Ô Cólùmnãò:Arbeitslose und Crackraucher

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Rio leidet unter Übertreibungen, die Reporter verbreiten. Nein, der Strand an der Copacabana ist nicht 300 Meter breit.

Von Boris Herrmann

Über Laura Ludwig und Kira Walkenhorst sind zuletzt große Würdigungen verfasst worden, die sich die deutschen Olympiasiegerinnen im Beachvolleyball redlich verdient haben. Irgendwo stand: "Nur der Mut, im Kloakenwasser an der Copacabana baden zu gehen, hat ihnen gefehlt."

Kloakenwasser an der Copacabana? Mag sein, dass der Autor da mehr weiß als all die Mutigen, die sich hier Tag für Tag freiwillig in den Atlantik stürzen. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine neue Form von Kloaken-Sippenhaft handelt. Die Bucht von Guanabara, die ebenfalls vor Rio liegt, ist ja tatsächlich recht schmutzig. Schwimm drüber, kann man da leider nicht sagen, aber Schwamm drüber. Letztlich beruht schon die Existenz dieser Stadt auf einem Fehlurteil. Der Seefahrer Gaspar de Lemos hielt die Guanabara-Bucht zwar nicht für die Copacabana, wohl aber für die Mündung eines Flusses, den er mit Blick in den Kalender (1. Januar 1502) Rio de Janeiro taufte. 514 Jahre später machen sich nun die Olympischen Spiele um die Traditionspflege verdient, indem sie die Stadtgeschichte der kleinen Irrtümer fortschreiben. Eine deutsche Zeitung teilte in diesen Tagen mit: "Sechs bis acht Millionen Arbeitslose gibt es heute allein im Großraum der zweitgrößten Metropole Brasiliens." Die Krise ist tatsächlich gravierend, aber so schlimm, dass die Zahl der Arbeitslosen die der Einwohner (etwa 6,5 Millionen) übersteigt, ist es zum Glück noch nicht.

Hartnäckig hält sich in diesen Tagen das Gerücht, der Strand an der Copacabana sei 300 Meter breit. Ab und zu ist auch von "gut 300 Metern" zu lesen. Würde man andere berühmte Orte der Welt mit etwa demselben Übertreibungsfaktor multiplizieren, wäre der Fernsehturm am Alexanderplatz etwa 900 Meter hoch und die Münchner Arena fasste 200 000 Zuschauer. Die australische Zeitung Herald Sun behauptete derweil, 75 Prozent der Bewohner von Rio würden in Favelas leben. Laut USA Today wiederum rauchen 40 Prozent der Favelados Crack. Das wären, wenn beide Zahlen ansatzweise stimmten, knapp zwei Millionen Crackraucher. In dem Fall wäre es wohl tatsächlich angebracht, den 30 bis 120 Meter breiten Copacabana-Strand ein wenig zu verbreitern, um die ganzen Drogenberauschten zum Ausnüchtern abzulegen. Um die Aufschüttung könnten sich dann zum Beispiel die acht Millionen Arbeitslosen aus dem Großraum Rio kümmern.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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