Pekerman-Rücktritt:Folgt Diego Maradona?

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Argentiniens Trainer José Pekerman nimmt Riquelme früh vom Platz, lässt Messi auf der Bank - und tritt nach dem Spiel zurück. Folgt Diego Maradona?

Thomas Kistner

Es war nicht die Niederlage, die ihn wie ein Blitzschlag traf, weil er bis zuletzt keine Sekunde daran gezweifelt hatte, dass seine Mannschaft reif für den Weltmeistertitel sei. Es waren auch nicht die bizarren Bilder auf dem Platz, gleich nach dem niederschmetternden Aus, als einigen Spielern der Albiceleste die Nerven durchgingen, weil sie sich von ihren deutschen Gegnern beim Elfmeterschießen provoziert gefühlt hatten. Es war die furchtbare Erkenntnis, dass er selbst versagt hatte. José Pekerman hatte dieses Spiel vercoacht, er hatte sein Team mit zwei unbegreiflichen Auswechslungen geschwächt und so das Gegenteil erreicht von dem, was er geplant hatte: Die deutsche Auswahl am Ende mit frischen, schnellen Leuten zu überrennen. Minuten nach dem K.o., in den Katakomben des Berliner Olympiastadions, zog Pekerman die einzig mögliche Konsequenz: Er trat zurück.

Gescheitert und zurückgetreten: José Pekerman (Foto: Foto: dpa)

Es dauerte eine Weile, bis er den Schritt bekannt gab. Pekerman hatte Tränen vergossen, die grauen Haare waren zerzaust, als er zur Pressekonferenz erschien. Dort verkündete er eher beiläufig: "Ich denke, es ist vorbei. Ich werde bestimmt nicht weitermachen."

Das war der zweite schwere Schlag für den argentinischen Fußball an diesem denkwürdigen Abend, die Rücktrittserklärung löste spürbare Betroffenheit aus unter den südamerikanischen Journalisten, deren Fragen jetzt nur noch zaghaft um das eigentliche Kernthema dieser Partie kreisten: "Warum diese Auswechslungen, Senor Pekerman?"

Aber Pekerman, der bedächtige, sonst so eloquente Redner, wusste selbst keine vernünftige Antwort darauf. Er hatte Juan Riquelme ausgewechselt, zehn Minuten vor dem deutschen Ausgleich - den Mann, um den herum er diese Mannschaft aufgebaut hatte. Und er hatte Torjäger Hernan Crespo vom Feld geholt, zwei Minuten vor dem deutschen Ausgleich - und ihn nicht durch Lionel Messi ersetzt, den Pekerman selbst gern als "Wunder" zu bezeichnen pflegt, und der in der Lage gewesen wäre, die deutsche Innenverteidigung allein schwindlig zu spielen. Stattdessen brachte er Julio Cruz, einen sperrigen, hüftsteifen Stürmer, der überhaupt erst 21 Minuten bei dieser WM gespielt hatte und mit 32 Jahren seine bessere Zeit längst hinter sich hat. Cruz behielt kaum einen Ball bei sich, er tappte dreimal ins Abseits und kassierte eine gelbe Karte. Kurz: Julio Cruz war der mit der Abstand schwächste Akteur auf dem Feld.

Auswechslungen bleiben rätselhaft

Also, warum diese sinnfreie Zockerei, Senor Pekermann? Wieder wich er aus. "Es ist ein großer Schmerz für Argentinien", sagte er, "ich hatte immer das Gefühl, dass wir besser sind als Deutschland, wir waren besser, aber damit allein schafft man keinen Sieg." Sein Plan, räumte er schließlich doch ein, hatte so ausgesehen: "Wir wollten das Spiel der Deutschen kontrollieren, bis sie irgendwann müde werden. Das ist uns auch gut gelungen. Dann hätten wir mit der Einwechslung der schnellen Leute - Messi, Saviola - noch einmal zulegen können." Warum er das eigene Konzept verwarf, blieb Pekermans Geheimnis an diesem Abend.

Nun geht der Mann, der wie eine Symbolfigur der Seriosität aus dem allzeit korrupten argentinischen Fußball herausragte, der dreimalige U20-Weltmeister, der es mit seinen Eleven sogar in die Favoritenrolle geschafft hatte. Und im Amt folgen dürfte ihm einer, der damals, als Pekerman selbst noch als Profi bei Argentina Juniors spielte, in der Halbzeitpause die Publikumsattraktion war, wenn er, elfjährig, mit dem Ball im Mittelkreis jonglierte: Diego Maradona. Ein Freund Pekermans war er nie, seinen Platz im Berliner Stadion hatte er schon vor dem Elfmeterschießen verlassen. Die Eliminierung der Emotion war Pekermans Stil, er hat seine Schüler Fußball spielen lassen. Ganz am Ende sind sie wieder ausgerastet, so wie in früheren, schlimmeren Zeiten. Pekermans Schuld? Jedenfalls hat er ihnen mit Riquelme das Herzstück rausgerissen - und das andere Herz nicht gebracht.

© SZ vom 1.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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