Odonkor:David rennt

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Michael Ballack nennt ihn eine "Geheimwaffe" - doch nach seiner Flanke zum Siegtor flitzt Odonkor öffentlich.

Freddie Röckenhaus

Zyniker haben in der kleinen Welt des David Odonkor keinen richtigen Platz. Der Antritt, so trocken wie ein Kanonenschlag, die präzise Herein-gabe auf den ersten Pfosten, das gefühlt endlose Herangrätschen von Oliver Neuville - und dann der Adrenalin-Schuss, der Taumel, das sinnlose Gehüpfe an der rechten Außenlinie, ein Untertauchen in den Gefühlen. Das ist die schnelle, direkte Welt, in der David Odonkor, 22, aufgeht.

Das feinsinnige, effektvolle Parlieren ist Dortmunds Raketenstürmer ebenso wenig in die Wiege gelegt wie die filigrane Behandlung des Balles. Wenn überhaupt, dann wird es Odonkor auf diesem Parkett der Erwachsenen und der Eitelkeiten erst in Jahren zu etwas bringen.

Aber das spielt seit dem Mittwochabend in seinem Dortmunder Heimatstadion keine Rolle mehr. Und selbst den ärgsten Zynikern, die ihn für seine Auftritte und Antritte in der Bundesligaelf des BVB und erst recht nach seiner sensationellen WM-Nominierung als Leichtathleten und Grobtechniker schmähen, hat David Odonkor eine erste Lehre erteilt.

Auf die Idee, deshalb nun zu triumphieren oder aufzutrumpfen, würde einer wie Odonkor kaum kommen. "Als das Tor fiel", versuchte er am Tag nach dem ersten Beben seiner jungen Laufbahn komplizierte Gefühle zu beschreiben, "da wusste ich gar nicht mehr, wo ich zuerst hinlaufen soll. Es war eine so schöne Emotion, auch von den Fans. Das habe ich niemals so erwartet."

Und als er die Beklemmung, die ihn stets befällt, wenn er mit Fremden, gar Journalisten oder sonstigen wichtig daherkommenden Menschen zu tun hat, ein wenig überwunden hatte, da blitzte bei Odonkor dieses jungenhafte Lächeln auf, mit dem einer wie er eben auf seine Weise spricht.

Wenn der große Junge David Odonkor, der Fußball spielen will und jeden Tauglichkeitstest in Sachen Medien-Glamour verpatzen würde, sagt, für ihn sei das Wichtigste gewesen, dass seine "ganze Familie im Stadion gewesen" sei ("es ist ja nicht so weit von Bielefeld nach Dortmund"), dann nimmt man ihm das eins zu eins ab.

Genauso wie die entwaffnende Bekenntnis, dass für ihn der erste Ballkontakt so unerklärlich wichtig sei. "Ich bin so froh, dass ich gleich den ersten Ball gut verarbeiten konnte, gleich eine Ecke rausgeholt habe. Das ist eine unheimliche Motivation."

Und wer je Fußball in einem wichtigen Spiel gespielt hat, der weiß, wie viel Wahrheit darin liegt, dass man in jedem Spiel aufs Neue einen Pakt mit dem Ball schließen muss. Auch Odonkors Trainer Jürgen Klinsmann weiß aus eigener Erfahrung, dass nicht jeder große Fußballer die Geschmeidigkeit eines Didi Drogba haben muss.

"Wir haben ihn ja schon länger im Auge gehabt und seine Nominierung nur deshalb erst im letzten Moment bekannt gegeben", sagte Klinsmann, "um ihn vor den Medien und seinem Umfeld ein wenig zu schützen." Inzwischen lacht wohl niemand mehr über die "Geheimwaffe", als die Kapitän Ballack den Dortmunder Expressmann bezeichnet.

Als Odonkor in der 64. Minute kam, hatte ihm Klinsmann auf den Weg gegeben, er solle einfach "Freude am Erlebnis" haben - und Ballack gab ihm mit an die Außenlinie: "Ich schicke dich, so oft ich kann."

Odonkor sagt: "Es ist überragend, was für eine Mannschaft wir haben. Es ist wie in einer Familie. Wenn mal was nicht klappt, motivieren sie dich neu. Ich freue mich, dass Michael Ballack sagt, dass ich eine Geheimwaffe sein kann."

Schublade des versprengten Sprinters

Die Waffe, die Odonkors Tempo darstellt, mag der Sohn eines Ghanaers und einer Deutschen allerdings nicht in Zahlen fassen. Obwohl in Dortmund lange bekannt ist und vermessen ist, dass er von Strafraum zu Strafraum keine elf Sekunden braucht, mag er sich nicht festlegen lassen.

Er mag nicht einmal zugeben, dass er noch nie einen Gegenspieler hatte, der schneller war als er. "Ich habe von klein auf immer Fußball gespielt. Ich bin froh, dass ich Fußballer und kein Leichtathlet geworden bin", sagt er verschmitzt.

Ihm ist schon klar, dass man ihn in die Schublade des versprengten Sprinters gesteckt hat. Das verärgert ihn nicht: "Ich will lernen. Ich lerne auch hier jeden Tag dazu."

Wer in einem Spiel auf Biegen und Brechen als Erster eingewechselt wird und so aufspielt, der kann den Spott der Zyniker mit vollem Recht ignorieren.

© SZ vom 16.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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