Personalspekulationen:Domino Day

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Timo Hildebrands Abschied in Stuttgart könnte auf dem Torhütermarkt der Fußball-Bundesliga zu wilden Rochaden führen. Neun Verträge laufen am Saisonende aus.

Christof Kneer

Als wären diese Tage nicht schon aufregend genug, hat sich am Ende auch noch Willy Sagnol in die Debatte eingeschaltet. "Sagnol beerbt Kahn", meldeten die Nachrichtenagenturen, was erstaunlich war, weil bis dahin noch niemand etwas von einer Kahnschen Hinterlassenschaft gehört hatte.

Und was würde Sagnol denn erben - Kahns Vermögen, die Golf-Ausrüstung oder Verena? Bei näherer Betrachtung erwies sich das Erbstück aber eher als ideeller Wert. Es ging um ein kleines Stück Stoff, um die Kapitänsbinde, die Sagnol nach Kahns Karriereende angeblich versprochen ist.

Das ist dann doch recht beruhigend gewesen für die Berichterstatter in München. Es war ja nicht einmal auszuschließen gewesen, dass es plötzlich um den Platz im Tor geht; dass Sagnol neuer Bayern-Keeper wird; und dass Kahn vielleicht eine neue menschliche Herausforderung und einen zweiten Bambi sucht und sich als Nummer zwei von Schalke anwerben lässt.

Dort suchen sie für kommende Saison einen Stellvertreter, der dem Spitzentalent Manuel Neuer, 20, auf loyale Art Druck macht - gibt es einen besseren Loyaldruckmacher als Kahn, der dafür gar einen Medienpreis erhielt?

Kahn bleibt, wo er ist

Aber nein, natürlich bleibt der Kahn, wo er ist (bei Bayern), genauso wie der Sagnol (rechts hinten). Man hat aber leicht den Überblick verlieren können an diesem Pokaldoppelspieltag.

Ein umgefallener Dominostein hatte so viele andere mitgerissen, dass am Ende kein Torwart mehr wusste, bei welchem Klub er jetzt nochmal spielt. Am Saisonende laufen neun Torwartverträge aus, und Timo Hildebrands Trennung vom VfB Stuttgart war so etwas wie der Domino day.

Nun, da die erste Planstelle frei geworden ist, stehen womöglich wilde Rochaden bevor. "Es ist zwar Zufall, dass so viele Verträge enden, aber das hat massive Auswirkungen auf die Branche", sagt Ballack-Berater Michael Becker, der auch den Dortmunder Schlussmann Roman Weidenfeller vertritt. "So groß war der Torwartmarkt noch nie, und Hildebrand hat die Sache jetzt ins Rollen gebracht."

Weidenfeller zählt zu jenen Bundesligakeepern, deren Vertrag nicht ausläuft - oder nur ein bisschen. Er könnte den BVB im Sommer verlassen, vorausgesetzt, er findet einen Klub, der in der Champions League spielt.

Dies aber dürfte erst im Frühjahr feststehen, so dass Weidenfeller kein Kandidat für den VfB Stuttgart ist, der seinen künftigen Keeper so bald wie möglich öffentlich machen möchte.

Zur Auswahl stehen etwa der favorisierte Robert Enke (Hannover), Raphael Schäfer (Nürnberg) und Markus Pröll (Frankfurt), die alle nur bis Sommer gebunden sind - sowie ein gewisser Jens Lehmann, dem sein FC Arsenal ungern jenen Zwei-Jahres-Vertrag aushändigen würden, den der Keeper wünscht.

Also drängt auch Lehmann, 37, auf den Markt, nur sind Vereinswechsel nicht so einfach, wie man denkt. Lehmann etwa ist seine eigene kleine Kultusministerkonferenz; bei ihm fällt keine Entscheidung, ohne dass er ausführlich die schulischen Perspektiven seiner Söhne bedenkt, und wer ihn kennt, kann sich ausmalen, dass ihm das baden-württembergische Schulsystem schmecken würde.

Solche privaten Eigenheiten sind es, die die Marktlage zusätzlich komplizieren. So pflegt etwa Enkes Berater Jörg Neblung ein nicht eben freundschaftliches Verhältnis mit Hannovers neuem Sportchef Christian Hochstätter, weshalb ein Verbleib Enkes in Hannover unwahrscheinlich ist.

"Dass Hochstätter hier ist, beeinflusst die Dinge aus unserer Sicht eher negativ", sagt Neblung - Insider rechnen fest damit, dass Enke in Stuttgart unterkommt. Lehmann dagegen dürfte ungeachtet des Schulsystems kein Schwabe werden - er ist erstens zu teuer und zweitens so anspruchsvoll, dass ihm der beste Klub gerade gut genug ist.

Das aber dürfte schwierig werden, denn von Europas Topklubs ist nur der AC Mailand, dessen Stammhüter Dida ebenso umstritten wie verletzt ist, auf Torwartsuche. In Mailand aber haben sie schon mal schlechte Erfahrungen gemacht mit einem deutschen Torwart, der das Experiment vorzeitig abbrach - der Torwart hieß Jens Lehmann.

Lehmann in Spanien im Gespräch

So lässt sich der deutsche Nationalkeeper zurzeit in Spanien ins Gespräch bringen, aber Kenner der Szene vermuten, dass er sich am Ende vielleicht doch auf einen neuen Einjahresvertrag bei Arsenal einlässt - was wiederum die Hoffnungen des Kollegen Weidenfeller beschädigen würde, der im Stillen auf die Planstelle in London spekuliert.

Hildebrands mutmaßlicher Wechsel zum FC Valencia hingegen ist keine gute so Nachricht für Lehmann, falls der sich fürs spanische Gehaltsgefüge und Schulsystem entscheiden sollte.

So hängt eins mit dem anderen zusammen in dieser europaweiten Torwartarbeitsplatzerschütterungsgeschichte, die ihr Epizentrum in der Bundesliga hat. Dort ist die Nachfrage sogar größer als das Angebot.

Der HSV hat sein Interesse am Schalker Frank Rost längst publik gemacht, in Berlin sind sie offenbar dabei, das Vertrauen in Christian Fiedler zu verlieren (und denken an Enke und Rost), auch Bochum, Aachen und Mainz dürften sich neue Torhüter zulegen - abgesehen davon, dass, Enkes Wechsel zum VfB vorausgesetzt, auch Hannover bald einen Torwart braucht.

Oder Nürnberg, falls Schäfer geht. Oder Frankfurt, falls Pröll geht. Oder Dortmund, falls Weidenfeller seinen Champions-League-Klub findet.

Ein spannendes Halbjahr könnte das werden, von dem ausnahmsweise alle profitieren. Die Klubs werden es genießen, die Wahl zu haben; und die vielen freien Arbeitsplätze werden auch eine Chance sein für Torhüter wie den hoch veranlagten Florian Fromlowitz, 20, der bereits erste Angebote sortiert und überall dort landen könnte, wo Stammkeeper das Weite suchen, in Hannover oder anderswo.

Fromlowitz ist der Geheimtipp auf dem virtuellen Torwartmarkt - im normalen Leben ist er Ersatztorwart beim Zweitligisten Kaiserslautern.

© SZ vom 22. Dezember 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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