Oberstdorf:Der Feind kommt von hinten

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Der dreimalige Tournee-Sieger Janne Ahonen nutzt in Oberstdorf wechselnde Winde. Der Finne gewann wieder einmal, obwohl er nicht einmal zu den Topfavoriten gehörte.

Thomas Hahn

Was gut und was schlecht war, hatte auch der Wind entschieden, und doch fand der Skispringer Michael Uhrmann, dass er sich etwas vorwerfen musste wegen seines neunten Rangs hinter dem siebtplatzierten Landsmann Georg Späth beim Auftakt zur 54. Vierschanzentournee am Oberstdorfer Schattenberg. Vor allem im ersten Durchgang hatte die Natur mitgespielt, als sie den Rückenwind für ein paar Minuten etwas zurücknahm und ein skandinavisches Trio stark begünstigte: Janne Ahonen, der finnische Titelverteidiger, ließ sich diese Vorlage nicht nehmen, sein Landsmann Matti Hautamäki zog nach, ebenso der Norweger Roar Ljoekelsoey, und sie alle nutzten die Verhältnisse zu einem Vorsprung, der im Finale kaum mehr aufzuholen war.

Die Reihenfolge veränderte sich nur geringfügig: Ahonen gewann, Ljoekelsoey folgte. Vor Hautamäki, der Fünfter wurde, zwängte sich der tschechische Weltcup-Führende Jakub Janda auf Rang drei. Und Uhrmann musste erkennen, dass er seiner Stellung als Mitfavorit nicht gerecht geworden war. Er sagte: "Ich hab' ein bisschen verkrampft."

Favoriten stehen in der Verantwortung

Es ist eine seltsame Geschichte mit der Rolle des Favoriten, denn einerseits ist sie begehrt, andererseits gefürchtet, weil sie eine Nervosität schürt, die manche Athleten überfordert. Es ist ein bisschen so wie am Theater mit den Schauspielern in den Hauptrollen: Sie sind sichtbarer, sie treten häufiger auf, sie haben mehr Raum, um zu glänzen, und wenn der Vorhang fällt, bekommen sie den meisten Beifall.

Aber sie tragen auch die größte Verantwortung, mit ihnen steht und fällt das Stück, und wenn sie mal den Text vergessen oder ihren Einsatz, wenn sie sich einen schlechten Tag erlauben da oben auf der Bühne, fällt das allen auf. Wer höheren Ansprüchen zu genügen hat, macht leichter Fehler, das ist im Sport genauso, und wie die Schauspieler kennen auch die Sportler das Lampenfieber. Nur wer damit umzugehen weiß, kann seiner Rolle gerecht werden. Und Michael Uhrmann, der schon eine Hauptrolle bei dieser Tournee spielte, bevor sie überhaupt begonnen hatte, musste nun zugestehen, dass er mit diesem Anspruch nicht ganz hatte Schritt halten können.

Sein Motto war einfach vor dem Auftakt und dennoch das einzig richtige bei all den erwartungsvollen Anfragen und Schlagzeilen, die er in den Tagen vor der Tournee zu bearbeiten hatte. "Jetzt spring' ich drauflos, und dann schau mer, was rauskommt", sagte er und dachte erst gar nicht daran, dass ihm etwas misslingen konnte.

Er wusste, dass er gut geprobt hatte in diesem Sommer, im Herbst und auch in der ersten Phase dieses Weltcup-Winters, in deren Verlauf er drei Mal unter die besten Drei gesprungen war. Diese Zuversicht leitete ihn in der Qualifikation zu einem glänzenden Satz auf 137,5 Meter, der zweitbesten Weite am Mittwoch. Da zeigte er, dass er dem Druck gewachsen war, und Bundestrainer Peter Rohwein lobte: "Vorzüglich."

Ruhig schritt Michael Uhrmann voran, zeigte einen ordentlichen Sprung im Probedurchgang und überstand auch problemlos die K.o.-Runde gegen den Japaner Hiroki Yamada mit einem technisch sauberen Versuch. Aber die Weite passte nicht zu den Besten. 120,5 Meter, Rang acht. Uhrmann sagte: "Ich hab' meinen Sprung gar nicht so schlecht gefunden." Aber das nützte nichts, ihm fehlten viele Meter auf Janne Ahonen, und das nahm ihm endgültig die Lockerheit.

Dieser Rückenwind war kein Freund der Favoriten, reihenweise drückte er die Hochgewetteten im ersten Durchgang in den Schnee, am schlimmsten den Weltranglisten-Dritten Andreas Küttel. Verstört blickte der Schweizer zur Anzeigetafel, als er bei 111 Metern gelandet war, und er begriff erst langsam, dass er die Tournee mit diesem verpatzten Versuch schon verloren hatte. Andreas Widhölzl aus Österreich, der Beste der Qualifikation, aber ein erklärter Gegner des Rückenwinds, kämpfte sich mit Mühe auf 119,5 Meter.

Und auch Jakub Janda, tags zuvor vom Wettkampfgericht wegen zu langer Ski aus der Qualifikationswertung gestrichen, blieb mit 123,5 Metern weit hinter Ahonen zurück. Janda konnte immerhin kontern und setzte so ein Zeichen.

Michael Uhrmann erkannte, dass etwas fehlte

Er hat sich zu einem der ersten Kandidaten auf den Gesamtsieg bei dieser Tournee aufgeschwungen. Vielleicht ist er sogar höher einzuschätzen als Janne Ahonen, der tags zuvor noch so mäßig unterwegs gewesen war, dass er ein bisschen fluchen musste ("Das war schlimm") und einen schnellen Materialwechsel riskierte. Jakub Janda bewies, dass er ein Favorit ist, der sich wehren kann.

Den Gastgebern dagegen blieb nicht viel. Immerhin ein gutes Mannschaftsergebnis mit zwei Männern unter den ersten Zehn, dazu einem verbesserten Alexander Herr (Platz zwölf), einem soliden Michael Neumayer (Platz 21) und einem halbwegs flugtauglichen Martin Schmitt (Platz 24), was den Bundestrainer bestimmt erfreute. Aber das reichte nicht für den ganz großen Jubel.

Michael Uhrmann musste erkennen, dass etwas fehlte. Diesen ersehnten Podestplatz hätte er sich und seinem Publikum gerne gegönnt. Über einen möglichen Gesamtsieg bei der Tournee wollte er in diesem Moment ohnehin nicht mehr sprechen. Und betrübt blickte er auf die Zeitlupe seines mäßigen zweiten Versuchs. "Ich werde das erst mal sacken lassen", sagte Uhrmann. Er fühlte sich plötzlich gar nicht mehr wie ein Favorit.

© SZ vom 30.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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