Olympia:Falsches Rezept

Lesezeit: 3 min

Lebensmut nach dem Krieg: Die Spiele 1948 in St. Moritz (hier US-Eiskunstlauf-Sieger Dick Button) richteten auch die Graubündner auf. (Foto: Keystone/Getty Images)

Graubünden will sich noch mal für die Winterspiele bewerben. Obwohl der Kanton schon gegen den Schweizer Mitbewerber Sion wenig Chancen hat, sollen seine Bürger abstimmen.

Von Charlotte Theile, Zürich

Der Kanton Graubünden im Südosten der Schweiz hat im Moment eigentlich alles, was man sich als abgelegene Alpenregion wünschen kann: Die Ski-WM bringt die schönen, aber auch ziemlich teuren Urlaubsorte St. Moritz und Davos täglich in die Schlagzeilen, auch das Weltwirtschaftsforum in Davos ist erst einige Wochen her. Doch Graubünden will mehr, viel mehr. Am Sonntag stimmen die Bündner über eine Bewerbung ab, die ihnen mehr Aufmerksamkeit, mehr Sportler, mehr Touristen einbringen könnte. Graubünden will Gastgeber der Olympischen Winterspiele 2026 werden. Damit die Bewerbung, die seit Anfang des Jahres öffentlich ist, zum Zug kommen kann, müssen die Bündner einen Kredit in Höhe von 25 Millionen Franken (etwa 23 Millionen Euro) freigeben. Obgleich der Verband Swiss Olympics und der Bund sich zu je einem Drittel an den Kosten beteiligen würden, ist das für die etwa 200 000 Einwohner des Kantons eine große Summe. Die Kandidatur ist im Kanton umstritten: Erst 2013 stimmten 52 Prozent der Bündner gegen die Bewerbung für die Spiele 2022. Warum es der Kanton nur vier Jahre später wieder versucht?

Die Tourismus-Werbeleute des Kantons klingen begeistert, wenn sie von "der unglaublichen Chance" sprechen, die die Olympischen Winterspiele Graubünden bieten würden. Ariane Ehrat, Tourismusdirektorin des Engadins, etwa erinnert in der Lokalzeitung an längst vergangene Zeiten: 1928 und 1948 fand die Winterspiele in St. Moritz statt. Deutlich kleinere Spiele, versteht sich. "Die Aufbruchsstimmung", die man damals, nach den Kriegen in Europa, gebraucht habe, "die ist heute wieder enorm wichtig". Heute allerdings soll der neu gewonnene Lebensmut vor allem den Bündner Hotels und Bergbahnen zugutekommen.

Spätestens seitdem die Schweizer Nationalbank im Januar 2015 den Mindestkurs des Franken zum Euro fallen ließ, ist Graubünden so teuer geworden, dass Wintersportler aus dem In- und Ausland immer häufiger nach Österreich oder Italien ausweichen. Dort sind die Berge vielleicht nicht ganz so hoch, der Skipass aber auch nur halb so teuer. Diese Entwicklung trifft alle Schweizer Regionen, Graubünden aber besonders hart: Im Januar 2016 brachen die Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 16 Prozent ein.

"Der Bündner Tourismus hat ohne Frage ein Problem", sagt auch Andrea Hämmerle, der im Komitee der Bündner Olympia-Gegner sitzt. "Ich glaube nur nicht, dass die Winterspiele das richtige Rezept sind, um dieses Problem zu lösen." Für Hämmerle ist Olympia genau das Gegenteil einer Lösung - ein viel zu teures Projekt, das sich der Kanton in der Krise nicht leisten könne. Stattdessen solle man in sanften Tourismus, in Kulturprojekte und Kunst investieren, findet der Sozialdemokrat. Die aktuelle Ski-WM sei "natürlich toll", aber auch an der Obergrenze von dem, was die Bergregion stemmen könnte. Viele Gegner fürchten zudem Umweltschäden und Kostenexplosionen: Selbst wenn die jetzige Bewerbung nachhaltig und dezentral sei, werde das IOC "das Zepter in die Hände" nehmen und die Spiele größer und teurer werden lassen.

Mit dieser Position ist Hämmerle nicht alleine: Auch der Kanton Zürich, den Graubünden in seinem Bewerbungsdossier "Graubünden und Partner" mit eingeplant hat, hat den Bündnern Ende Januar eine ziemlich deutliche Absage erteilt. Es gehe nicht an, das "Graubünden das Herz und Zürich das Portemonnaie der Spiele" sei, hieß es aus dem Zürcher Stadtparlament. Die Bewerbung sei weder nachhaltig noch ökonomisch sinnvoll, die finanziellen Risiken hoch: "Die Stadt Zürich macht an allfälligen Olympischen Winterspielen in Graubünden im Jahr 2026 nicht mit." Es sei höchstens denkbar, dass das Stadion oder ein großer Platz in der Innenstadt "gegen Entschädigung" genutzt werden könnten.

Auch bei der Dachorganisation Swiss Olympic ist die Begeisterung für die Bündner Bewerbung eher verhalten. Die Entscheidung Zürichs werde bei Swiss Olympic sicher berücksichtigt, heißt es dort. Im Moment prüfe man die Bewerbung. Es gibt allerdings noch einen weiteren Schweizer Bewerber für die Winterspiele 2026: Vier Westschweizer Kantone haben sich zu "Sion 2026" zusammengefunden. Das verschafft eine deutlich breitere finanzielle und logistische Basis, die auch dazu führt, dass über Sion 2026 erst einmal nicht abgestimmt werden muss. Die Beträge sind nicht groß genug, um vors Volk gebracht zu werden. Anfang März wird Swiss Olympic bekannt geben, welche Bewerbung man unterstützt.

Bis zur Vergabe der Spiele 2026 dauert es noch zwei Jahre

Bis es dann zur tatsächlichen Vergabe der Spiele kommt, vergehen noch gut zwei Jahre. Im Sommer 2019 gibt das Internationale Olympisches Komitee (IOC) seine Entscheidung bekannt, im Herbst 2018, wenn klarer ist, wie teuer die Spiele tatsächlich werden, dürfen die Bürger Graubündens noch ein zweites Mal abstimmen.

Olympia-Gegner Hämmerle hält es für "extrem unwahrscheinlich", dass die Spiele in seine Heimat kommen. Bei seinen Mitbürgern sei das anders: "Fast alle, die in der Bündner Wirtschaft und Politik etwas zu sagen haben, machen im Moment Werbung. Ganz nach dem Motto: Wenn Graubünden überleben soll, muss man ja sagen." Das zeige Wirkung. Hämmerle rechnet mit einer knappen Entscheidung - für Olympia.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: