Österreich:Warten auf St. Pölten

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Die Reform der Bundesliga, die neuerdings nach 22 Spieltagen in zwei Klassen geteilt wird, sorgt bereits Ende Februar für hohe Anspannung bei Fans und Vereinen. Besonders der Rekordmeister Rapid Wien leidet zwischen Anspruch und Realität.

Von Felix Haselsteiner, Wien

Ruhe hatte Fredy Bickel selbst am vorigen Montag nicht, an dem es bei Rapid Wien so gut lief wie seit langer Zeit nicht. Etwa 20 E-Mails hatte der Geschäftsführer an jenem Tag trotzdem erhalten, "in denen es hieß, wir hätten schlecht gespielt und nur Glück gehabt". Dabei hatte Rapid am Vorabend den zuvor unbesiegten Tabellenführer RB Salzburg 2:0 bezwungen, ein Erfolg, der die derzeitige Gesamtlage allerdings unzureichend spiegelt. Denn Rapid Wien, 32-maliger österreichischer Meister, Arbeiterverein, Publikumsmagnet und Europa-League-Achtelfinalist, steht in der Liga noch immer kurz davor, in die Abstiegs-Playoffs abzurutschen - um dort dann gegen Mödling, Altach und Mattersburg um Platz sieben zu spielen, während sich sechs bessere Teams um den Meistertitel bewerben. Die Reform der österreichischen Bundesliga, die neuerdings nach 22 Spieltagen in zwei Klassen geteilt wird, sorgt bereits Ende Februar für hohe Anspannung bei Fans und Vereinen.

Vier Siege nach der Winterpause hat man bei Rapid daher als Ziel ausgegeben, nur mit dem Punktemaximum bei gleichzeitigen Niederlagen der Konkurrenz ist es theoretisch noch möglich, die oberen Playoffs zu erreichen. Der erste Schritt zur Serie erfolgte gegen Salzburg, und so stellt sich die Frage: Warum erhält der Geschäftsführer danach negative Post?

"Das ist die Wiener Atmosphäre", sagt Bickel. Die Mittagssonne scheint in die Rekordmeister-Bar im Obergeschoss des Stadions, hinter dem 53-Jährigen prangt in großen grünen Lettern der Rapid-Schriftzug. Bickel ist seit 2016 im Amt, seine Arbeit wird in Österreich kritisch beäugt. Hat er es als Schweizer besonders schwer?

"Wenn du aus der Schweiz kommst, hast du hier noch weniger Kredit", antwortet Bickel. Vor Amtsantritt habe er sich bei Adi Hütter, heute Trainer in Frankfurt, erkundigt, der sagte: "Wenn du es bei Rapid schaffst, brauchst du vor nichts mehr Angst zu haben." Der Kosmos Rapid ist ein einzigartiges Gebilde im österreichischen Fußball, kein anderer Verein hat mit so vielen Einfluss- und Interessensgruppen zu kämpfen. Auf der einen Seite die Wiener Elite: Im Rapid-Kuratorium sitzen neben dem Generaldirektor des ORF, Alexander Wrabetz, dem Nationalratsabgeordneten Peter Pilz und dem ehemaligen Vorstand der Wiener Philharmoniker Clemens Hellsberg eine Reihe von Geschäftsführern aus Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Business-Packages für die VIP-Tribüne bewirbt Rapid mit dem "direkten Kontakt zu Gästen aus Wirtschaft und Politik".

Blickt man von ebenjenen Logen zur Seite, kommt die andere große Interessensgruppe ins Bild: die Ultras auf der Westtribüne. Bei keinem anderen Verein hat die aktive Fanszene so viel Einfluss. Aktenkundig ist ein Vorfall aus dem Jahr 2017: Damals lenkten die Ultras den Teambus nach einer Niederlage beim Tabellenletzten aus Ried auf der Heimreise mit einer Fackel auf einen Autobahnparkplatz, die Mannschaft durfte sich von rund 300 Anhängern eine Standpauke anhören, tags darauf wurde der Trainer entlassen.

"Man hat bei Rapid lange in der Vergangenheit gelebt."

Der Nachfolger des Nachfolgers ist heute Rapid-Legende Dietmar "Didi" Kühbauer. Dessen Foto hängt gegenüber von Trainerlegende Ernst Happel am Eingang der Rekordmeister-Bar. "Als Nachfolger brauchten wir jemanden, der Status hatte und sofort Ruhe reinbringt, und das hat Dietmar Kühbauer geschafft, auch wenn die Resultate erst mal nicht besser wurden. Hätten wir die Resultate mit jemand anderem gehabt, hätten wir uns was anhören können", sagt Bickel. Dass ihm in Wien die Reifen aufgestochen werden oder nachts an seiner Wohnung Fremde sturmklingeln, nimmt er so hin: "Das packt mich eher an meinem Ehrgeiz", sagt er.

Auch Bickel ist natürlich bewusst, dass die Fans gleichzeitig Rapids größte Aktie sind. Zu Heimspielen kommen in dieser Saison im Schnitt 17 674 Zuschauer, der Schnitt in Österreich liegt bei 6410. Dass man sich aber allein darauf verlässt, stört Bickel: "Man hat bei Rapid lange in der Vergangenheit gelebt, aber wichtige Hausaufgaben nicht gemacht."

Der Sieg gegen Salzburg ließ jetzt eine Hoffnung keimen, die trügerisch sein kann. Das optisch klare Zweinull gegen den Tabellenführer war vor allem möglich, weil Salzburg nach einem Europa-League-Auftritt rotierte, 40 Minuten in Unterzahl spielen musste und Rapid so Chancen zu einfachen Kontern bekam. Die wesentlich gefährlicheren Gegner warten noch: Auch wenn Rapid sich an Salzburg orientieren will - die Konkurrenten aus St. Pölten, Mattersburg und der Tabellennachbar Hartberg sind der aktuelle Maßstab für den Rekordmeister.

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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