Paralympics 2022:Auf einem Ski nach Peking

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Mit 15 Europacup, mit 16 DM-Zweiter, mit 17 für die Paralympics qualifiziert: Skifahrer Christoph Glötzner. (Foto: Mauritz Trautner/oh)

Der 17-jährige Para-Skifahrer Christoph Glötzner steht vor seinen ersten Paralympischen Winterspielen. Über einen, der gelernt hat, allen Widerständen zu trotzen.

Von David Hopper

In genau 100 Tagen, von diesem Mittwoch aus gerechnet, beginnen in Peking mit der feierlichen Eröffnungszeremonie die 13. Paralympischen Winterspiele. Zahlreiche bayerische Para-Sportlerinnen und Para-Sportler bereiten sich daher aktuell auf das bevorstehende Großereignis vor. Für viele von ihnen sind die Spiele in der chinesischen Hauptstadt die ersten. So auch für Christoph Glötzner. Dass der 17-jährige Para-Skifahrer aus dem oberpfälzischen 1700-Einwohner-Ort Holzheim eines Tages an den Paralympics teilnehmen würde, hätte am 13. Juni 2007 wohl niemand für möglich gehalten. Es ist der Tag, an dem sich sein Leben für immer veränderte.

Wie an vielen anderen Tagen spielte der Dreijährige nachmittags auf der Wiese hinter dem Haus. Als er den Rasenmäher-Traktor vor sich auftauchen sah, war es schon zu spät: Der Traktor trennte große Teile von Glötzners rechtem Bein am Oberschenkel ab. Seine Eltern fanden ihren schwerverletzten Sohn wenige Minuten später, sofort wurde er von einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht. Zwei Wochen schwebte Glötzner in Lebensgefahr, er musste 13 Mal operiert werden. Auch wenn er sich kaum daran erinnern kann, prägt der Unfall sein Leben bis heute. "Das war am Anfang schon sehr hart", erzählt Glötzner mehr als 14 Jahre später. Mitleid wolle er deswegen jedoch nicht. "Das brauche ich nicht", sagt er entschieden.

Ein halbes Jahr nach seinem Unfall stand Glötzner mit einem Ski und zwei Skistöcken auf der Piste. Er kommt aus einer Skifahrerfamilie, seinen ersten Kurs hatte er bereits vor dem Unfall absolviert. Wie man auf einem Bein fährt, zeigte ihm Fritz Haas. Er ist der Chefarzt, der ihn nach seinem Unfall behandelt hat. Auch er ist oberschenkelamputiert, fährt jedoch trotzdem begeistert Ski. In der Folgezeit nahm Haas Glötzner unter seine Fittiche, bis heute hat er einen großen Einfluss auf ihn. "Er ist mein großes Vorbild", erzählt der 17-Jährige.

"In Italien will ich 2026 eine Goldmedaille gewinnen", erzählt Glötzner

Wie talentiert Glötzner ist, fiel wenig später auch einer Trainerin des österreichischen Para-Skikaders auf, die ihn im Kaunertal in Nordtirol beim Skifahren mit seinen Eltern beobachtete. "Als meine Eltern dann erzählt haben, dass wir aus Deutschland sind, hat sie sich ein bisschen geärgert", erinnert Glötzner sich lachend. Trotzdem leitete sie ihn und seine Familie wenig später an das deutsche Team weiter. Seine Karriere begann, Fahrt aufzunehmen. Mit 15 fuhr Glötzner zum ersten Mal beim Europacup mit, mit 16 wurde er bei den deutschen Meisterschaften Zweiter im Slalom und im Riesenslalom. Im Januar 2021 startete er zum ersten Mal im Weltcup.

Im Nationalkader des alpinen Para-Skiteams, dem er seit 2020 angehört, steht Glötzner sinnbildlich für den aktuellen Umbruch. Erfahrene und erfolgreiche Athleten wie die mehrmalige Paralympics-Siegerin Anna Schaffelhuber oder der Weltmeister Georg Kreiter haben ihre Karriere in den vergangenen Jahren bereits beendet. In Thomas Nolte, Andrea Rothfuss und Noemi Ristau sind drei weitere Stützen des Teams bereits über 30. Glötzner ist einer der ersten Athleten, der von der Intensivierung der Nachwuchsarbeit profitiert, die das deutsche Para-Skiteam nach den zurückliegenden Winterspielen in Pyeongchang vollzogen hat: Zuerst durchlief er den bayerischen Landeskader, später die neugeschaffene Nachwuchsmannschaft, die künftig zunehmend als Zulieferer für den Nationalkader dienen soll. In der anstehenden Saison soll Glötzner neben den Weltcuprennen auch an der Weltmeisterschaft in Norwegen teilnehmen. Auch für die Paralympics in Peking ist er als Perspektivfahrer eingeplant.

Der Unfall als Dreijähriger prägt sein Leben bis heute. "Das war am Anfang schon sehr hart", sagt Glötzner. (Foto: Leander Kress/oh)

In Peking will Glötzner unbedingt das Beste aus sich herausholen und eine gute Platzierung erreichen. Im Vordergrund steht bei seinen ersten Paralympics jedoch, überhaupt dabei zu sein: "Ich will Erfahrungen und Eindrücke sammeln", erzählt er. "Ich will wissen, wie alles abläuft." Spätestens bei den darauffolgenden Winterspielen will er jedoch ganz oben angreifen: "In Italien will ich 2026 eine Goldmedaille gewinnen."

Parallel zu seiner sportlichen Karriere macht Glötzner 2022 sein Abitur. Wie anstrengend es ist, Schule und Leistungssport zu verbinden, hat er in den vergangenen Monaten gemerkt. "Das ist schon sehr stressig", gesteht er. Da Glötzner regelmäßig an nationalen und internationalen Wettkämpfen und Lehrgängen teilnimmt, muss er den Stoff, den er verpasst, oft in mühsamer Einzelarbeit nachholen. "Ich bin gefühlt öfter am Skifahren als in der Schule", erzählt er. "Dafür braucht man Durchhaltevermögen. Viele Mitschüler fragen mich: 'Wie machst du das eigentlich?' Die Antwort ist: Weil ich sehr fleißig bin und mein Pensum durchziehe. Ich mache einfach mein Ding, ich jammere nicht viel rum." Glötzner gilt als ehrgeizig, diszipliniert und pflichtbewusst. Er ist zielstrebig, sowohl auf der Skipiste als auch in der Schule. Nach seinem Abitur will er Medizin studieren und Arzt werden. Wie sein großes Vorbild Fritz Haas.

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