Oliver Neuville:Nummer zweieinhalb

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Der alterslose Leichtfuß Oliver Neuville ist nicht mehr weit entfernt von Lukas Podolskis Stammplatz.

Christof Kneer

Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe stand es ungefähr zwölf zu null für Deutschland, vielleicht stand es auch schon vierzehn zu null. Überraschend daran war nicht allein die Höhe des Ergebnisses, sondern die Art und Weise, wie es zustandekam.

Bernd Schneider und Oliver Neuville: Welches Tor war wichtiger? (Foto: Foto: ddp)

Das muss ein sehr geheimes Geheimtraining gewesen sein, in dem die Deutschen diesen Spielzug einstudiert hatten, anders ist es kaum zu erklären, dass die Polen zwölf- oder vierzehnmal auf ihn hereinfielen. Der DFB war auch angemessen stolz auf diesen Coup, am Donnerstag schickte er die Tore im Berliner Pressezentrum immer wieder über die Großleinwand. Immer wieder sah man Schneider passen, man sah Odonkor den Ball in die Mitte lupfen, man sah Neuville heranrutschen und den Ball mit der Sohle ins Netz lenken.

Schön wär's ja, wenn man die Fifa überzeugen könnte, dass es dieses Tor wirklich zwölf- oder vierzehnmal gab. Mit zwölf oder vierzehn Toren wäre Oliver Neuville der Titel des besten WM-Schützen praktisch nicht mehr zu nehmen, auch David Odonkor würde sich einen prominenten Platz in der ewigen Scorerwertung sichern.

Aber okay, Fifa, hiermit sei's eingestanden, das waren alles nur Wiederholungen, in Wahrheit hat Deutschland nur 1:0 gewonnen - wahr ist aber dennoch, dass es dieses Tor schon einmal gegeben hat. Dieses Tor fiel vor vier Jahren in Seogwipo auf der südkoreanischen Ferieninsel Jeju, es fiel in der 88. Spielminute des WM-Achtelfinales Deutschland gegen Paraguay.

Das Tor von damals war derart baugleich, dass man schon sehr genau suchen musste, um Unterschiede zum heutigen Tor herauszufinden. "Ich glaube, die Flanke damals war schlechter", brummte Bernd Schneider belustigt. Die Flanke damals kam übrigens von Bernd Schneider.

Zur Analyse genötigt

Oliver Neuville hat es also wieder getan. Er hat wieder einmal ein so entscheidendes Tor für Deutschland geschossen, dass er hinterher zu vergleichender Analyse genötigt wurde.

Welches Tor wichtiger war? Direkt nach dem Spiel hat er sich nicht recht entscheiden können, tags darauf aber präsentierte er seine gültige und von nun an in allen Archiven nachzulesende Sprachregelung: "Das Tor war vielleicht nicht wichtiger als das gegen Paraguay, aber viel emotionaler, weil es in Dortmund war, vor heimischen Publikum."

Dortmund ist ja wirklich ziemlich heimisch für Neuville, zumindest seit Ende März. Da ist er gegen die USA (4:1) eingewechselt worden, er hat ein herrliches Tor erzielt und eines herrlich vorbereitet.

Es dürfte der Abend gewesen sein, an dem er sich die WM-Teilnahme endgültig verdiente. Er selbst will das nicht so sehen, er sagt, dass er auch so dabei gewesen wäre, "ich habe in Gladbach gut gespielt und immer meine Tore gemacht".

Gern vergessen

Da hat er recht, aber dennoch ist Neuville einer, der solche Ausrufezeichen braucht. Neuville, 33, ist ein Fußballer, der dank seiner Klasse nie wirklich umstritten war, der aber dennoch gern vergessen wird.

Obwohl er der älteste Feldspieler in Klinsmanns Kader ist, sieht er von fern manchmal aus wie der kleine Junge, der im großen Stadion verloren gegangen ist und darauf wartet, dass die Eltern ihn abholen. "Ich denke auch, dass ich oft unterschätzt werde", sagt er.

Dass Neuville Deutschland immer noch retten darf, kommt ja wirklich überraschend. Er hat 2002 eine gute WM gespielt, und im Finale gegen Brasilien hat er einen Freistoß geschossen, dass der Pfosten in Yokohama vermutlich heute noch wackelt.

Dann aber sind dem Land die Kuranyis und Lauths erschienen, junge Siegfriede, für die 2006 die Heldenrolle vorgesehen war. Anschließend wurde Neuville von Rudi Völler aus dem Kader für die Euro 2004 gestrichen, das war schon nicht sehr nett, aber besonders gemein war, dass statt dessen Thomas Brdaric mitdurfte.

Und am Ende hat ihm auch noch sein Arbeitgeber Bayer Leverkusen eröffnet, "dass meine Zeit vorbei ist, dass ich nicht mehr schnell genug bin".

Wahrscheinlich aber ist Oliver Neuville so schnell wie nie zuvor. Der alterslose Leichfuß hat sich in Klinsmanns Stürmerhierarchie schneller emporgearbeitet, als er selbst das für möglich gehalten hätte.

"Ich bin bereit"

Als Stürmer Nummer vier hat er die WM-Vorbereitung aufgenommen, hinter Klose, Podolski und Asamoah und vor Hanke. Jetzt ist er schon Nummer zweieinhalb. Er hat nur ein paar Einsatzminuten gebraucht, um gegen Luxemburg und die A-Jugend von Servette Genf fünf Tore zu schießen, und auch jetzt ist er unfassbar gut drauf im Training, er schießt ein Tor nach dem anderen.

Er ist nicht mehr weit weg von Podolskis Stammplatz, und er genießt seine komfortable Position. "Im Moment bin ich mit meiner Rolle zufrieden", sagt er, "Miro und Lukas sind derzeit gesetzt, und ich gehe davon aus, dass Lukas auch am Dienstag spielt. Aber ich bin bereit."

Neuville fordert nicht, er kann warten. Er weiß ja, dass er der ideale Klinsmann-Spieler ist. Er ist rasend schnell und rührend eifrig wie der Spieler Klinsmann, und er ist der perfekte Abnehmer für jene Vertikalpässe, die der Trainer Klinsmann zur Spielidee erhoben hat. Und vor allem hat er geschafft, was dem Spieler Klinsmann nie gelang: zwölf bis vierzehn Tore in einem Spiel.

© SZ vom 16.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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