Personalie:Ein Türsteher als Präsident

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Paraguays exzentrischer Torsteher Jose Luis Chilavert hat viele Sagen geschaffen - mit Freistoßtreffern und Grobheiten.

Philipp Selldorf

(SZ vom 14.6.02) - Für die Begegnung Deutschlands mit Paraguay bietet sich alternativ zum Fußballspiel der Mannschaften auch ein Kampf der beiden Häuptlinge an. Oliver Kahn, der am Tag des Achtelfinales 33Jahre alt wird, gegen Jose Luis Chilavert, 36. Keines der Teams bei dieser WM wird so dominant von seinen Torhütern repräsentiert wie die von Deutschland und Paraguay.

Jose Chilavert - Paraguayer, Torhüter, künftiger Präsidentschaftskandidat. (Foto: N/A)

Oliver Kahn ist zwar im Laufe seiner Karriere durch einige unerklärliche Ausbrüche und manische Ehrgeizanfälle aufgefallen, und er gilt bei uns als interessante Persönlichkeit. Aber im Vergleich mit Chilavert ist er brav wie ein Schulkind, und seine Vita ist langweilig wie ein Gesetzestext. Der Torwart Paraguays hat so viele Sagen geschaffen, dass Dichtung und Wahrheit mittlerweile verschmelzen. Nach dem äußeren Eindruck, der ihn wahlweise als Türsteher oder Mafioso erscheinen lässt, wäre man aber bereit, ihm vieles zuzutrauen.

"400 Kilo reinen Fetts!"

Seit November 2000 verdient er sein Geld in Frankreich bei Racing Straßburg. Mit dem Klub ist er ab- und gleich wieder in die erste Liga aufgestiegen. Als er, vom argentinischen Verein Velez Sarsfield abgelöst, im Elsass ankam, wog er bescheidene 102 Kilogramm; nun wird sein Gewicht mit 89 Kilo angegeben, was seiner Gestalt aber kaum gerecht wird: In den Spielen gegen Spanien (1:3) und Slowenien (3:1) wirkte er vor lauter Körpermasse unbeweglich und beinahe tölpelhaft.

In Frankreich sagt man, dass er nicht mehr richtig springen kann und in Straßburg deswegen viele Gegentore verschuldet hat. Brasiliens Trainer Luiz Felipe Scolari forderte unlängst seine Spieler deshalb auf, bei jeder Gelegenheit draufzuhalten: "Schießt, schießt! Chilavert schleppt 400 Kilo reinen Fetts mit sich herum."

Chef der paraguayischen Nationalmannschaft ist er trotzdem geblieben, und es heißt, der Italiener Cesare Maldini, der sich für ein Honorar von 1,5 Millionen Dollar auf die Trainerbank der Südamerikaner gesetzt hat, sei eine Wahl seiner Gnade. Auch die Auswahl des WM-Kaders soll er mitbestimmt haben.

Gesperrt wegen Schlagens

In seiner wundersamen Zeit als Fußballprofi fiel Chilavert durch Paraden und exzellente Freistoßtore auf. Besonders aber durch Grobheiten aller Art. 1994 hatte er eine Gefängnisstrafe von drei Monaten dafür erhalten, dass er während eines Spiels einen Balljungen niederschlug. Er hat überhaupt schon viele Leute verprügelt, 1997 zum Beispiel einen Spieler Kolumbiens, mit dem er sich bei einem Qualifikationsspiel für die WM 1998 gestritten hatte. Er hielt das für gerechtfertigt: "Als keiner hingeguckt hat im Tunnel zur Kabine, habe ich ihn auf den Kopf geschlagen", erzählte er zufrieden.

Zwei Jahre später wurde er in Argentinien für 13 Monate gesperrt, weil er ein Mitglied des Stabes seines Vereines niedergestreckt hatte. Den FC Bayern München und die Deutschen im Allgemeinen beschimpfte er als "Unmenschen" und "Nazis", nachdem sich sein Landsmann Roque Santa Cruz im Dienst der Münchner verletzt hatte.

Über ihn lässt sich also leichthin sagen, er sei "für eine Extravaganz gut", wie gestern der deutsche Bundestrainer Michael Skibbe meinte. Bei dieser WM verpasste Chilavert wegen einer Sperre durch die Fifa Paraguays Premierenspiel - er hatte Brasiliens Verteidiger Roberto Carlos ins Gesicht gespuckt. "Dieser Zwerg hat zu mir gerufen: ,Steh' auf, Indio!' Und nach ihrem Tor hat er sich an die Genitalien gepackt, um mich zu provozieren. Da habe ich mich verteidigt und ihn angespuckt", erklärte Chilavert, der übrigens tatsächlich Indio ist.

Wenn Oliver Kahn eine Zukunft im Fußball allenfalls als Nachfolger von Uli Hoeneß und als Dirigent des FC Bayern erkennen mag, so schlägt ihn sein Opponent in diesem Feld um Längen. Chilavert will Präsident werden. Nicht von Olimpia Asuncion, sondern gleich des ganzen Landes. Seine Politiktauglichkeit hat er bereits nachgewiesen.

Übungen als Scharfschütze

Einmal hat er vor einem Qualifikationsspiel gegen Brasilien verlangt, dass die brasilianische Regierung ein Stück Land an Paraguay zurückgeben sollte, das sie im 19. Jahrhundert annektiert hatte. Er hat auch schon die Parlamentarier seines Landes als "Parasiten" bezeichnet und aus politischen Gründen die Copa America - die Südamerika-Meisterschaft - boykottiert, obwohl sie in Paraguay stattfand: Weil ein pensionierter General aus der Zeit der Stroessner-Diktatur zum Sicherheitschef des Turniers ernannt worden war.

Wo Oliver Kahn erklärt, er wolle wie ein Astronaut der Fußballwissenschaft in "untrainierbare" Dimensionen vorstoßen, glänzt Chilavert mit Übungen als Scharfschütze. Seine Freistoßtechnik - er schießt mit links von der rechten Seite - kultivierte er, indem er Cola-Dosen von der Torlatte herunterschoss. Er hat mehr als 50 Tore mit Frei- und Strafstößen erzielt, davon acht im Nationalteam. Und er träumt davon, als erster Torwart überhaupt bei einer Weltmeisterschaft ein Tor zu schießen. Wollten die Deutschen ihm zuvorkommen, sollten sie besser Butt als Kahn spielen lassen.

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