Olympische Winterspiele 2018:Festival in der Kunstwelt

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Olympia 2018 findet rund um Pyeongchang und die Hafenstadt Gangneung statt - es ist ein Experiment, ob Winterspiele in Sommerregionen passen.

Von Volker Kreisl, Pyeongchang/München

Ein Blick auf den Niederschlag: 21 Millimeter im Januar. Davor und danach, im Dezember und im Februar, fallen durchschnittlich zwar 26 Millimeter Schnee pro Quadratmeter, aber auch das ist so gut wie nichts. Dafür stimmen die Temperaturen: Im Schnitt liegen sie bei zwei Grad unter null. Die Klimatabelle erklärt damit alles: Es ist kalt, aber es liegt kaum Schnee. Für Ski gab es in den Bergen Südkoreas also nie einen Grund.

Die Gegend in Pyeongchang wäre eine gute Sommersportregion. Es ist eine verträumte, sanft geschwungene Landschaft, mit stattlichen Hügeln, ohne zackige Felsen. Und doch finden hier und in der Hafenstadt Gangneung in knapp einem Jahr die Olympischen Winterspiele statt. Es gibt seit geraumer Zeit ja Kunstschnee, der sich prima herstellen lässt, wenn die Temperatur unter null Grad sinkt. Und weil nicht nur dieses Problem technisch gelöst wurde, sondern alle Anlagen mittlerweile stehen, Bob- und Rodelbahn, eine Langlauf- und Biathlon-Arena, eine Sprungschanze und zwei Alpin-Pisten, kurz, weil technisch "alles im Plan ist", wie Ski-Experte Günter Hujara sagt, kann kaum noch was schiefgehen. Außer es läuft so viel schief wie bei den Biathleten vor acht Jahren.

Die Weltmeisterschaft 2009 war zunächst eine einzige Bergungsaktion. Tag und Nacht kratzten Helfer die letzten Reste aus künstlichem Schnee zusammen, immer näher rückte das Grün an die davonschwimmende Loipe. Es hatte trotz Klimatabelle eine Woche lang aus Kübeln geregnet, außerdem kamen fast keine Zuschauer vorbei, überhaupt war das Gelände ein Golfplatz und ist es auch heute noch. Das, sagt Weltmeisterin Laura Dahlmeier, sei kein Ort für einen Biathlon-Wettkampf.

Der Kunstschnee hätte sich damals fast nicht gehalten, und nun fragt es sich, ob die Kunstwelt der Winterspiele in Korea angenommen wird. Letztlich ist dieses riesige Winterolympia, "the largest sporting festival", wie Chung Sye-kyun, der Sprecher der Nationalversammlung, sagt, auch ein Versuchsballon dafür, ob das funktionieren kann: Die gigantischen Winterspiele in Sommergegenden zu verpflanzen, weil für die Menschen in den traditionellen Winter-Regionen "the largest festival" zunehmend abschreckend wirkt.

Illuminiert wie die Münchner Arena: Das Eishockeystadion von Gangneung ist längst fertiggestellt - wie die meisten Olympiabauten in Südkorea. (Foto: imago)

Hujara ist technischer Experte beim Ski-Weltverband Fis, er beaufsichtigte den Bau unter anderem der Abfahrtsstrecke in Jeongseon. In den vergangenen vier Jahren hat er rund 200 Tage in Südkorea verbracht, und er weist gleich eingangs darauf hin, dass die erste Silbe von Pyeongchang "Pjong" ausgesprochen wird und nicht "Pjöng", denn Pjöngjang, das ist die Hauptstadt von Nordkorea, "und da sind die im Süden durchaus empfindlich".

Hujara hatte einen Auftrag vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC), nämlich Pisten zu bauen. Aber er hat auch Achtung vor den Koreanern, vor deren technischen Fähigkeiten, deren Kultur und Natur. "Wir wollten die Kosten reduzieren und keine Monumente bauen", sagt er, und deshalb wurde erstmals das olympische Alpin-Programm umgeschrieben. Diesmal gibt es nur eine Abfahrtsstrecke für Männer und Frauen. Schon deren Gestaltung mit aufwendigen Erdarbeiten in dem engen Tal von Jeongseon hat einen höheren Millionenbetrag verschlungen.

Jetzt ist sie zu befahren, die Alpinen waren beim Testwettkampf kürzlich zufrieden, die Rekord-Rennfahrerin Lindsey Vonn (USA) war begeistert. Aber die technische Umsetzung dieser Spiele-Verfrachtung ist auch nicht das Problem. Auch die Finanzierung dürfte letztlich gesichert sein, trotz der Korruptionsskandale rund um den wichtigen Sponsor Samsung und der politischen Krisen, die soeben in der Absetzung von Präsidentin Park Geun-hye gipfelten. Das größte Problem aus sportlicher Sicht wird die Stimmung sein. Denn Eiskunstlauf, Shorttrack und Snowboard, die Sparten mit koreanischen Medaillenanwärtern, werden ausverkauft sein. Beim großen Rest droht das Gegenteil.

Die Frage der Stimmung hängt mit der Mentalität zusammen und die wiederum mit der Zeit. "Es geht alles immer erst mal sehr langsam", sagt Hujara, erst nach einer gewissen Weile würden Projekte schnell und professionell umgesetzt. Das liegt an den Traditionen und Hierarchien. Für alle Entscheidungen müssten die höchsten Chefs oder auch die Ältesten ihr Ja geben. "Alles muss innerhalb der Hierarchie zigfach überprüft werden", sagt Hujara. Und deshalb ist es auch die Frage, ob man es schafft, binnen elf Monaten eine effektive Olympia-Kampagne auf die Beine zu stellen, um Volunteers und Zuschauer, die nur eine Woche Jahresurlaub haben, für etwas Unbekanntes wie Schnee zu gewinnen. Bei den Testwettkämpfen in diesem Winter ließ sich jedenfalls kaum jemand blicken.

Das Urteil des Biathleten Arnd Peiffer war nach dem Weltcup vergangene Woche vernichtend. Die Organisation sei wieder miserabel gewesen. "Ich gehe davon aus, dass es im nächsten Jahr auch so schlecht ist, weil es vor acht Jahren auch so schlecht war", sagte er. 2009 standen ein paar abgeordnete Schulklassen und Trommler auf den Tribünen, wobei sich die Trommler viel Mühe gaben, aber nervten. Sogar die Eisschnelllauf-Arena blieb kürzlich leer, während der Weltmeisterschaften. Und obwohl die Kunstschnee-Skigebiete an Wochenenden mittlerweile bis zu 15 000 Skifahrer verbuchen, bleibt Hujara auch für die Alpinrennen vorsichtig: "Wir planen nicht mit übermäßig vielen Zuschauern."

Andererseits - vielleicht lassen sich ja doch noch genügend Menschen animieren für die Kunstwelt. Die Experten aus den Alpen haben 2009 ja auch lange gebraucht, um den koreanischen Helfern beizubringen, wie man etwa eine Biathlon-Loipe rettet. Dann ging alles sehr schnell, und die WM konnte starten.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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