Pavel Nedved:In der Seele getroffen

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Pavel Nedved ist erneut das Sinnbild einer gescheiterten tschechischen Elf.

Ralf Wiegand

Es ließe sich lange darüber philosophieren, ob Fußballmannschaften eine Seele haben können. Können sie wohl nicht. Mannschaften sind nur Gebilde auf Zeit, Hüllen für stetig wechselnde Inhalte.

Mannschaften werden von allem Möglichen beeinflusst, dem jeweiligen Trainer, der gerade gültigen öffentlichen Meinung, den individuellen Fähigkeiten jedes Einzelnen natürlich, oder von den Zielen, die es zu erreichen gilt. Mannschaften sind Zweckgemeinschaften, brüchige Bündnisse. Vollkommen seelenlos.

Und dann gab es die Tschechen, ihr Spiel gegen Italien, diese 0:2-Niederlage, das WM-Aus - und den freien Blick auf die Seele einer Mannschaft. Da kniete Pavel Nedved auf dem Rasen des Hamburger Stadions, nicht lange, nur ein paar Sekunden.

Viel zu kurz auf jeden Fall, als dass jeder, der ihn so sah, von der Tribüne hätte klettern und ihn umarmen können, ihn trösten oder sich einfach nur bedanken für ein paar schöne Jahre.

Die Seele der tschechischen Mannschaft streicheln, das eben.

Weil ohnehin nicht jeder auf den Rasen laufen darf, was eines der wenigen sinnvollen Verbote der Fifa verhindert, liefen immerhin die italienischen Spieler zu Pavel Nedved.

Aufrichtige Wertschätzung

So etwas passiert nur in den ganz seltenen ehrlichen Momenten im Profisport: Der Sieger wirft dem Verlierer nicht nur den flüchtigen Händedruck hin, den das Protokoll gebietet, sondern bringt ihm in Worten und Gesten aufrichtige Wertschätzung entgegen.

Die Gesten für Nedved waren herzliche Umarmungen, lange anhaltend. Die Worte sagte später Francesco Totti: "Es tut weh, einen großen Spieler so zu sehen."

Niemand weiß in diesem Moment, ob und wann und wo Pavel Nedved, 33, noch einmal auf einem Fußballplatz auftauchen wird. Er weiß das nicht einmal selbst. "Ich bin jetzt ganz durcheinander", sagte er, "ich weiß nicht, ob ich nicht sogar ganz aufhöre mit dem Fußball."

Er spielt für Juventus Turin, jenen Klub in Italiens Serie A, der wie die Spinne im Netz aller Manipulationsgeschichten sitzt. Das und der geplatzte Traum, mit dem tschechischen Team irgendeinen Titel zu gewinnen, haben Nedved zugesetzt - vor allem aber diese Betrugsgeschichte um Juve.

"Ich glaubte an einen anderen Sport", sagte Nedved, er glaubte "an einen sauberen Fußball." Bei anderen Profis müsste man über so einen Satz lachen. Nedved nimmt man ihn ab.

Die WM hätte ihm Ablenkung bieten können von den Problemen seines Klubs, aber gegen Italien endete die Reise der Tschechen zu den Sternen schon am ersten Mond. Nedved hatte das geahnt, er spielt zu lange in Italien, um nicht schon vorher zu wissen, wie dieser Gegner mit dem Geschenk umgehen würde, nur ein Remis fürs Weiterkommen zu benötigen.

Aber dann war es auch wieder dieser Nedved, der als Einziger seines Teams versuchte, die abwartenden Italiener doch irgendwie zu besiegen. Schüsse, Pässe, alles, was eine Gefahr für Italien hätte bedeuten können, ging von Nedved aus.

Aber das genügte nicht nur nicht, es war sogar viel zu wenig. Nedved ist zwar die Seele der tschechischen Mannschaft und auch ihr Herz, aber er kann allein nicht stärker sein als die tschechische Seele überhaupt. Die lässt die Dinge gerne geschehen, wenn sie ihr unabwendbar erscheinen. Künstler sind das.

So lange sie den Ball laufen lassen können und sich das Spielfeld ihnen als Leinwand darbietet, malen sie ein Bild darauf mit Schritten leicht wie Pinselstriche. Aber wenn sie Widerstand spüren, wenn die Kunst zur Arbeit wird, dann lassen sie sich gerne mal gehen.

Dafür steht ein Spieler wie Tomas Rosicky - wenn Nedved die Seele des Teams ist, ist Rosicky ihr Seelchen. Seine WM-Bilanz hätte auch der brave Soldat Schwejk gezogen haben können, der wusste, dass es immer irgendwie weitergeht, auch wenn die Kanonen knallen. Deshalb verabredete er sich mit seinen Kumpanen "nach dem Krieg ab sechs im Kelch". Rosicky sagte: "So ist Fußball. Das Leben geht weiter."

So einfach sind die Dinge für Pavel Nedved nicht, "ich habe eine Geburts- urkunde zu Hause, auf der steht, dass ich bald 34 werde". Er lebt ein Fußballer- leben in den letzten Zügen, und er scheint dazu geboren zu sein, als Sinnbild für Niederlagen zu gelten. Das war schon 2004 so, als er sich bei der Europameisterschaft im Halbfinale gegen Griechenland verletzte.

Der verletzte Nedved 2004, der traurige, auf dem Rasen kniende Nedved 2006 - niemand hängt solche Bilder von sich selbst gerne über den Kamin.

Vielleicht hat er deshalb seine Karriere am Abend seines 90. Länderspiels nicht sofort für beendet erklärt, sondern auch mit der Möglichkeit gespielt, noch einmal ganz neu anzufangen. Sollte er doch weiter Fußball spielen, sagte er, dann würde er Juve bei einem Zwangs-abstieg in die zweite Liga begleiten.

Eine Seele von Mensch halt, dieser Pavel Nedved.

© SZ vom 24.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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