenzen fürchten müssen. Ab 1. Januar 2021 gibt es einen neuen Begriff im FEI-Reglement, den der ATF (Atypical Findings, Untypische Funde). Das sind verbotene Substanzen, die ohne Verschulden der verantwortlichen Person ins Pferd gelangt sind. Der Reiter muss allerdings eine plausible Erklärung liefern, wie sie ins Pferd gekommen sind, etwa ob bei demselben Turnier auch andere Pferde positiv getestet wurden. Das würde auf Futterverunreinigung hinweisen. Dazu muss er manchmal kostspielige Recherchen anstellen. Er muss darlegen, welche Vorsichtsmaßnahmen er ergriffen hat, ob er Sicherheitsmaßnahmen zuhause, beim Turnier und bei Reisen installiert hat und alle Medikamentengaben korrekt dokumentieren kann. "Aber kein Reiter kann sein Pferd 24 Stunden am Tag kontrollieren", sagt IJRC-Sprecherin Eleonore Ottaviani. Wird der Fall als ATF eingestuft und nicht als Doping/Medikationsfall ans FEI-Tribunal weitergereicht, ist der Reiter aus dem Schneider: kein Verfahren, kein Verlust des Preisgeldes und der Platzierung. Das Urteil des ATF-Tribunals ist nicht anfechtbar. "Ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Ottaviani. Sie stellt aber zugleich klar, dass die Reiter voll hinter den Wada-Regeln für einen sauberen Sport stehen.
Aber auch aus ganz anderer Richtung droht Gefahr, wenn nämlich jemand - Reiter, Pferdepfleger oder sonst wer - den Weg zum blauen Häuschen nicht findet und sich im Stroh von Box oder LKW erleichtert. Menschlicher Urin als Doping-Gefahr - das gibt es wirklich. So fanden sich bei einer Dopingprobe eines italienischen Pferdes bei einem Dressurturnier in Slowenien im Mai 2019 Spuren des Psychopharmakons Ariprazole, Verursacher war ein unter schweren Depressionen leidender Pferdepfleger. Der LKW-Fahrer des Schweizer Springreiters Peter Steiner tat desgleichen, und sorgte mit dem Schmerzmittel Tramadol für eine positive Dopingprobe eines Pferdes. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, wurde vom Internationalen Sportgerichtshof (Cas) akzeptiert, allerdings mit dem Hinweis, dass sich diese Fälle bei entsprechender Information wohl vermeiden ließen. Kann ja nicht so schwer sein, sollte man meinen.