Olympische Spiele:Nur der Verdacht ist klar, sonst nichts

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An der Schutzsperre für Evi Sachenbacher-Stehle entbrennt ein Konflikt über die Deutung von Blutwerten im Sport. Die Konsequenzen für Sportler können dramatisch sein

Thomas Hahn

Später kam Evi Sachenbacher-Stehle selbst. Sie hatte noch verheulte Augen und trug so ein zittriges Lächeln, das ihrem Publikum signalisierte: Ich will jetzt tapfer sein. Es waren viele Journalisten gekommen zum Termin im Pressezelt von Pragelato Plan, bei dem es um die Aussichten der deutschen Langläufer bei Olympia hatte gehen sollen. Kameras waren auf sie gerichtet, ein Strauß aus Mikrofonen stand vor ihr. Sie redete sehr leise, sie sagte: "Ich hab' mir nie was zu Schulden kommen lassen." Dann kamen die Tränen, ein Betreuer führte sie rasch hinaus.

Untröstlich: Evi Sachenbacher-Strehle. (Foto: Foto: dpa)

Und schon rannten die Kameraleute los, dass es nur so rumpelte, für ein letztes Bild von der weinenden Staffel-Olympiasiegerin, die am Morgen erst von Mannschaftsarzt Ulrich Schneider erfahren hatte, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) ihr wegen eines erhöhten Hämoglobinwerts von 16,3 Gramm pro Deziliter eine Schutzsperre von fünf Tagen auferlegt hat.

Der Wirbel um diese Angelegenheit ist so groß gewesen, dass man sie fast mit einem richtigen Dopingfall verwechseln konnte. Und das war auch verständlich, denn für den Weltskiverband Fis, der bei den Spielen für das IOC die Ski-Wettbewerbe ausrichtet, und für das IOC selbst ist diese Schutzsperre ein Stilmittel des Antidopingkampfes, das sie als Athletenfürsorge tarnen.

Klage wegen Rufschädigung möglich

Ein überhöhter Hämoglobin-Wert birgt eben nicht nur die Gefahr, dass das Blut verklumpt und lebenswichtige Gefäße verstopft, sondern er ist auch ein Symptom für die Leistungssteigerung mit dem künstlich hergestellten Hormon Epo, das den Sauerstoff-Transport im Blut fördert, weshalb dem Bluttest immer auch ein Urintest auf Epo folgt. Auf überhöhte Blutwerte hin sind bei Olympia 2002 etwa die Russinnen Olga Danilowa und Larissa Lasutina des Dopings mit dem Epo-ähnlichen Darbepoetin überführt worden.

Der Verdacht, den ein erhöhter Blutwert mit sich bringt, ist jedenfalls klar, dem sah sich schon das deutsche Staffel-Mitglied Jens Filbrich ausgesetzt, als er Ende November beim Weltcup in Kuusamo mit zu hoher Hämoglobin-Konzentration auffiel. Und deshalb reagierte die deutsche Mannschaft empfindlich auf den Vorgang. Bundestrainer Jochen Behle regte schon eine Klage wegen Rufschädigung an, sollten die Bemühungen des Deutschen Skiverbands auf eine einstweilige Verfügung für Evi Sachenbacher-Stehle erfolglos bleiben.

Er rief: "Ich werde es nicht akzeptieren, dass Sportler, die sauber sind, hier nicht starten dürfen." Und er setzte auf internationalen Widerstand gegen die Praxis der Schutzsperre. Insgesamt acht Langläufer werden am Sonntag beim Verfolgungsrennen wegen erhöhter Blutwerte zuschauen müssen, da staut sich nicht nur deutsche Empörung auf. "Ich hoffe", sagt Behle, "dass es endlich eine breite Front gibt."

Jochen Behle schimpfte auf "willkürlich gesetzte Werte der Fis". Und auch Verbandsarzt Ernst Jakob wurde etwas lauter, weil er Bengt Saltin, den Vorsitzenden des Medizinischen Komitees der Fis, schon lange mit wissenschaftlichen Gutachten davon überzeugen will, dass Evi Sachenbacher-Stehle von Natur aus zu erhöhten Blutwerten neigt.

Dabei hätte der Diskussion etwas mehr Nachdenklichkeit gut getan, dann hätte sich auch mancher Vorgang, den die Deutschen als Verfahrensfehler anprangerten, erklären lassen: zum Beispiel dass Evi Sachenbacher nach ihrem Bluttest wegen des erhöhten Werts nicht sofort zur Urinprobe geschickt wurde, wie es die Fis-Regeln vorsehen. Bei Olympia geht es eben anders zu.

Ist ein erhöhter Blutwert Indiz für Doping?

"Hier ist es eine Entscheidung des IOC, wann die Urinkontrolle stattfindet", sagte Fis-Langlauf-Direktor Jürg Capol und stellte klar, dass alle acht auffälligen Läufer auf Epo getestet würden. Außerdem war das Thema zu ernst für Tiraden, zumal die Deutschen sich auch im Ärger als Anhänger des Antidopingkampfes mit Bluttests als Vorstufe zum aufwändigen Urintests auf Epo zeigten. Die Szene hat ein grundlegender Konflikt über die Deutung von Blutwerten erfasst.

Fis-Fahnder Saltin hält schwankende Werte auf hohem Niveau für verdächtig und spricht von ernsten gesundheitlichen Risiken. Verbandsärzte wie Jakob sagen, schwankende Werte seien nicht unbedingt verdächtig und die von der Fis verordneten Hämoglobin-Grenzen unbedenklich. Die Deutschen fragen sich, ob ein erhöhter Blutwert als Indiz für Doping ausreichen sollte, um eine Sperre auszusprechen. Zumal einer Schutzsperre schon lange kein positiver Epo-Test mehr gefolgt ist.

Viel trinken hilft gegen einen erhöhten Hämoglobin-Wert, und das wird Evi Sachenbacher-Stehle wohl auch tun, wenn sie am Montag zum nächsten Bluttest antritt. Es ist also gar nicht so schwer, den Hämoglobin-Wert zu senken. Aber darum geht es ja nicht, sagt Ulrich Schneider, es geht darum, dass saubere Athleten keine Angst vor einer Sperre haben wollen, die den Dopingverdacht unter dem Vorwand der Gesundheitsfürsorge abhandelt. "Was sollen wir denn machen?" fragt Schneider.

"Sollen wir gegen die Natur vorgehen und irgendwas arrangieren, damit der Wert runter geht?" Zuvor hatte er gesagt, dass die deutschen Langläufer sauber sind. Er sagt, dass er es weiß. Viele Außenstehende können es nur glauben. Auch das war ein deutsches Problem an diesem bewegten Tag der olympischen Eröffnung.

© SZ vom 11.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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