Pferdesport:Allein unter Profis

Lesezeit: 3 min

Yara Reichert mit Springbank II VH. (Foto: Roger Bürke/Eibner/Imago)

Für Yara Reichert, Mutter von vier Kindern, Unternehmerin und Amateurreiterin, erfüllt sich dank ihrer beiden jungen, hoch talentierten Dressurhengste ein Herzenswunsch. Sie startet gegen Weltklassereiter auf großen, internationalen Turnieren.

Von Sabine Neumann

Yara Reichert sitzt hinterm Steuer ihres großen Lkws, sie schwärmt per Freisprechanlage vom Pfingstturnier in Wiesbaden, einem internationalen Vier-Sterne-Dressurwettbewerb. "Ich freue mich riesig, dass ich mit ein bisschen Glück das Finalticket lösen konnte. Es ist etwas ganz Besonderes, vor so einer Kulisse und mit so tollen Reitern zu starten", sagt die 53-Jährige aus Niederbayern. Mit ihrem Hengst Valverde NRW platzierte sie sich in der Qualifikation für den Louisdor-Preis hinter Reitmeisterin Ingrid Klimke auf dem zweiten Platz, knapp gefolgt von U25-Triple-Europameister Raphael Netz. Ein außergewöhnlicher Erfolg, denn der Louisdor-Preis für Grand Prix-Nachwuchspferde gilt als Sprungbrett in den internationalen Spitzensport. Finalsieger der letzten Jahre waren unter anderen Isabell Werth und Emilio sowie Jessica von Bredow-Werndl und Dalera.

Zwei Tage nach dem Pfingstturnier sitzt Reichert schon wieder im Lkw, diesmal auf dem Weg zu einem nationalen Turnier nach Winterlingen, Baden-Württemberg, wo ihr zwei S*-Siege gelingen werden. "Ausnahmsweise ist die ganze Familie dabei, auch die Hunde, sieben Pferde und Ponys. Die Kinder haben Zelt und Grill eingepackt. Ich glaube, es wird mehr ein Campingausflug als ein Turnier", erzählt Reichert gut gelaunt. Ihre 13-jährigen Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge, reiten ebenfalls, der Neun- und der 14-Jährige wie auch Reicherts Ehemann Oliver, CEO eines Unternehmens, unterstützen die Passion tatkräftig.

Es ist das dritte Turnierwochenende nacheinander. Auf der Pferd International in München hatte Reichert mit ihrem zweiten Top-Pferd Springbank II VH vor Reitmeisterin Dorothee Schneider in der Halbfinal-Qualifikation der "Stars von Morgen" gesiegt, ebenfalls ein Nachwuchs-Grand-Prix. In nahezu allen Prüfungen auf diesem Niveau besteht die Konkurrenz aus championatserfahrenen Berufs- oder Kaderreitern, die mit Ausbildung und Verkauf von Turnierpferden ihr Geld verdienen. Schneider steht in der Weltrangliste auf Rang 24, Klimke auf 30.

Reichert ist auf Platz 687 zu finden, sie ist reine Amateurin. Um als solche "in so einem Feld reiten zu dürfen", brauche sie "Pferde mit außergewöhnlicher Qualität", das weiß sie. Valverde und Springbank II waren schon im jugendlichen Alter Stars. Die neunjährigen Hengste verließen ihre Körplätze als Sieger, sammelten Medaillen und Titel bei Jungpferde-Championaten, ihre Fohlen erzielten Höchstpreise. Als der dänische Luxus-Pferdehändler Helgstrand Dressage im Mai 2021 in den sozialen Medien verkündete, die Hengste seien an Yara Reichert verkauft worden, gab es einen Shitstorm. "Wieder eine, die sich den Erfolg kaufen will", glaubten viele.

Der äußere Schein trügt oft. Reichert, schlank, lange, blonde Haare, war nach Prädikatsexamen und Model-Karriere eine erfolgreiche Unternehmerin. Um mehr Zeit für ihre Kinder und das Reiten zu haben, verkaufte sie eine ihrer Firmen und zog sich weitgehend aus dem Tagesgeschäft zurück. Ihre Pferde bildete sie größtenteils selbst aus und fuhr hauptsächlich auf Turniere nach Österreich. Etwa zweieinhalb Jahre nahm sie Unterricht bei Ulla Salzgeber. Der Mannschaftsolympiasiegerin habe sie die Dressurgrundlagen zu verdanken, sagt Reichert. Seit vergangenem Jahr wird sie von Co- Bundestrainer Jonny Hilberath gecoacht.

Um einen landwirtschaftlichen Betrieb führen zu können, machte Reichert eine zweijährige Ausbildung

Die Unternehmertochter wuchs mit Pferden auf. Ihre Eltern, Claude und Ragnhild Wortmann, ritten Vielseitigkeit, Yara und ihre Schwester Ratna übernahmen das Konditionstraining im Gelände. Gerne wäre die Dressurreiterin in der Vielseitigkeit geblieben, aber mit Familie und Beruf sind dem Hang zum Risiko Grenzen gesetzt. "Mein Mann fährt kein Motorrad und ich schrubbe nicht durch den Busch", laute die Abmachung. Pferde sollten trotzdem zum gemeinsamen Leben gehören.

Zur Geburt ihres ersten Kindes bekam Reichert von ihrem Mann ein Fohlen mit Dressurabstammung. Mit dieser Stute namens Schwarze Perle und anderen Pferden arbeitete sie sich von der Klasse A bis zum Grand Prix hoch. Im vergangenen Jahr erhielt sie das Goldene Reitabzeichen und reitet nun in der Leistungsklasse 1. Das gelingt Wenigen. 2022 waren bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung bundesweit nur 69 Dressurreiterinnen und -reiter in LK1 gelistet - bei 70 475 Aktiven.

Um einen landwirtschaftlichen Betrieb führen zu können, machte Reichert eine zweijährige Ausbildung. 22 Tiere stehen auf ihrem Hof nahe Landshut, neben Turnier- und Aufzuchtpferden auch das erste Fohlen von Schwarze Perle. Die ehemalige Tierarztpraxis wird seit dem Kauf vor einem Jahr renoviert, um- und ausgebaut. Paddock-Boxen und Weiden waren als erstes fertig. Alle Pferde gehen täglich auf die Koppel, auch die Hengste. Für das Training gibt es allerdings nur zwei Außenplätze. Auf die Baugenehmigung für eine Reithalle wartet Reichert sehnsüchtig. "Wir sind jeden Tag stundenlang draußen. Bei strömendem Regen ist das echt hart, aber man entwickelt Galgenhumor."

Ihr Tag ist durchgetaktet. Ab 6.30 Uhr sitzt sie im Sattel. "Bis zum Mittag reite ich sechs bis acht Pferde. Danach rase ich nach Hause und kümmere mich am Nachmittag um meine Kinder und Geschäftliches", erzählt sie. Sport und Familie gleichermaßen gerecht zu werden, sei unmöglich. "Etwas kommt immer zu kurz, die Pferde oder die Kinder. Damit muss man leben." Ihr Saisonziel ist die Finalteilnahme mit beiden Hengsten sowohl bei den "Stars von Morgen" in Münster als auch im Louisdor-Preis beim Frankfurter Festhallenreitturnier. Das wäre auch für einen Profi eine reife Leistung.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: